Bei der WM in Barcelona kämpft Markus Deibler um eine Spitzenplatzierung. Auf St. Pauli ist er als Geschäftsmann aktiv. “Wenn ich etwas mache, dann richtig und mit allen Konsequenzen“, sagt er.

Hamburg. Der Chef, braun gebrannt, weißes T-Shirt, knielange Jogginghose, Flip Flops, sitzt auf der Holzbank vor seinem Laden, erzählt die Firmengeschichte, redet über seine Unternehmensphilosophie und die Perspektiven des Geschäfts. Pioniergeist klingt in seiner Stimme mit wie die Begeisterung darüber, dass das Konzept offenbar angenommen wird. Im dritten Monat ist Luicella’s Ice Cream Eisdiele an der Detlev-Bremer-Straße 46 auf St.Pauli nun täglich geöffnet, und die Umsatzzahlen stimmen Markus Deibler, 23, optimistisch: „Es lief trotz des Dauerregens im Mai besser als erwartet. Unsere Kalkulation ist bislang aufgegangen.“

Markus Deibler kann sich deshalb vom heutigen Mittwoch an auf seine eigentliche Profession, das Schwimmen, konzentrieren. Mit seinem Bruder Steffen, 25, dem Jahresweltbesten über 100 Meter Schmetterling, fliegt er zu den Weltmeisterschaften nach Barcelona. Dort startet er von Sonntag an über verschiedene Strecken. Für seine Hauptdistanz, die 200 Meter Lagen, hat er sich einen Platz im Endlauf der besten acht zum Ziel gesetzt.

Fünfter will er werden, nach Rang acht vor einem Jahr bei den Olympischen Sommerspielen in London ein weiterer Schritt auf dem Weg zur angestrebten Medaille 2016 bei den Spielen in Rio de Janeiro. Angekommen auf dem Podest, will er seine Karriere beenden. Das ist der Masterplan.

Zunächst einmal freut er sich auf die Rückkehr aus Spanien. In der Woche vom 12. bis zum 18. August will er hinter dem Tresen seiner Eisdiele stehen und die Kundschaft bedienen. Die eine oder andere Kugel Gefrorenes wird er dabei selbst verzehren. „Dann werde auch ich das Eis in vollen Zügen genießen und mir mehr gönnen als gewöhnlich“, so der Wahl-Hamburger. In der Vorbereitung auf die WM musste er auf den Genuss verzichten. Richtige Ernährung ist ein Standbein seines Erfolgs. Und wenn er täglich auch bis zu 4500 Kalorien zu sich nimmt, Süßes sollte es in den harten Trainingsphasen nur in ganz geringen Maßen sein.

161 Gewerbetreibende sind bei der Handelskammer Hamburg unter dem Branchenschwergewicht „Eissalon“ gemeldet. 5927 Eisdielen gab es im Jahr 2011 in Deutschland. Die Zahl ist rückläufig, vor zehn Jahren waren es fast 6900. Der Umsatz an industriell hergestelltem Eis, etwa 80 Prozent des Gesamtumsatzes von 2,43 Milliarden Euro, liegt stabil bei 1,94 Milliarden Euro im Jahr. Pro Kopf werden in Deutschland 7,7 Liter Eis verzehrt.

In Luicella’s Eisdiele, das ist das Rezept, wird Eis selbst hergestellt – für den Kunden sichtbar in alten italienischen Eismaschinen auf der Empore über der Verkaufsfläche. Die Zutaten, versichert Deibler, seien nur die besten. Das hat seinen Preis. „Billig bringt’s nicht. Auf Dauer schon gar nicht. Wenn ich etwas mache, dann richtig und mit allen Konsequenzen“, sagt er. Leistungssportler denken so oder ähnlich, besonders Einzelsportler. „Ich wollte nie einen Mannschaftssport betreiben, weil ich nicht abhängig von der Einstellung anderer sein wollte.“

Der Grundstoff Milch kommt vom Milchhof Reitbrook im Südosten Hamburgs, wo die Kühe noch auf der Weide grasen. Ein Liter kostet netto 73 Cent, der Großkundenrabatt muss noch verhandelt werden. Haselnuss- oder Erdbeermark wird aus Italien geliefert, andere Ingredienzien werden morgens auf dem Markt gekauft. Keine Zusatzstoffe, keine Geschmacksverstärker lautet das Credo, das auch für Softgetränke gilt. Den fair gehandelten Kaffee aus Afrika, sonnengetrocknet und lang und schonend geröstet, liefert die Berliner Firma Coffee Circle. Ein Euro pro Kilo wird gespendet.

