Richter zeigt Staatsanwaltschaft wegen Strafvereitelung an. Er ist sicher: Die Tat war eine Auftragsbrandstiftung, an der ein Spekulant gut verdiente

St. Georg. Es war einer seiner letzten großen Fälle vor der Pensionierung. Klaus Kaub, Richter am Landgericht Münster, arbeitete akribisch daran, förderte neue Beweise zutage, unter anderem eine CD mit Notruf-Mitschnitten. Es ging um einen Wohn- und Geschäftskomplex mit neoklassizistischer Fassade an der Langen Reihe 57/59 im Hamburger Stadtteil St. Georg, um ein Verbrechen, das das Leben von Mietern in Gefahr gebracht hatte, und um einen möglichen Versicherungsbetrug. Am Ende war Kaub sicher: „Das war eine Auftragsbrandstiftung.“

Als die Staatsanwaltschaft Hamburg das Ermittlungsverfahren vor einigen Wochen dennoch mangels Beweisen einstellte, reagierte der inzwischen pensionierte Jurist entsetzt und erstattete jetzt Strafanzeige gegen die mit dem Fall befassten Hamburger Staatsanwälte. Wegen Strafvereitelung.

Die Vorwürfe würden jetzt geprüft, bestätigte die Sprecherin der Hamburger Staatsanwaltschaften den Vorgang. Ins Blickfeld rückt damit wieder ein spektakulärer Kriminalfall von 2005, bei dem die Ermittlungsbehörden zunächst auch dem Verdacht auf organisierte Kriminalität nachgegangen waren. Sollte an der Langen Reihe ein altes Haus per Brandstiftung brutal „entmietet“ werden? Solche Gerüchte machten nach dem Feuer vom 1. März 2005 schnell die Runde.

Die nüchternen Fakten lassen sich aus einem Urteil eines Zivilverfahrens ablesen, das am 29. September 2008 vor dem Landgericht Münster nach zwei Jahren zäher Verhandlung entschieden wurde. Als Richter hatte Kaub darüber zu urteilen, ob der Besitzer der Immobilie 1,3 Millionen Euro von der Feuerversicherung kassieren kann. Er entschied gegen ihn und zugunsten der Versicherung, die in Münster beheimatet ist. Eben weil Kaub eine vorsätzliche Brandstiftung als erwiesen ansah.

Eigentümer unterhielt Beziehungen zu einer berüchtigten Einwandererfamilie

Doch zu einem Strafverfahren in Hamburg kam es danach nie. Dabei liest sich die Urteilsbegründung (Aktenzeichen 15O403/06) von Kaub wie das Lehrstück für einen schlüssigen „Tatort“-Krimi. Die Namen der Personen sind in dem übers Internet öffentlich zugänglichen Schriftstück abgekürzt, mit I. oder X.

Und weil damals Verdächtige gegen eine Veröffentlichung geklagt hatten, wollen wir hier andere Namen als die richtigen nehmen: Da ist „Sven Haller“, einst Rechtsanwalt, Geschäftsführer einer Immobilienfirma und später in einem anderen Fall im Zusammenhang mit Immobiliengeschäften wegen schwerer Untreue verurteilt. Er unterhielt innige Geschäftsbeziehungen zu einer Familie, deren Mitglieder als junge Männer nach Hamburg eingewandert waren und die nach 2005 ebenfalls mit Immobiliendeals und Anklagen für Schlagzeilen in Hamburg sorgten.

Laut Urteilsbegründung hatte im Januar 2004 die GmbH von Haller die Grundstücke mit den vermieteten Gebäuden für 1,8 Millionen Euro gekauft: einen alten, viergeschossigen Bau mit Ladenzeile, 14 Mietparteien und verschachtelten Wohnungen in einem aufstrebenden Stadtteil, in dem zunehmend teure Eigentumswohnungen entstanden.

Genau ist in dem Urteil nach langer Ermittlung aufgeführt, wie sich Haller mit Bauexperten besprochen haben soll, um dort Luxuswohnungen aufstocken zu können. Die Experten rieten aber zum Abriss. Doch das sei schwierig gewesen, weil zumindest ein Ladengeschäft kurz vor dem Verkauf der Immobilie einen Pachtvertrag über zehn Jahre abgeschlossen hatte. Das Kaufangebot eines anderen Unternehmens über 2,1 Millionen lehnte Haller der Urteilsbegründung zufolge ab.

