Mehr Zeit bleibt nicht. Für die Recherche und für das Aufschreiben dieser Reportage. Ein höchst persönlicher Blick in die Spielbank Hamburg, der dem Verfasser am Ende doch noch unerwartetes Glück beschert.

Das ist ja nett: In der Tiefgarage der Spielbank sind die Stellplätze als Roulettezahlen markiert. Schwarz und Rot, schön abwechselnd. Die 1 ist frei. Ein Zeichen?

Nebenan parken zwei metallicfarbene Maserati mit Wiesbadener Kennzeichen. Bis zum Besitz einer solchen Schleuder ist es noch ein weiter Weg. Aber man ist ja nicht nur zum Vergnügen hier. Ist schließlich ein dienstlicher Auftrag. Gibt Schlimmeres.

Hinauf ins Erdgeschoss. Im Fahrstuhl ordnet ein mittelalter Mann mit Haarkranz und hellblauem Seidensakko ungeniert sein fettes Geldbündel. Munition für einen Großangriff? Am Empfang sitzen drei charmante Damen in Schwarz. "Willkommen im Casino Esplanade", flötet die eine, scannt den Perso, hackt irgendetwas in ihren Computer und überreicht ein Tagesticket. Zwei Euro kostet der Spaß.

Los geht's. Mit 65 Euro Bargeld in der Tasche und 65 Minuten Zeit auf der Uhr. Und womit startet man in Minute eins? Mit eben dieser Zahl am Roulettetisch natürlich.

Wobei Tisch relativ ist: Wie in einem Großraumbüro stehen sechs Sitzreihen à vier Plätze in Reih und Glied. Es darf geraucht werden. Vor jedem Ledersessel befindet sich ein großer Monitor mit einem virtuellen Roulettekessel. "Einsätze bitte", sagt eine elektronische Stimme.

Ich schiebe einen 20-Euro-Schein in einen blau blinkenden Schlitz rechts unten. Im Nu ist er geschluckt. Die Kugel auf dem Bildschirm kullert los und landet nach ein paar Umdrehungen auf der 17. Keiner der Mitspieler lässt sich auch nur die kleinste Regung anmerken. Total cool und skurril das Ganze. Auch danach ist die 1 weit weg vom Gewinn. Knapp ein Drittel des Einsatzes ist dahin. Und das nach nur fünf Minuten.

Zurück in den großen Eingangssaal. In Inselform blinken alle möglichen Automaten verlockend. Überall surrt, quietscht und trillert es. Welch Wunder, ist doch hier quasi die Mutter aller Daddelhallen. Ein bunt flackernder Kasten namens Panda King frisst zehn Euro. Auf einer Walze rotieren Lotusblüten, Wasserfälle und Tempel. Leider nie so nebeneinander, dass es sich lohnen würde. Adé, du schöner Zaster. Eine gute Viertelstunde ist schon verspielt. 30 Euro ebenfalls.

Über den dicken roten Teppich und vorbei an drei Seniorinnen (zwei davon mit Hut!) führt der weitere Weg zu einer Reihe automatischer Banditen. Der Delfin-Tresor reizt mit rasenden Seesternen, Kraken und Wasserschildkröten besonders. Hinein die Marie! Fünf Euro. O Schreck, in zwei Minuten sind sie weg. Bis auf einen Rest von 40 Cent - digital angezeigt. Nach Druck auf den Auszahlungsknopf tut sich nichts. Dafür blinkt oben am Gerät eine Signallampe? Fragende Blicke. "Da kommt gleich einer", murmelt der Nachbar mit Kippe im rechten Mundwinkel.

Tatsächlich naht ein junger Mann mit gestreiftem Hemd, Krawatte und gewinnendem Lächeln. "Da kann man nichts machen", meint er schulterzuckend. "40 Cent können leider nicht ausgezahlt werden." Als Entschädigung bietet er einen Freidrink an. Danke schön, lieb gemeint, aber jetzt nicht. Die Zeit drängt.

Aber wo kann man richtig Roulette spielen, mit echter Kugel und einem Croupier? Der freundliche junge Mann deutet auf einen gläsernen Fahrstuhl. Aufwärts in den ersten Stock.

Oben ist es so, wie man sich Casino vorstellt. Viele Tische mit großen Kesseln, weibliches und männliches Personal in Schwarz, wuselnde Menschen, gedämpftes Licht - und sehr viel Schweigen. Monte Carlo oder der zockende James Bond, so der erste Eindruck, sind Lichtjahre entfernt. Rassige Frauen mit Netzstrumpfhosen oder schicke Hasardeure im Smoking hängen nur an der Wand. Also Kunstfotos. Das reale Publikum ist wenig auffällig. "Das könnte hier auch ein Betriebsausflug der Handelskrankenkasse sein", übermittelt der bösere Teil des Hirns. "Ist doch schön, wenn auch das normale Volk Einzug ins Casino gehalten hat", befindet der gutmütige Teil.