Die Idee der Eisdiele hatte Luisa Mentele, 26, die Freundin Steffen Deiblers. Die studierte Medien- und Informationswissenschaftlerin hat ein Faible für Eis und dessen Herstellung, auf einem Auslandssemester im italienischen Bologna vertiefte sie ihr Interesse. Mit Markus Deibler entwickelte sie nach ihrer Rückkehr nach Hamburg den Businessplan. Der jüngere Deibler, der Ingenieurswesen studiert, fand schnell Gefallen an der Vorstellung. Geschäfte sind ohnehin seine Sache. Eine Internet-Lernplanplattform, lernzettel. com, hat er bereits laufen wie einen Onlinevertrieb für Ohrentropfen gegen Gehörgangsentzündungen. Die können Spitzenschwimmer wie er, die täglich bis zu sieben Kilometer durch das Wasser pflügen, gut gebrauchen.

Die Eisdiele verlangte dagegen größeres Startkapital und die Gründung einer GmbH. Der Umbau des ehemaligen Blumenladens, die Anschaffung des Mobiliars, von Geräten und Kühlschränken kostete insgesamt rund 45.000 Euro, Geld, das sich Deibler und Mentele zum Teil privat liehen. Die monatlichen Fixkosten für zwei Angestellte, vier Aushilfen, Miete, Versicherungen und Gebühren betragen geschätzte 6000 Euro im Monat. Genaue Zahlen verraten die Inhaber nicht. 6000 Kugeln Eis, die erste kostet 1,20 Euro, die zweite 1 Euro, müssten allein dafür verkauft werden. Markus Deibler arbeitet kostenfrei; später, nach der Schwimmkarriere, hofft er, dass dieses Geschäft – oder mögliche Filialen – auch für ihn etwas abwirft. Die Umsatzentwicklung seines Ladens kann er seit zehn Tagen mit etwas mehr Gelassenheit beobachten. Nachdem Anfang dieses Jahres die drei wichtigsten Sponsoren der Deibler-Brüder absprangen, drohte das Projekt Rio 2016 aus finanziellen Gründen zu scheitern. Dabei waren die Deiblers Deutschlands erfolgreichste Schwimmer bei Olympia in London.

Hilfe kommt jetzt aus ihrer Geburtsstadt. Die Kreissparkasse Biberach unterstützt die Brüder für die kommenden drei Jahre. Mit Head fand sich zudem ein neuer Ausrüster für die Schwimmer. „Die Alternative wäre gewesen, mit dem Laden meine Schwimmkarriere zu finanzieren. Das kam für mich nicht in Betracht. Eher hätte ich mit dem Schwimmen aufgehört“, sagt Markus Deibler.

Um 12 Uhr mittags öffnet Luicella’s Eisdiele. Die ersten Kunden stehen vor der Tür. Der Laden liegt zwischen Schanze und Reeperbahn. Im Einzugsgebiet gibt es Hotels, Büros, viele Familien mit Kindern wohnen hier. Längst hat sich im Viertel und darüber hinaus die Qualität der Produkte herumgesprochen. Das erste Hotel bestellt bereits bei Luicella‘s, Verhandlungen mit weiteren laufen. Angebote an Restaurants werden vorbereitet. Bis zu 50 Sorten Eis sind im Angebot, zehn bis zwölf täglich in der Auslage. Zitroneneis mit Basilikum, in Deutschland Eis des Jahres, fruchtig und erfrischend, scheint momentan der Hit. Das Mangoeis schmeckt fruchtiger und cremiger als anderswo. Wer besondere Wünsche hat, lässt sie Luisa Mentele wissen. Die experimentiert gern. Für jeden Geschmack ist etwas dabei, für Veganer zum Beispiel Schokoeis aus Sojamilch.

Mund-zu-Mund-Propaganda ist das derzeit einzige Marketinginstrument. Das spricht für sich. Auf Facebook sind die meisten Kommentare überschwänglich. „O mein Gott, so ein Eis habe ich noch nie gegessen. Himmlisch“, schwärmt jemand. „Diese Kommentare“, sagt Markus Deibler, „sind das Einzige, was wir bei Luicella nicht selbst machen.“