Hier ist der Kontakt mit den Händlern ungewöhnlich persönlich, hier treffen sich Kunden, aber auch Freunde und Sportkameraden. Eine Momentaufnahme.

Das Marktkaffee am Goldbekmarkt ist rappelvoll. Familien schieben ihre Kinderwagen durch die Gänge, Senioren ihren Rollator. Die Sonne scheint, die Besucher sind in lockerer Stimmung. Nur der Mann in der Schlange vor dem Fischstand der Familie Kalinowski scheint nicht gut drauf zu sein. Er meckert laut, weil er noch nicht an der Reihe ist. „Das geht hier alles so langsam“, jammert er griesgrämig. Ich finde, er sollte sich darüber freuen, dass es noch so viele Matjes, Lachs und Zander an diesem Vormittag zu kaufen gibt.

Dirk Nastaalli vom Stand Der Dithmarscher legt gerade für eine Kundin Fleischsalat und Fischhappen zurück. „Jeweils 200 Gramm, ich hole sie nachher ab.“ Die Schlange der Wartenden vor dem Dithmarscher wird länger, weil seine Mitarbeiterin Britta Breitschwerdt gerade einen Kunden mit langem Einkaufszettel bedient. Doch keiner der Wartenden beschwert sich. Es ist Sonnabendmorgen, und nicht nur ich freue mich über die Vielfalt auf dem Goldbekmarkt. Hier gibt’s Gewürze und Muffins, Orangensaft, frisch hergestellte Nudeln und Ravioli von den Pastafrauen. Allerdings muss man aufpassen. Weil das alles so verlockend aussieht, kauft man schnell mehr ein, als man eigentlich braucht. Die Stände reihen sich vom Goldbekplatz bis zur Barmbeker Straße. Die Farbe des Tages ist Grün. Viele Händler packen ihre Ware in grüne Plastiktüten. Ein Mitarbeiter vom Obststand von Mehmet Bayrak reicht einer Kundin ein Kilo Spargel. Er grinst dabei. Vermutlich freut er sich, dass die Spargelstangen immer noch guten Absatz finden, obwohl in Deutschland die Spargelzeit längst zu Ende ist. Aber woanders wächst er ja noch. Ein kleines Mädchen steht vor einem Stand mit Pfeffer, Safran, Paprika und Anis, die in kleinen Plastiksäckchen angeboten werden. Über den Gewürzen, die bunt aufgereiht auf dem Verkaufstresen liegen, thront eine große Hexenpuppe. „Bist du eine Hexe“, fragt die Kleine die Standbetreiberin. „Nein, aber ich mag Hexenpuppen“, antwortet die Frau und lacht dabei.

Es gibt sie also doch noch, die Gemütlichkeit beim Einkauf. Anders als etwa in Supermärkten stehen am Goldbekmarkt immer wieder Menschen zusammen, lachen miteinander, verabreden sich fürs Wochenende, während sich andere Marktbesucher an ihnen vorbeidrängen.

Im Marktkaffee herrscht derweil reger Betrieb. Glücklicherweise finde ich noch einen Tisch, am Sonnabend empfiehlt es sich, früh da zu sein. Direkt am Goldbekplatz schenken hier Claudia und Elke, die beiden Eigentümerinnen Latte, Tee oder andere Getränke aus. Es herrscht Selbstbedienung, eine Frau trägt gerade ein Tablett mit einer Schüssel Suppe aus dem kleinen Café. Was genau? Ein Blick auf die Schiefertafel verrät: Heute gibt es Möhrensuppe. Ein Mann balanciert zwei Cola und zwei getoastete Sandwiches über meinen Kopf. Zum Glück beherrscht er sein Handwerk. Die Mädels kommen immer wieder nach draußen, um Geschirr abzuräumen, das nachlässige Kunden stehen gelassen haben, statt wie erbeten, es auf die vorgesehene Ablage zu stellen. So kriegen die beiden, die sonst hinter dem Tresen stehen, wenigstens ein wenig Sonne ab. Ein kleines Mädchen weint. Seine Mutter trägt sie vom Spielplatz, einem der schönsten in Hamburg, zum Marktkaffee. Die Kleine bekommt einen Lutscher, während sich Mama einen Latte macchiato und ein Croissant gönnt. Ein Lolli kann Wunder bewirken. Die Kleine weint nicht mehr. Auf der langen Bank des Cafés wird laut gelacht.

