Außerordentliche Mitgliederversammlung soll den Aufsichtsrat stürzen und den im März gefeuerten Vorstandsvorsitzenden Axel Kleinlein wieder zurückholen. Staatsanwaltschaft ermittelt.

Hamburg. Jedes Aufpoppen einer Mail, jedes neue Rattern des Faxgerätes bringt sie ihrem Ziel ein Stück näher: eine außerordentliche Mitgliederversammlung des Bundes der Versicherten (BdV), die den Aufsichtsrat stürzen und neue unbelastete Aufseher berufen soll. Geza Huber und Sabine Samel sind Betriebsräte bei Deutschlands größter Verbraucherorganisation für Versicherungskunden. Beide sammeln in diesen Tagen die Anträge zur außerordentlichen Mitgliederversammlung. "Wir handeln nicht als Betriebsräte, sondern als Mitglieder des BdV", sagt Huber. 53.000 Mitglieder hat die Organisation. "Es reicht, wenn ein Prozent für die Versammlung votieren", sagt Huber. Bis Freitagnachmittag waren rund 3000 Stimmen dafür eingegangen.

Eine Kampfabstimmung, die zugleich über die künftige Ausrichtung des BdV entscheiden soll, ist damit sicher. Soll sich die Arbeit mehr auf die Beratung der Mitglieder beschränken, die über Gruppenverträge von günstigen Tarifen und Versicherungsbedingungen profitieren, oder soll es um eine schlagkräftige Organisation gehen, die mit Musterprozessen die Interessen aller Versicherten durchsetzt?

Mit der sich abzeichnenden Mitgliederversammlung spitzt sich die Lage bei den Verbraucherschützern zu. Seit Wochen besteht der Eindruck, dass sich die bundesweite Organisation, die ihren Sitz im beschaulichen Henstedt-Ulzburg hat, mehr mit sich selbst als mit den Anliegen der Versicherten beschäftigt. Es geht um entlassene Vorstände, einen zurückgetretenen Aufsichtsrat, Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen Vorstand und Aufsichtsrat und zwei verfeindete Gruppierungen unter den Mitgliedern, die um die künftige Ausrichtung ringen.

Ein neuer Aufsichtsrat soll den im März gefeuerten Vorstandsvorsitzenden Axel Kleinlein wieder zurückholen. "Das ist unser Ziel", sagt Huber. Die Namen der neuen Kandidaten will er noch nicht nennen. Auch das langjährige BdV-Mitglied, der Hamburger Rechtsanwalt Joachim Bluhm, unterstützt dieses Ziel: "Sonst droht der Verein in die Bedeutungslosigkeit abzustürzen." Seine Kritiker, die sich im Internet unter der Bewegung "Wir sind die 99 Prozent" zusammengeschlossen haben, werfen dem Verbraucheranwalt vor, den BdV für eigene Zwecke instrumentalisieren zu wollen. Vor allem beklagen sie, dass bei Kleinlein, Bluhm und Co. nichts von Vorteilen für die Mitglieder zu hören ist. Der Jahresbeitrag kostet 40 Euro.

"Als gemeinnütziger Verein müssen wir uns auch für die Gesamtheit der Versicherten einsetzen", sagt Bluhm. "Ich strebe auch kein Amt bei der Organisation an - auch nicht in einem neuen Aufsichtsrat." Wie groß die 99-Prozent-Bewegung ist, kann nicht beurteilt werden. Bluhm nennt sie "unbedeutend". Kleinleins Unterstützer haben sich im Netz unter "Verunsicherte" zusammengeschlossen. Auch die Größe dieser Bewegung lässt sich nicht abschätzen.

Der Versicherungsmathematiker Axel Kleinlein gilt als scharfer Kritiker der Versicherungswirtschaft. Für Aufsehen sorgte er mit einer Studie zur Riester-Rente. Die späteren Rentenleistungen seien gemessen an den Beiträgen viel zu gering, kritisierte er. "Durch Klinkenputzen bei den Abgeordneten in Berlin hat er verhindert, dass die Beteiligung der Kunden an den stillen Reserven bei Kapitallebensversicherungen gekappt wird", sagt Huber. Zum ersten Mal seit vielen Jahren zog der BdV zusammen mit der Verbraucherzentrale Hamburg gegen eine Versicherung, die Allianz, vor Gericht. Es ging um die Benachteiligung von Geringverdienern bei der Riester-Rente.

