Ex-Gruner+Jahr-Chef Bernd Kundrun ist Mitgründer des Projekts. Der promovierte Wirtschaftswissenschaftler berät und finanziert Firmenwinzlinge mit einer Handvoll Beschäftigten.

Hamburg. Das Internet bringt für viele Menschen Neuerungen mit sich, große und kleine Veränderungen, offensichtliche und schleichende. Einige buchen ihr Flüge heute online anstatt im Reisebüro, andere verkaufen ihre CD-Sammlung und hören Musik nur noch im Netz – doch im Falle von Bernd Kundrun hat es das ganze Leben umgekrempelt. Der 55-Jährige arbeitete von 2000 bis 2009 als Vorstandsvorsitzender von Gruner + Jahr, gehörte damit zu den mächtigsten Medienmanagern Europas und war verantwortlich für mehr als 10.000 Mitarbeiter und Titel wie „Stern“, „Geo“ oder „Brigitte“. Unterschiedliche Auffassungen über die Firmenstrategie setzten seinem Engagement bei dem Verlag damals ein Ende.

Heute berät und finanziert der promovierte Wirtschaftswissenschaftler Firmenwinzlinge mit einer Handvoll Beschäftigten, spricht mit jungen Unternehmern, die eben noch im BWL-Hörsaal an der Uni saßen und jetzt „irgendwas mit dem Internet“ gründen: Bernd Kundrun investiert in die Zukunft. „Wenn man das Internet mit dem Lebensalter vergleicht, haben wir es hier mit einem drei bis vier Jahre alten Kind zu tun“, sagt Kundrun über die Chancen in seinem neuen Leben.

Der groß gewachsene, grauhaarige Manager sitzt im Büro von Hanse Ventures in der Hafen City, eine Start-up-Schmiede, die eigene Geschäftskonzepte im Internet entwickelt und diese mit geeigneten Gründerteams umsetzt. Unterstützung gibt es von Hanse Ventures außerdem beim Personal, im Marketing oder bei der Suche nach Investoren. Zusammen mit dem Musikmanager Rolf Schmidt-Holtz gehört Kundrun seit dem Jahr 2010 zu den Gründungsgesellschaftern des Hamburger Inkubators. Zu den Unternehmen, die Hanse Ventures seitdem auf den Weg gebracht hat, zählen Toptranslation.com, eine Übersetzungsagentur für den Bedarf von Firmen, Pflege.de, ein Serviceportal für Pflege und Wohnen im Alter oder 1000 Kreuzfahrten.de, ein Buchungsportal für Kreuzfahrten. Jetzt will der Inkubator noch einmal richtig Gas geben. In den nächsten Monaten will Hanse Ventures 100 neue Arbeitsplätze in drei bis vier neuen Firmen schaffen. Pro Start-up fließen dann noch einmal rund drei Millionen Euro in die Gründung, allein im ersten Jahr.

Es sei eben noch längst nicht alles abgegrast im weltweiten Netz, die Situation sei vergleichbar mit der Zeit zur Erfindung der Drucktechnik, als gerade einmal die Bibel und ein paar Kaufmannsbriefe als erste Massenmedien gedruckt wurden, ist Kundrun überzeugt. Einige Felder seien zwar schon besetzt, wie etwa das Bezahlen über das Smartphone, ergänzt Hanse-Venture-Geschäftsführer Jochen Maaß. Großes Potenzial biete das Internet aber beispielsweise in allen Bereichen, in denen das Netz das reale Business von Firmen effizienter gestalten könne, etwa in der Logistik. Zu viel wollen beide über die neuesten Projekte aber noch nicht verraten, die Konkurrenz schläft vermutlich nicht. Grundsätzlich gelte es, innovative Ideen schnell umzusetzen, während sich große Konzerne auf das Bewahren und ihr Kerngeschäft konzentrierten, ist Maaß überzeugt. Später könnten beide Welten wieder zusammengeführt werden.

Schließlich sind der Verkauf der neu gegründeten Firmen an andere Unternehmen oder ein Börsengang letztlich auch die Instrumente, welche Inkubatoren wie Hanse Ventures die Einnahmen und das längerfristige Fortbestehen sichern. Auch wenn viele Business Angels wie Xing-Gründer Lars Hinrichs oder Heiko Hubertz von Bigpoint als Multi-Millionäre in das Business der Start-up-Helfer eingestiegen sind – irgendwann erwarten die Investoren, dass sich ihr Engagement auch wieder auszahlt.

Das ist in Hamburg nicht anders als im Silicon Valley, wo die Summen allerdings ungleich größer sind: Dort fließen pro Quartal mehrere Milliarden Dollar in junge Internet-Firmen. In Berlin erreichte die Summe im gesamten Jahr 2012 insgesamt gut 133 Millionen Euro. Ein Großteil davon entfällt auf die Samwer-Brüder, die Unternehmen wie Zalando und Trivago unterstützen und damit großen Traditionsfirmen wie Otto oder Görtz das Leben schwer machen. Auch im Wettbewerb mit Berlin sieht Kundrun sein Engagement bei Hanse Ventures, schließlich gilt die Hauptstadt bei jungen Leuten als hipp und zieht damit eine Menge Talente an. „Wir müssen uns bewusst machen, dass kein anderer Rohstoff unseren Wohlstand so sehr beeinflussen kann wie Menschen mit ihren Ideen“, ist Kundrun überzeugt.

Der Blick aus dem Büro von Hanse Ventures fällt auf die Elbphilharmonie, der Flur führt auf eine große Dachterrasse. An warmen Sommerabenden ist das Sonnendeck der ideale Platz zum Grillen und ein lockerer Treff zwischen den jungen, hungrigen Leuten und dem Mann aus der „alten“ Medienwelt mit ihren gedruckten Zeitschriften und zurückgehenden Verkaufszahlen.

Kundrun erinnert sich an seine einstige Arbeit: „Egal, wie weit oben Sie angesiedelt sind, in einem großen Apparat entscheidet der Apparat vieles.“ Jetzt, sagt Kundrun lächelnd, setze er selber die Prioritäten, arbeite als Mitinhaber „selbst und ständig“. Zusammen mit den Gründern könne er bei null anfangen, Ideen entwickeln und dabei eine weitaus größere Dynamik und Geschwindigkeit entfalten als in einem Großkonzern, sagt der Familienvater und Philosophie-Fan begeistert.

Zwar gehört auch bei den Babys von Hanse Ventures das Scheitern bestimmter Projekte zum Leben dazu. So hat der Inkubator gerade den Geschäftsbetrieb der Fastforward RSA GmbH eingestellt. Die Firma war im Bereich der Lokalisierungsdienste für Smartphones aktiv und hat hier nicht so recht Fuß fassen können.

Im Vergleich zu den Baustellen bei Kundruns früherem Arbeitgeber ist dieses Ende eines Unternehmens allerdings recht überschaubar. Schließlich hat Gruner + Jahr vor noch nicht allzu langer Zeit die Wirtschaftszeitung „Financial Times“ eingestellt, 300 Mitarbeiter verloren ihren Arbeitsplatz.