Nach dem Brand konnte er das Immobilienpaket mit dem ausgebrannten Haus dann für 2,35 Millionen Euro verkaufen und wollte auch die Versicherungssumme über 1,3 Millionen Euro kassieren. Ein flotter Gewinn von fast zwei Millionen Euro innerhalb weniger Monate. Doch die Versicherung weigerte sich wegen der dubiosen Tatumstände und einer erwiesenen Brandstiftung. Nur die Täter fehlten.

Haller klagte. Und so kam Richter Kaub ins Spiel, der den Fall ausgiebig untersuchte, etliche Zeugen vernahm und nach zwei Jahren davon überzeugt war, dass Haller selbst die Brandstiftung in Auftrag gegeben hatte. Zwei Brüder sollen seiner Überzeugung nach die Feuer gelegt haben. Richter Kaub führt in der seitenlangen Indizienkette seiner Begründung dazu Querverbindungen und finanzielle Abhängigkeiten zwischen den Brüdern, Haller und einem anderen Makler auf. Einer der Brüder wurde von dem Makler ausgehalten, sein Handy wurde ihm ebenso bezahlt wie der Rechtsbeistand nach einem versuchten Raub. Die Hamburger Staatsanwaltschaft hatte allerdings 2005 schon einmal das Ermittlungsverfahren eingestellt.

Der mutmaßliche Auftraggeber machte am Ende 930.000 Euro Gewinn

Gegen das Urteil von Richter Kaub legte Haller Berufung ein. Bei einem späteren Vergleich vor dem Berufungsgericht konnte er mit der Versicherung dann tatsächlich eine Einigung über 380.000 Euro erreichen – das ergibt zusammen mit dem Gewinn aus dem Verkauf 930.000 Euro für Haller. „Wäre es rechtzeitig zu einem Strafverfahren gekommen, hätte die Versicherung nie zugestimmt“, sagt Kaub heute. Auch nach seiner Pensionierung im Dezember 2009 beschäftigt den Richter a.D. dieser Fall so sehr, dass er nun bereit ist, damit an die Öffentlichkeit zu gehen. „Eine höchst ungewöhnliche Sache“, wie es in Hamburger Justizkreisen heißt. Vieles mag dazu geführt haben, dass Kaub diesen Schritt macht: Enttäuschung darüber, dass seine mühsam erarbeitete Indizienkette nicht von Ermittlungsbehörden übernommen wird, dass sein Urteil trotz der vielen Arbeit in der Berufung keinen Bestand hatte. Und vor allem Zorn, dass skrupellose Brandstifter ungesühnt davonkommen.

Er legte mehrfach Beschwerde ein und verfasste detaillierte Schreiben an die Hamburger Strafbehörden. Vor allem der Mitschnitt eines Notrufs bei der Feuerwehr ist für ihn ein Beweis, der einen der verdächtigen Brüder belastet. Das Handy wurde später dem Verdächtigen zugeordnet. Kaub ist überzeugt, dass der Mann sich während des Brandausbruchs in der leer stehenden Wohnung aufhielt, in der das Feuer mit Benzin gelegt wurde. Türklopfen und Rufe, die mit aufgezeichnet wurden, sowie dazu passende Zeugenaussagen, würden das beweisen. Ein anderes Indiz ist für Kaub die Beobachtung von Zeugen in einem benachbarten Büro: Sie wollen die Brüder gesehen haben, wie sie aus dem brennenden Haus stürmten und sich dann wie Sportler freudig abklatschten.

Weil Menschenleben gefährdet wurden, verjährt das Verbrechen erst 2015

2009 gab es wegen seiner Beschwerde tatsächlich eine Wiederaufnahme. Man habe alles noch einmal genau geprüft, doch es gebe eben „Zweifel an der Beweiskette“ des Richters, sagt die Sprecherin der Hamburger Staatsanwaltschaft. Eine Auftragsbrandstiftung – wie von Kaub aufgeführt – sei nicht „anklagesicher“ zu belegen, heißt es auch in der Einstellungsverfügung.

Doch das überzeugt Richter Kaub nicht. Er wirft der Staatsanwaltschaft langjährige „Untätigkeit“ vor. Die Einstellung sei reines „Eigeninteresse“, um davon abzulenken und das Gesicht zu wahren, sagt er.

Heute steht auf dem Gelände der beiden abgebrannten Altbauten ein neues Haus mit Eigentumswohnungen und schicken Läden. Die Brandstiftung ist immer noch nicht aufgeklärt. Weil dabei aber das Leben von Menschen riskiert wurde, gilt das Verbrechen als besonders schwer und verjährt erst nach zehn Jahren. Noch können sich die Täter also nicht sicher sein.