Edda Castelló wird heute von Bundesministerin Aigner für ihren jahrzehntelangen Kampf gegen Ungerechtigkeit und für Benachteiligte geehrt.

Hamburg. Selten lässt sich ein Erfolg im Verbraucherschutz so in Euro und Cent ablesen wie bei vorzeitig gekündigten Lebens- und Rentenversicherungen: Die Allianz zahlt 906,23 Euro an Herrn H. Generali erstattet 1884,25 an Herrn L. Der Deutsche Ring überweist 900 Euro an Frau K. Fast jeden Tag listet die Internetseite der Verbraucherzentrale Hamburg neue Beispiele auf. Hunderte sind es inzwischen. Wer aus seinem Vertrag vorzeitig ausgestiegen ist, hat Anspruch auf eine Nachzahlung. Für die Lebensversicherer ist das ein Milliardendesaster, für Edda Castelló, Leiterin der Abteilung Geld und Recht bei der Verbrauchzentrale Hamburg, ihr größter Erfolg.

Und der wird heute Abend in Berlin gekrönt. Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner überreicht Edda Castelló den Bundespreis Verbraucherschutz in der Kategorie Persönlichkeiten. "Ich war sehr überrascht, als ich davon erfuhr", sagt sie. "Eine klasse Sache", schiebt sie nach. Ein Lächeln huscht über ihr Gesicht. "Es ist schon ein ungleicher und mühsamer Kampf, den wir mit den Versicherungen ausfechten", sagt sie. Die Verbraucherzentrale hat einen Jahresetat von drei Millionen Euro. "Das kann eine Versicherung in einer Woche für Werbung ausgeben", sagt Castelló. "An manchen Tagen denke ich, der Kampf mit Versicherungen und Banken ist nicht zu gewinnen."

Erst kürzlich musste die Juristin eine Niederlage vor dem Bundesgerichtshof (BGH) einstecken. Mit ihrer Forderung, dass die Versicherer bei Ratenzahlung der Jahresprämie einen Effektivzins ausweisen müssen, konnte sie die obersten Richter nicht überzeugen. "Da habe ich dann schon mal vier Wochen schlechte Laune, bis eine solche Niederlage verdaut ist." Wenn die Verbraucher wüssten, dass dieser Zins zweistellig ist, würden sie ihr Zahlungsverhalten vielleicht ändern, sagt sie. Immerhin sei mancher Dispo noch günstiger. Wie so oft geht es ihr um die Transparenz von Finanzprodukten.

Solche spektakulären Erfolge wie bei den vorzeitig gekündigten Lebensversicherungen sind selten. In Prozessen gegen große Versicherer wie Allianz oder Ergo hat sie die Rechte der Verbraucher durchgesetzt. Auch Anbieter, die nicht verklagt wurden, zahlen inzwischen, wenn die früheren Kunden sie anschreiben. Zwar bleiben vorzeitig gekündigte Lebensversicherungen ein Minusgeschäft, aber die Kunden müssen wenigstens die Hälfte ihrer Einzahlungen zurückerhalten. Ein Kampf, der sie fast ein Jahrzehnt beschäftigte. "Die meisten Lebensversicherungen werden vorzeitig gekündigt", sagt Castelló.

Auch sie selbst hat diese Erfahrung gemacht. Als junge Mutter bekam sie einen Beratungsgutschein für die Hamburg-Mannheimer und schloss eine Lebensversicherung ab. "Schon wenige Jahre später musste ich sie als Folge meiner Scheidung wieder kündigen", sagt sie. "Lebens- und Rentenversicherungen sind äußerst intransparent, haben hohe Kosten, eine mäßige Rendite und sind nicht für die Altersvorsorge geeignet", lautet ihr Urteil.

Als sie das nach der Finanzkrise in einer Broschüre über Geldanlage so formulierte, wollte die Debeka das Heft verbieten lassen. Vergeblich, wenn auch nur aus formalen Gründen. Debeka-Chef Uwe Laue kritisierte damals "ihren ideologischen Feldzug gegen die Versicherungswirtschaft". Doch solche Angriffe sind die Ausnahme. "Ich werde höchstens mal von einem Versicherungsvertreter angepöbelt. Doch überwiegend läuft die Auseinandersetzung sehr professionell."