Zwar tragen die Männer wohl alle Jacketts, doch das war's auch schon an Kleiderordnung. Sogar speckige Jeans und Sportschuhe gehen durch. Und das auf rotem Kuschelteppich!

Noch 35 Minuten mit 30 Euro am Mann. 20 davon tauscht ein höflicher Herr an der Kasse in vier Jetons. Neben ihm steht eine Zählmaschine, und auf dem Schrank nebenan liegen vier Geldsäcke. Der Blick macht Appetit. Da muss doch was gehen!

Als sturer Hanseat bleibt man bei der einmal gewählten Glückszahl. Fünf Euro auf die 1. Und da es die Abendblatt-Geburtstagszahl 65 nicht gibt, wandern weitere Jetons auf die 5 und die 6. Rien ne va plus. Stimmt leider wortwörtlich. Nichts geht mehr: Es fällt die 19. Nicht schön. Die adrette Croupierin (oder heißt das auch Croupier?) mit dem blonden Lockenkopf lächelt entgegenkommend.

Doch auch beim nächsten Lauf ist die 1 weit weg vom Geschehen. Ein Mann am Stehtisch nebenan macht sich eifrig Notizen. Vielleicht sucht er nach dem Rhythmus der Kugel oder nach dem mathematischen Sinn des Ganzen? Teelichter flackern in roten Leuchtern.

Die Kugel rast. Und die Zeit rennt. Noch eine halbe Stunde bis zum Abpfiff dieser unterhaltsamen, indes nervenaufreibenden Aktion. Vis-à-vis der Black-Jack-Tische, die heute mangels fehlender Regelkunde und einer gewissen Eile umkurvt werden, wartet eine in Orange illuminierte Bar. Spargelsuppe und Saibling stehen auf der Tageskarte. In einer Vitrine stehen drei Himbeer- und drei Blaubeertörtchen, akkurat aufgereiht. Mit einer Cola light geht es hinaus auf die Terrasse.

Diese entpuppt sich als Paradies im Herzen Hamburgs. Mit Blick auf Dammtor, Wallanlagen und Stephansplatz lässt sich vortrefflich ein Moment Ruhe tanken.

Ein Blick in die Karte dokumentiert zivile Preise. Ein Null-drei-Köpi vom Fass kostet 3,20 Euro, ein Kurzer Helbing Kümmel 1,90 Euro, eine Dose High Energy 4,90 Euro. Wenn's hilft!

Wer es mag und es sich leisten kann, ordert ein Gläschen Hennessy Richard für 59,90 Euro. Und auch Champagner der Marke Methusalem von 1998 ist im Angebot. Die Magnum-Flasche mit sechs Litern kostet 14.990,90 Euro. Ob das schon mal ein Großgewinner für seine Kumpels springen ließ, um so die Puppen tanzen zu lassen? Oder ist ein Druckfehler? Oder ein Gag? Ein Mann am Nebentisch sucht das Gespräch. Er ist gefrustet hoch drei, verflucht das Glücksspiel im Allgemeinen und die von ihm gesetzten Zahlen im Besonderen. Nichts wie weg, zumal die Besuchszeit zu Ende geht. Kurs Ausgang.

Zum Abschied locken wieder blinkende Automaten. Kurzentschlossen wird der definitiv letzte Zehn-Euro-Schein dieses Tages einem rotierenden, goldenen Pharao geopfert. Zum Dank für die Gabe spielt er ein Liedchen. Außerdem beschert er auf seinen Walzen vier Schatztruhen fast in einer Reihe.

Plötzlich beginnt der Pharao lautstark zu piepen. Eine Art Siegesfanfare ertönt. Volltreffer!

Die gute Nachricht folgt: Es gibt das 22.000-fache des Einsatzes. Die mäßige Nachricht: Der von mir unbewusst gewählte Einsatz betrug nur einen lächerlichen Cent. Erstaunlich, was es hier alles gibt. Auszahlungsknopf. Wieder Blinklicht.

Wie gerufen erscheint ein Bediensteter mit Aufseherin und überreicht 220 Euro in Scheinen. Der Kasten spuckt nur bis 150 Euro aus, sagt er. Darüber gibt es Cash vom Personal. Gut so. Danke, lieber Pharao.

Bester Dinge geht's hinaus. Der Abend ist gelaufen - und ein Problem mit Fortunas Unterstützung umschifft. Hätte der Kassenwart der Redaktion das Spielkapital von 65 Euro als Spesen anerkannt? Neues Spiel, neues Glück. Und Tschüs!