Hamburg Wohnlich ist es geworden in der Küche: An den Wänden hängen Bilder aller Art, die Holzregale sind gefüllt mit Kochbüchern von „Vollkornküche“ bis „Vegetarisch kochen“. Um den Esstisch stehen zwei Sofas, auf denen man so tief einsackt, dass die Tischplatte etwa bis zur Schulter reicht. Gordon macht das nichts. Er hat es sich an diesem Vormittag mit einem Kräutertee gemütlich gemacht und liest in der „Jungen Welt“. Seine bunte Wollmütze hat er sich tief ins Gesicht gezogen. Es zieht ein bisschen. Noch hat er die Küche ganz für sich allein. Aber das kann sich schnell ändern.
Der 40-Jährige ist einer von rund 140 Mitgliedern des Künstlerkollektivs Frappant e. V. , die hier in der ehemaligen Viktoria-Kaserne arbeiten und teilweise auch leben. Maler, Musiker, Grafiker, Schneider und viele mehr. „Aus jedem Bereich ist jemand dabei“, sagt Gordon. Er selbst ist Maler. In seinem Atelier im ersten Stock arbeitet er mit Ölfarbe. Abstraktes und Buntes. Genau wie die meisten Frappantler ist er hier Mieter. Und bald könnten sie sogar Eigentümer werden. Die Stadt hat ihnen das denkmalgeschützte Gebäude zum Verkauf angeboten. 1,8 Millionen Euro sind dafür angesetzt. Kein schlechter Preis für rund 9500 Quadratmeter. Das meint auch Gordon. „Eigentlich finden wir das richtig gut.“ Eigentlich.
Aber ganz so einfach ist es nicht. Das war es von Anfang an nicht. Gordon hat schon zwei Umzüge mitgemacht. Damals, als an der Reeperbahn die Tanzenden Türme gebaut werden sollten, mussten sie an die Große Bergstraße ziehen. Vor rund drei Jahren war auch da Schluss. Das Frappant-Gebäude, in das sie gezogen waren, ist längst abgerissen. Hier entsteht die erste innerstädtische Ikea-Filiale Deutschlands. Die Viktoria-Kaserne zu beziehen war ein Angebot der Stadt. Zu günstigen Konditionen: Durch Subventionen der Kulturbehörde zahlen die Künstler hier einen sehr niedrigen Mietpreis: 5,25Euro pro Quadratmeter. Eigentlich alles gut. Wäre da nicht die Tatsache, dass das Gebäude, das Ende des 19. Jahrhunderts gebaut wurde, nicht mehr so in Schuss ist. „Der Putz bröckelt, die Fenster sind teilweise kaputt, und die Steine fallen manchmal schon von ganz allein aus der Fassade“, sagt Gordon.
Die Fragen, in welchem Umfang hier saniert werden muss, und vor allem, wer die Kosten dafür übernimmt, werden am Ende wohl entscheiden, ob der Kauf zustande kommt. Im Raum stehen Sanierungskosten in Höhe von rund vier Millionen Euro – mindestens. Die Stadt meint, die Instandhaltung sei Sache der Künstler. Die sehen es genau umgekehrt.
Gordon mag eigentlich nicht schimpfen. Er glaubt, dass die 1,8 Millionen „ein Schnäppchen sind“. Aber dem Finanzamt mag er nicht trauen. „Am Ende sind doch wir die Blöden“, meint er. Philip kommt in die Küche. Er wird deutlicher: „Es kann doch nicht sein, dass die Stadt das Gebäude hier jahrelang vergammeln lässt und dass das jetzt an uns kleben bleibt.“ Dann setzt er nach: „Und das wird dann noch als Kulturförderung verkauft.“
Bei der Finanzbehörde äußert man sich zu der Sanierungsfrage nur knapp: „Wir haben dem Verein ein Angebot unterbreitet, das einen Verkauf im unsanierten Zustand vorsieht.“ Ob man sich dennoch einig wird, ist unklar. Von der Kulturbehörde, zu der auch das Denkmalschutzamt gehört, sieht man derzeit keinen dringenden Handlungsbedarf. Sprecher Enno Isermann sagt jedoch einschränkend, dass er auch schon länger nicht mehr vor Ort gewesen sei. „Grundsätzlich ist es aber so, dass der Eigentümer dafür zuständig ist, dass das Denkmal von der Bausubstanz her erhalten bleibt.“ Und hier sieht Gordon das Problem: „Wenn die Stadt Eigentümer bleibt und die Sanierung vornimmt, steigen danach die Mieten. Wenn wir Eigentümer werden, müssen wir die Sanierungskosten tragen.“
Eine Arbeitsgruppe, die aus dem Frappant-Verein hervorgegangen ist, diskutiert derzeit den Kaufvertrag, die daran geknüpften Bedingungen, und arbeitet ein mögliches Finanzierungskonzept aus. „Wir denken über eine Finanzierung über eine Genossenschaft nach“, sagt Daniel Behrens, Vorstandsmitglied von Frappant e.V. Die wollen sie gemeinsam mit „Lux und Konsorten“ – ein befreundeter Verein, der sich für günstigen Gewerberaum einsetzt – gründen. Geplant ist ein Konzept, das eine Mischung aus Kunst und Gewerbe vorsieht. Behrens ist guter Dinge, dass am Ende eine Lösung gefunden wird. „Wir gehen davon aus, dass die Stadt auch ein Interesse daran hat, uns mit unserem Konzept in der Viktoria-Kaserne zu halten.“
Das hofft auch Gordon. Mittlerweile ist er längst nicht mehr allein in der Küche. Eine junge Frau kocht Nudeln, ein anderer macht sich Erbseneintopf in der Mikrowelle warm. Gordon will das nicht mehr missen. „Wir fühlen uns alle sehr wohl hier“, sagt er. Keiner widerspricht.
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