So verheerend die Zerstörungen, so ermutigend sind Hilfsbereitschaft und Engagement

Deutschland bekommt dieser Tage eine Lehrstunde in Demut. Die Gebiete an Donau, Saale oder Elbe spüren die Wucht des Wassers, die Brutalität der Natur. Das hoch industrialisierte Deutschland, einer der am besten organisierten Staaten, verliert den Kampf mit den Fluten. Eine Extremwetterlage wie Ende Mai mit einem Kaltluftberg über Süddeutschland genügt, um Alltag und Sprache aus den Angeln zu heben. 2002 durchlitten die Anrainer der Elbe eine sogenannte Jahrhundertflut - elf Jahre später folgt nun eine noch verheerendere Jahrtausendflut.

Die Regenmassen sind so groß, dass sich alle Wasserstandsvorhersagen als bessere Kaffeesatzleserei entpuppt haben. Mitte der vergangenen Woche prophezeiten Experten den Elbestädten jenseits von Geesthacht Rekordüberschwemmungen; zum Ende der Woche schraubten sie ihre Prognosen deutlich zurück, um nun doch Pegelstände zu messen, die bis vor wenigen Tagen kaum jemand für möglich gehalten hätte. Deutschland kämpft mit Fluten, die sich auch mit modernster Technik kaum noch bändigen lassen: In Lauenburg beispielsweise hielten die imposanten Sandsack-Barrieren dem Druck zwar bislang stand, doch die Fluten suchten sich den Weg durch die Kanalisation. Die Urgewalt der Natur überwand die Technik der Hochleistungspumpen, die Helfer mussten die Altstadt am Nachmittag aufgeben.

Doch Demut ist nicht die einzige Lehre aus einer Wetterlage, die Mitteldeutschland optisch in ein Amazonas-Delta verändert hat. Der Mensch hat der Flut erst den Weg bereitet. Die Versiegelung der Landschaft, Flussbegradigungen und der Verlust der Auen verstärken die Überschwemmungen, weil das Wasser ungebremst abfließt. Und die Anrainer selbst haben schlimme Fehler begangen. Notwendige Sicherungsmaßnahmen unterblieben, höhere Deiche, neue Brücken oder Flutwände scheiterten an Einsprüchen und Klagen von Bürgerinitiativen. Das Wetter mag für die Flut verantwortlich sein, die Menschen aber sind verantwortlich für die Katastrophe.

Einmal mehr zeigt sich, dass nationale Lösungen nicht ausreichen, um die Flut zu bändigen: Tschechien etwa hat, um Prag zu schonen, zu viel Wasser aus der Moldaukaskade in die Elbe geleitet und damit die Scheitelwelle erhöht. Österreich wiederum macht die deutsche Politik für ihr Hochwasser mitverantwortlich. Zu oft reguliert St. Florian die Pegelstände - was dem einen nützt, kann dem anderen schaden. Und Sicherungen am Oberlauf verlagern das Problem oftmals nur in Richtung Flussmündung - für die Elbe heißt das: nach Hitzacker, Lauenburg, Boizenburg.

Und doch ist die größte Lehre der Flut die gelebte Solidarität. Die beeindruckenden Bilder von Donau, Saale und Elbe zeigen Zehntausende freiwillige Helfer, die bis zur Erschöpfung Sandsäcke füllen und Schutzwälle errichten, sie zeigen Gemeinden, die als Gemeinschaften funktionieren, sie zeigen ein Gemeinwesen, in dem eben nicht Plünderer und Schaulust, sondern Helfer und Tatkraft regieren. Die Hilfe beweist auch, wie unverzichtbar die Bundeswehr ist. Deich- und Landesverteidigung fließen ineinander.

Und noch etwas spülen die Fluten frei: Solidarität erschöpft sich nicht mit dem Zahlen des Solidaritätszuschlags. Wie schon bei der Oderflut 1997 oder dem Elbehochwasser 2002 sind die Deutschen bereit, für die Opfer zu spenden. Vor elf Jahren kamen rund 500 Millionen Euro zusammen, allein in Hamburg waren es 13 Millionen. Langsam laufen neue Hilfsprogramme an. Ob Benefiz-Gala, Solidaritätskonzerte, Fußballspiele oder kleinste Privatspenden, das Geld hilft den Betroffenen, besser und schneller mit den immensen Schäden fertigzuwerden.

Wenn das Wasser geht - das bleibt.