Sinstorfer Schüler hatten sich schon während Klassenfahrt Lehrerin anvertraut. Der beschuldigte Lehrer selbst hatte bis vor wenigen Jahren noch an einem anderen Gymnasium im Stadtteil Heimfeld unterrichtet.

Hamburg. Es herrschte gedrückte Stimmung am Immanuel-Kant-Gymnasium in Sinstorf, als am Mittwochvormittag die Schüler gegen 11 Uhr in die großen Sommerferien geschickt wurden. Viele Schüler, aber auch viele Eltern hatten erst an dem Tag von den Vorwürfen gegen einen 46-jährigen Lehrer der Schule erfahren, der in der vergangenen Woche mit Schülern einer fünften Klasse auf Sylt war. Er soll sich während der Klassenreise an Jungen vergriffen haben. Der Lehrer war von der Behörde sofort beurlaubt worden.

Eltern haben die Vorwürfe gegenüber dem „Abendblatt“ mittlerweile konkretisiert. Der Lehrer soll sich unter anderem mit Jungen in Zimmer zurückgezogen und sie dort betätschelt haben oder sich Schülern zusammen unbekleidet gezeigt haben. Die Kinder hätten Energydrinks getrunken, weil sie Angst gehabt hätten einzuschlafen. Angeblich sollen sich die Jungen bereits frühzeitig an ihre Klassenlehrerin gewandt haben, die auf der Reise nach Sylt mit dabei war. Auch Schüler einer zehnten Klasse seien mit auf Sylt gewesen, die, so hieß es aus dem Kreis der Eltern, „mit der Situation völlig überfordert waren“. Die Lehrerin hatte kurz nach der Rückkehr die Klasse abgegeben und sich von ihren Aufgaben als Klassenlehrerin entbinden lassen.

Schulsenator Ties Rabe (SPD) widersprach Berichten, wonach Eltern ihre Kinder von der Insel abgeholt hätten. „Die Klassenreise ist vergangenen Freitag ordnungsgemäß beendet worden“, sagte Rabe. Mit dem Zug seien die Kinder zurück nach Hamburg gekommen. Am Sonnabend hätten die Eltern dann Strafanzeige gegen den Lehrer gestellt. Die Behörde habe daraufhin veranlasst, dass Schülern und Lehrern Hilfe angeboten werde. „Ich darf sagen, das ist ein schwieriger Zwischenfall, der sehr bedauerlich ist“, sagte Rabe.

In Hamburg sind solche Vorkommnisse Einzelfälle. Im vergangenen Jahr war ein Lehrer verurteilt worden, der mit einer Schülerin eine Beziehung hatte. Der Pädagoge verlor nicht nur seine Stellung, sondern auch seinen Beamtenstatus.

Im aktuellen Fall wartet die Schulbehörde die Ermittlungen der Polizei ab. Deren Ergebnis, so der Sprecher der Schulbehörde, Peter Albrecht, sei ausschlaggebend für die weitere Verfahrensweise. Sollten sich die Vorwürfe erhärten, drohe dem Lehrer von Seiten der Schulbehörde ein Disziplinarverfahren. Wird er in einem Gerichtsverfahren zu einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr verurteilt, würde der Mann seinen Beamtenstatus verlieren.

Der beschuldigte Lehrer selbst hatte bis vor wenigen Jahren noch an einem anderen Gymnasium im Stadtteil Heimfeld unterrichtet. Von dort war er nach Sinstorf versetzt worden. Die Versetzung, so Albrecht, habe aber nichts mit Vorkommnissen zu tun gehabt, die irgendwie mit einem Missbrauchsverdacht im Zusammenhang standen. Die zuständige Dienststelle im Landeskriminalamt wird jetzt die betroffenen Kinder, andere Schüler, die mit auf Sylt waren, aber auch den beschuldigten Lehrer anhören. Von dem Ergebnis der Vernehmungen wird abhängen, ob das Verfahren gegen den Lehrer eingestellt wird oder ob sich der Mann wegen der jetzt vorgebrachten Vorwürfe vor Gericht verantworten muss.

„Schule ist kein Raum, der frei von Sexualität ist. Das muss man sich immer wieder bewusst machen“, sagt Wolf-Reinhard Kemper, Kriminologe an der Leuphana Universität Lüneburg. „Pädagogische Berufe, egal ob in Schule, bei der Kirche oder Jugendhilfe, haben schon immer auf Menschen mit einer pädophilen Neigung einen Reiz ausgeübt.“ Es gebe aber keine Häufung. „Das ist schon seit Jahrhunderten so“, sagt Kemper. „Nach unseren Erkenntnissen gibt es in dem Bereich auch keine signifikante Steigerung.“ Grundsätzlich komme es immer wieder vor, dass Betreuer, die bislang nicht auffällig waren, in Missbrauchsfälle verstrickt seien. „Es kann zu Situationen kommen, von denen für sie ein ganz besonderer Reiz ausgeht, der dann Auslöser dafür ist“, so Kemper. „Betreuer von Kindern haben deshalb eine ganz besondere Verantwortung. Deshalb ist es auch so wichtig, dass man sich mit dem Thema auseinandersetzt.“ Es gebe aber auch Fälle, in denen Beschuldigungen von Schülern ganz gezielt eingesetzt würden, um beispielsweise Lehrer zu diskreditieren. „Dann geht es beispielsweise um Noten oder um Rache für angeblich schlechte Behandlung“, so Kemper.