Umso überraschender kam für die Öffentlichkeit die Ablösung von Kleinlein und seines Vorstandskollegen Thorsten Rudnik durch den Aufsichtsrat. Die beiden waren offenbar kein gutes Gespann. Kleinlein beklagte nach seiner Entlassung, "dass Rudnik die Vorstandsarbeit blockieren konnte, da alle Entscheidungen im Vorstand einstimmig getroffen werden mussten". Das sei Wunsch des Aufsichtsrates gewesen. Schließlich trat aus dem Aufsichtsrat der frühere Hamburger Innensenator Hartmuth Wrocklage zurück. Er hätte Kleinlein gern gehalten und stimmte nur der Entlassung Rudniks zu, berichtet der Branchendienst "Versicherungsjournal". Für eine Stellungnahme war Wrocklage nicht erreichbar. Zum Aufsichtsrat gehören jetzt noch der frühere Finanzsenator Horst Gobrecht und der Unternehmer Franz-Theodor Schadendorf.

Gobrecht hat den Unternehmensberater Tobias E. Weissflog als neuen Vorstandsvorsitzenden berufen. Dieser hatte es von Anfang an schwer, weil er nicht mit Versicherungswissen glänzen kann. "Weder im Vorstand noch im Aufsichtsrat sehe ich Personen, die fachliche Kompetenz haben, Versicherungen Paroli zu bieten", sagt BdV-Mitglied Edda Castelló, die im Hauptberuf die Abteilung Geld und Recht der Verbraucherzentrale Hamburg leitet. Sie fürchtet um gemeinsame Klagen gegen die Versicherungswirtschaft. "Ich bezweifele, dass aus der neuen Führung Impulse für solche Kooperationen kommen werden." Dem tritt Weissflog entgegen. "Wir werden auch künftig Prozesse gegen Versicherungen führen", sagt er. Für die Branche sieht er viele Herausforderungen: "Es geht um einen Grundschutz bei der Berufsunfähigkeitsversicherung, da sich viele die bisherigen Tarife nicht mehr leisten können oder nicht angenommen werden. Es geht auch um Themen, wie die erweiterte Mitnahme von Altersrückstellungen in der privaten Krankenversicherung, mangelhafte Lebensversicherungen und andere."

Das fehlende Branchenwissen sieht er gelassen: "Wir haben beim BdV sehr gute Mitarbeiter, die mich toll unterstützen, auch bei der schnellen Einarbeitung in die wichtigen Themen. Ich habe nicht die Absicht, den BdV als Ein-Mann-Veranstaltung zu präsentieren." Dem Mitgliederquorum wird er sich unterwerfen. "Wenn die Voraussetzungen vorliegen, wird eine außerordentliche Mitgliederversammlung einberufen, und ich akzeptiere selbstverständlich jedes demokratisch legitimierte Ergebnis." Sein Vertrag läuft zunächst ohnehin nur bis zum September 2013.

Gegen den alten Vorstand und den Aufsichtsrat laufen noch Ermittlungen der Staatsanwaltschaft wegen Untreue. Gegenwärtig streiten sich die Staatsanwaltschaften in Hamburg und Kiel, wer für die Ermittlungen zuständig ist. Hamburg will die Akte gern an Kiel abgeben, weil die BdV-Zentrale schon in Schleswig-Holstein liegt. Kiel hat die Akte aber wieder nach Hamburg zurückgeschickt. Huber hatte Anzeige erstattet, weil Rudniks damalige Lebensgefährtin angeblich überhöhte Lohnzahlungen erhalten haben soll. Der Aufsichtsrat bestreitet das und verweist auf zeitlich befristete Ausgleichszahlungen, weil die Mitarbeiterin ohne eigenes Verschulden aus dem Vorstand ausgeschieden sei.

Wie die Abstimmung um den Aufsichtsrat ausgehen wird, ist offen. Denn solche Versammlungen sind oft schlecht besucht. Entscheidend ist dann, welche Gruppe die meisten Anhänger mobilisieren kann. "Ich hoffe nur, dass die Mitgliederversammlung nicht wieder zum Spielball von Einzelinteressen gemacht wird", sagt Weissflog. Im Internet schreibt ein Mitglied: "Ich kann mangels Kenntnis der internen Querelen keine Position beziehen und denke darüber nach, meine Mitgliedschaft zu kündigen." Weissflog bleibt auch hier gelassen: "Im April hatten wir netto einen Zuwachs von 32 Mitgliedern."