Als Castelló nach Jurastudium und Referendariat 1982 bei der Verbraucherzentrale Hamburg anfängt, ärgern sich Verbraucher über Haustürgeschäfte, mangelnde Gewährleistung und überteuerte Konsumentenkredite. Ein Widerrufsrecht gab es damals noch nicht, und an der Haustür wurden gern Staubsauger und Bestecke verkauft.

Castelló ist immer auf der Seite der Verbraucher, auch wenn sie bei manchem Beratungsgespräch denkt, wie konnte man nur so leichtgläubig sein? "Doch Konsumenten können nicht alles wissen: Von den Täuschungen bei Lebensmitteln über Fallen in Telekommunikationsverträgen bis zum Kleingedruckten bei Versicherungen und Banken den Überblick zu behalten ist unzumutbar", sagt die Hamburgerin, die in Wellingsbüttel als Tochter eines Postbeamten und einer Hausfrau aufgewachsen ist.

Mehr als drei Jahrzehnte bei der Verbraucherzentrale - danach sah es in der beruflichen Laufbahn Castellós zunächst nicht aus. Nach dem Abitur wollte sie gerne eine Karriere im Auswärtigen Dienst starten. Doch das klappte nicht. Sie lernte Fremdsprachenkorrespondentin: Frau Castelló, bitte zum Diktat. "Nach fünf Jahren war mir das zu viel und zu eintönig", sagt sie. Ausgehungert nach Neuem startete sie ein Jurastudium. Obwohl sie schon Mutter einer jungen Tochter war, versäumte sie keine Vorlesung. Der Weg zur Verbraucherzentrale ergab sich mehr zufällig. "In der Rückschau war das ein Glücksfall, denn für mich hat Recht auch immer mit Gerechtigkeit zu tun", sagt sie.

Bald nach ihrem Antritt bei der Verbraucherzentrale hatte sie ein erstes großes Erfolgserlebnis. Viele Verbraucherkredite waren völlig überteuert. Eine maßgebliche Rolle spielte die damalige KKB-Bank, der späteren Citibank. "Die Zinsen waren doppelt so hoch wie im Marktdurchschnitt", sagt Castelló. "Das war Wucher, was auch der BGH festgestellt hat." Viele Verbraucher konnten daraufhin ihre Zahlungen einfach einstellen und waren von ihrer Schuldenlast befreit. Später kamen die Banken darauf, Restschuldversicherungen anzubieten. Die Kosten dafür müssen nicht im Effektivzins ausgewiesen werden. "Sonst wären die Zinsen von Verbraucherkrediten auch jetzt noch unangemessen hoch", sagt Castelló.

Inzwischen ist sie auch bundesweit bekannt. Sie war bei den Talkshows von Frank Plasberg und Maybrit Illner. Ihre Botschaften sind gefragt: Sicher sparen, wenig Risiko eingehen. Vor der Geldanlage erst die Schulden tilgen. Hohen Gewinnversprechen misstrauen. Sie selbst hat ihr Geld in eine selbst genutzte Immobilie investiert. "Mit ihrer zielstrebigen Art ist Edda Castelló bei den Verbrauchern eine geschätzte Expertin und hat wegweisende Urteile in deren Interesse erwirkt", sagt Hamburgs Verbraucherschutzsenatorin Cornelia Prüfer-Storcks. "Dass ihr Ruf auch über die Stadtgrenzen hinaus Geltung hat, zeigt die aktuelle Ehrung."

Der Preis ist mit 7500 Euro dotiert. Das Geld will sie in ein gemeinnütziges Projekt investieren. "Es soll den ganz Armen zugutekommen", sagt sie. So versteht sie ihre Rolle: "Wir setzen uns für Arme, Alte, Kranke und Schwächere ein. Sie brauchen den Ausgleich gegenüber Stärkeren und Mächtigeren." Von Berufs wegen kann die 64-Jährige das nur noch ein Jahr tun. "Darüber freuen sich bestimmt die Versicherer", scherzt sie. Aber dass sie dann ganz aus dem Verbraucherschutz aussteigt, ist nicht zu erwarten. "Ich kann auch als Beraterin noch einiges bewegen", sagt sie. Doch mehr Zeit soll dann für Ehemann und zwei Enkel bleiben. Und für Reisen nach Asien.