Der Hamburger Senat will Werkstätten und Lager der Staatsoper in Wilhelmsburg zusammenlegen. Kreative fürchten Vertreibung und Abriss historischer Gebäude.

Hamburg. "Mittlerweile komme ich kaum noch dazu, kreativ zu arbeiten - stattdessen rede ich andauernd mit Politikern und Senatoren über Stadtentwicklung", sagt Marco Antonio Reyes Loredo. Auch die Medien haben in den vergangenen Wochen großes Interesse an dem Halb-Bolivianer gezeigt. Der Chef der Hirn und Wanst GmbH, die die Gastro-Pop-Show "Konspirative Küchenkonzerte" produziert, hat eine Widerstandsbewegung initiiert, die überregional beachtet wird.

Sie richtet sich gegen den vom Senat am Veringkanal geplanten Opernfundus. Dort sollen die Werkstätten und Requisitenlager der Staatsoper zusammengefasst werden, die bislang an mehreren Standorten sitzen - unter anderem auf einer Fläche in Barmbek, wo Wohnungen entstehen sollen (wir berichteten). Das neue Hochregallager soll bis zu 18 Meter hoch werden und wird sich, groß wie zwei Fußballfelder, über mehrere Grundstücke erstrecken. Mehrere Gebäude, darunter ein schöner weißer Altbau, würden dem Opernfundus zum Opfer fallen. Auch die alten Wilhelmsburger Zinnwerke am Veringhof 7 müssten abgerissen werden.

Dort sitzt Reyes Loredo mit seiner Produktionsfirma. Er teilt sich das historische Gemäuer mit Künstlern wie Bildhauerin Antje Truelsen, Autorin Kerstin Schäfer, den Film- und Grafikstudenten der Gruppe Zinn, aber auch mit Jörg Ehrnsberger von der Bildungsinitiative Teach First und Getränkehändler Klaus Meerkötter. Nebenan befinden sich seit Jahrzehnten die Autolackiererei Dirik und der Autoteilehandel von Oktay Akkaya. Allen hat die städtische Sprinkenhof AG zum 30. Juni oder zum 30. September gekündigt.

Das empört nicht nur die Wilhelmsburger, sondern auch die Bezirkspolitiker, denn der Senat hat ohne ihre Beteiligung entschieden. Sogar die Handelskammer hat sich in einem Brief an Reyes Loredo gegen den Opernfundus ausgesprochen. Die SPD/FDP-Koalition in Mitte setzte gerade in der Bezirksversammlung durch, die Kündigungen der Mietverträge sofort auszusetzen und die Planungen unter Einbindung von Bürgern und Kommunalpolitikern neu aufzunehmen. Die SPD stellt sich mit dem Antrag gegen die ursprüngliche Absicht ihres Senats. "Nach Prüfung aller uns vorliegenden Informationen ist Wilhelmsburg der denkbar schlechteste Standort für den Opernfundus, weil hier gewachsene Kultur verdrängt würde", sagt der SPD-Vorsitzende Falko Droßmann. Dennoch will die SPD nicht ausschließen, dass die Kreativen aus den Zinnwerken weichen müssen. Angela Westfehling von der FDP würde das gerne verhindern. "Wir wollen hier gar keinen Opernfundus", sagt die Wilhelmsburgerin. "Doch momentan ist der gemeinsame Antrag alles, was wir tun können." Bezirksamtsleiter Andy Grote (SPD) findet den Antrag zwar gut, glaubt aber nicht, dass sich der Opernfundus verhindern lässt. "Ich gehe davon aus, dass es bei dem Standort bleibt", so Grote.

Nach den bisherigen Gesprächen mit Senatsvertretern gebe es Anfragen mehrerer Industrieunternehmen für das städtische Grundstück in Billbrook, das eine Machbarkeitsstudie 2012 als Standort für den Opernfundus favorisiert hatte. Wird also die junge Kreativszene, die sich gerade im Reiherstiegviertel entwickelt hat, zugunsten wirtschaftlicher Interessen geopfert? "Nein", sagt Grote. "Die Frage ist nur, wie man den Opernfundus städtebaulich und unter Beteiligung aller Akteure vernünftig einbinden kann." Staatlich bezahlte Kreative müssten nicht zwangsläufig negativ für Wilhelmsburg sein. Sie könnten die vorhandene Szene ergänzen und damit den Stadtteil bereichern.

Die Stadtteilgremien wehren sich allerdings gegen den Opernfundus. Der Sanierungsbeirat, in dem unter anderem Kirche, Moschee, Saga GWG und Arbeiterwohlfahrt vertreten sind, sprach sich auf der letzten Sitzung gegen das Projekt aus. Auch Lutz Cassel, Vorsitzender des Stadtteilentwicklungsbeirats, sagt: "Das Reiherstiegviertel hat sich zum kulturellen Zentrum der Elbinsel entwickelt. Wenn man dort von oben finanzierte Kultur reinpfropft, die junge Stadtteilkultur zerstört, ist das ein großer Fehler."

Der Verein Zukunft Elbinsel könnte sich Wohnungen rund um die Zinnwerke vorstellen. Um den Bebauungsplan entsprechend zu ändern, plant er ein Bürgerbegehren. "Es wäre das erste Bürgerbegehren, das sich für den Bau von Wohnungen ausspricht", sagt Vorstandsmitglied Dirk Holm. Bereits die Internationale Bauausstellung (IBA) hatte am Veringkanal Wohnen am Wasser geplant, diese Idee aber nicht umsetzen können. "Hier ist eine attraktive Mischung aus Wohnen und Arbeiten am Wasser möglich", sagt Holm. "Den Standort mit einem Hochregallager zu besetzen wäre fatal."

Nach Abendblatt-Informationen hat Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) Oberbaudirektor Jörn Walter beauftragt, als Unterhändler aufzutreten und das "Problem Opernfundus" zu lösen. "Walter soll zusammentragen, welche Bedürfnisse die Akteure haben, und überlegen, wie man alles unter einen Hut bringt", heißt es.

Filmproduzent Reyes Loredo kann sich ein Nebeneinander nicht vorstellen. "Dafür gibt es nicht genügend Platz." Er hofft, dass der Protest das Projekt stoppt. Dann könnte sich entlang des Veringkanals eine "Achse der Kultur" entwickeln. Der Anfang ist mit der Soulkirchen, der Honigfabrik, der Lifemusikbar Tonne und den Zinnwerken bereits gemacht. Im Herbst soll für ein IBA-Projekt eine Künstlergemeinschaft in die historischen Backsteinhäuser am Veringhof 23 ziehen.