Eine Clique der Kategorie Middle-Ager hat sich die hintere Ecke des Cafés ausgesucht, fast zehn Leute. Gläser voller Minze-Tee stehen auf ihrem Tisch. Alkohol wird hier wohl frühestens nachmittags verlangt. Nur eine einsame Dame, die allein an einem Tisch sitzt, gönnt sich ein Glas Weißwein. Sie kommt fast jeden Sonnabend, immer allein. Ob sie zu Hause auch gern trinkt?

Dann kommt ein Mann mit hochrotem Gesicht. Von der Sonne kann dies noch nicht kommen, am Vormittag wird sie von der langen Reihe von Ständen noch verdeckt. Es ist der ältere Herr vom Fischstand. Jetzt regt er sich darüber auf, dass eine Frau mit Kinderwagen den Strom der Kaufenden und Schauenden behindert. „Müssen Sie denn unbedingt mit dem Kinderwagen hierherkommen?“, brüllt er eine junge Frau an. Das Baby im Wagen beginnt zu weinen. Warum regt sich der Mann über jede Kleinigkeit auf? Das schadet nur seiner Gesundheit. Dabei müssten die Menschen zufrieden sein. Es regnet nicht, es gibt viele leckere Sachen zu kaufen. Was will man mehr? Viele Besucher des Marktes kommen aus benachbarten Stadtteilen. „Wir wohnen auf der anderen Alsterseite“, sagt eine Frau. „Wir kommen nur wegen des tollen Spielplatzes“, meint sie, während sie vor mir in der Schlange vor dem Marktkaffee ansteht, um eine Bionade zu kaufen. Ich nehme eine Tasse Kaffee, schwarz. Man kennt sich schon vom Sehen. Auch Ihre Tochter hat hier bereits Sandkastenbekanntschaften geschlossen.

Die Frau kommt mit dem Auto zum Markt. Oft muss sie lange suchen, bis sie einen Parkplatz findet. Das ist einer der wenigen Nachteile hier. Da die meisten Gebäude in der Nähe keine Garagen haben, sind Parkflächen rar. Vor allem sonnabends, wenn wegen des Marktes schon morgens Autos umgeparkt werden müssen. Als Entschädigung für das lange Suchen bietet sich ein Bummel über den Mühlenkamp an. Im Goldbekkanal kann man an sonnigen Tagen zudem Ruderer beobachten, die in Richtung Alster übers Wasser gleiten.

Der Mittag nähert sich. Ich muss schnell noch Blumen holen. Vor mir steht eine ältere Dame. Sie will nur eine Rose und fischt mühsam einen Euro aus dem Geldbeutel. Blumenhändler Müller wartet geduldig und behandelt sie so, als würde sie 50 Rosen kaufen. Manchmal, wenn ich am Stand lange anstehen muss, obwohl Müller und drei Mitarbeiter gleichzeitig bedienen, frage ich mich, warum ich mir das antue. Doch wenn ich dann dran bin, ist alles wieder vergessen. Ich kaufe Sonnenblumen und Rosen. Beide Sorten halten meist bis zum nächsten Sonnabend.

Ein letzter Absacker im Marktkaffee. Eine Mutter und ihr Mädchen gehen zum Spielplatz. Beide haben das gleiche Kleid an. Das sieht komisch aus. Am Nebentisch blickt ein Pärchen ihnen kopfschüttelnd nach.

Mein guter Freund Axel kommt zufällig vorbei. Seine große schwarze Tasche ist vollgepackt mit Äpfeln, Möhren und anderem Gemüse. Wir trinken einen Minze-Tee und verabreden uns für die kommende Woche – hier auf dem Goldbekmarkt.

Da kommt schon wieder der Mann mit dem roten Gesicht. Er geht vorbei, ist wohl auf dem Heimweg. Der Arme, er hat vermutlich hohen Blutdruck. Axel und ich beschließen, noch ein Toast-Sandwich mit Käse und Schinken und Mineralwasser zu bestellen. So ist das auf dem Goldbekmarkt.

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