Es geht um Projekte in Höhe von 640 Millionen Euro. Viele gehören zum Verkehrsbereich. Behörde spricht von einem „üblichen Vorgang“. Bei Baumaßnahmen könnten Verzögerungen auftreten.

Hamburg. Mal sind es 15,43 Euro zwecks „Unterhaltung Grundstücke und bauliche Anlagen“, mal 15 Millionen Euro für die seit Jahren fertiggestellte S-Bahn zum Flughafen, mal fast 30 Millionen für die Erschließung der HafenCity: Allein im Bereich Wirtschaft und Verkehr schiebt die Stadt Ausgaben von mehr als einer halben Milliarde Euro vor sich her, für die sie längst grünes Licht von der Bürgerschaft bekommen hat.

Wie aus der Antwort des Senats auf eine Kleine Anfrage der FDP-Bürgerschaftsabgeordneten Wieland Schinnenburg und Thomas-Sönke Kluth hervorgeht, hat die Behörde für Wirtschaft, Verkehr und Innovation (BWVI) von 2012 auf 2013 „Haushaltsreste“ in Höhe von 640 Millionen Euro übertragen. Im Vergleich zum Vorjahr ist diese Summe um gut 62 Millionen Euro gestiegen. Damit entfallen auf den Bereich von Wirtschaftssenator Frank Horch (parteilos) rund ein Viertel der Haushaltsreste von insgesamt 2,3Milliarden Euro. „Seit Jahren schiebt die Behörde riesige Summen vor sich her, die für konkrete Maßnahmen geplant waren, aber noch nicht zur Umsetzung kamen“, kritisiert Schinnenburg. „Allein im Bereich Verkehr sind das mehr als 500 Millionen Euro, die lieber in den Ausbau der Infrastruktur fließen sollten.“

So wurden laut Senat 11,9 Millionen Euro zur Förderung des Radverkehrs, 11,4 Millionen für die „Sicherheitstechnische Nachrüstung von städtischen Verkehrstunneln“ und gut 32Millionen Euro für den „Behindertengerechten Ausbau von Schnellbahn-Haltestellen“ von 2012 auf 2013 verschoben – die Liste umfasst mehr als 150 Positionen. Dass konkrete Projekte sich mal verzögern, sei ja verständlich, so der FDP-Politiker, aber die Dimension sei „erschreckend“.

Kluth ärgert sich vor allem darüber, dass Fördermittel von 8,4 Millionen für die Innovationsregion Hamburg und 6,7Millionen für das Luftfahrtcluster noch nicht ausgegeben wurden. „Statt konkrete Mittelstands- und Innovationsförderung zu betreiben, bindet der Senat Personal und Geld für unproduktive Strukturveränderungen wie die Hamburgische Investitions- und Förderbank“, so der FDP-Wirtschaftsexperte. „Mit seiner Wirtschaftspolitik im Schneckentempo wird Senator Horch zum Risikofaktor für den Wirtschaftsstandort Hamburg.“

Den Vorwurf weist die Behörde zurück. Bei Baumaßnahmen, von denen sie naturgemäß sehr viele durchführe, könnten im Planverfahren sowie durch Kampfmittelsondierung und -räumung Verzögerungen auftreten. „Auch äußere Faktoren wie Wetterbedingungen und die Auslastung der Baubranche beeinflussen den Fortschritt von Maßnahmen“, so Sprecherin Susanne Meinecke. „Der Menge an Bau- und Sanierungsmaßnahmen im Straßenraum sind im Übrigen enge Grenzen gesetzt, da zu viele Baustellen zur gleichen Zeit zu erheblichen Verkehrsbehinderungen führen und wir die Stadt nicht lahmlegen wollen.“

Die Übertragung von Haushaltsresten ähnelt dem Prinzip „Resturlaub“

Die Übertragung von Haushaltsresten ist in öffentlichen Etats üblich und ähnelt dem Prinzip „Resturlaub“: Die Bürgerschaft ermächtigt mit der Zustimmung zum Haushalt den Senat, innerhalb eines Jahres eine bestimmte Summe für einen ganz bestimmten Zweck auszugeben, zum Beispiel 100Millionen Euro für den Bau der Elbphilharmonie. Kann das Geld in dem Jahr nicht ausgegeben werden – wie es bei dem Konzerthaus der Fall war, weil der Bau wegen juristischer Auseinandersetzungen ruhte –, darf diese Ermächtigung auf das kommende Jahr übertragen werden. Entfällt aber der Anlass der Ausgabe, muss auch der Haushaltsrest aufgelöst werden. So streicht die BWVI auch etliche Posten, beispielsweise 943.000 Euro, die für die Nutzung des ehemaligen Hafenbahntunnels in Altona eingeplant waren.

In jedem Fall dürfen Reste nur für den ursprünglich vorgesehenen Zweck verwendet werden. Die Finanzbehörde sieht das Prinzip positiv, weil es die Sparsamkeit fördere, so Sprecher Daniel Stricker. „Das Steuergeld muss nicht unbedingt ausgegeben werden, es darf bei sparsamer Haushaltsführung gerne etwas übrig bleiben.“

Durch die in den 1990er-Jahren geschaffene Möglichkeit der Übertragung einer Ausgabe entfalle das „Dezember-Fieber“: Bis dahin war es in vielen Behörden üblich, das zur Verfügung stehende Geld am Jahresende auf jeden Fall auszugeben, um für das kommende Jahr nicht weniger zu bekommen. Die Kehrseite des Restverfahrens sind jedoch explosionsartig steigende Haushaltsreste: Allein von 2008 bis 2010 (damals regierte Schwarz-Grün) sind sie von gut einer auf knapp zwei Milliarden Euro gestiegen. 2012, damals waren es gut 2,2 Milliarden, hatte Finanzsenator Peter Tschentscher (SPD) angekündigt, den Anstieg bremsen zu wollen. Das gelingt zum Teil: Die Summe der auf 2013 übertragenen Reste dürfte bei etwa 2,3Milliarden Euro liegen. Das „Resteübertragungsverfahren“ ist noch nicht abgeschlossen.