Mit zeitgleich vier Open-Air-Gottesdiensten startete der 34. Deutsche Evangelische Kirchentag. Insgesamt 84.000 Gläubige kamen bei himmlischem Frühlingswetter zusammen. 117.000 Dauerteilnehmer angemeldet.

Reeperbahn

Kiezbummler neben Pfadfindern, tätowierte Muskelmänner neben Jugendlichen, die sich blaue Kirchentagsschals um die Stirn gebunden haben, Türsteher neben Kirchentagsbesuchern mit Rucksäcken. Beim Eröffnungsgottesdienst auf dem Kiez mischten sich die Besucher der Reeperbahn - zumindest außerhalb der Absperrungen. Der Spielbudenplatz selbst war mit 16.000 Gläubigen schnell überfüllt, viele Gäste hatten auf der Fahrbahn, den Bürgersteigen und vor den Kneipen Platz genommen, um den Gottesdienst von dort aus zu verfolgen. Wer weiter entfernt stand, bekam nur die Musik von Julian Sengelmann sowie des Rock- und Pop-Ensembles St. Nikolai mit, hatte aber Schwierigkeiten, die Predigt von Andreas Barner (Unternehmensleitung Boehringer Ingelheim) oder die Eröffnungsansprache von Kirchentagspräsidentin Katrin Göring-Eckhardt zu verstehen. "Es wäre schön gewesen, wenn es einen großen Bildschirm und eine bessere Akustik gegeben hätte", sagte eine Besucherin aus Berlin.

Trotz der Überfüllung war die Stimmung heiter und friedlich. Nach einem stimmungsvollen "Ehre dem Herrn" aus Tausenden Kehlen forderte Pastor Constantin Gröhn die Besucher auf, sich den Sand aus den Wundertüten über die Hände rieseln zu lassen. "Der Sand rinnt durch unsere Finger wie Pläne, die wir nicht verwirklicht haben", sagte er. "Lassen wir die Gedanken daran los, das erleichtert uns." Es folgte gemeinsames Singen und Beten, dann sprach Pröpstin Ulrike Murmann, Hauptpastorin von St. Katharinen, mit Corny Littmann über das Leben auf St. Pauli. In Anlehnung an das Kirchentagsmotto "Soviel du brauchst" wies der Entertainer und Theaterbesitzer auf das hin, was viele auf St. Pauli nötig hätten: genug zu essen und preiswerten Wohnraum. Das Sprichwort "Früher war alles besser" gelte für die Reeperbahn nicht, so Corny Littmann. Vor 20 Jahren sei eine Kirchentagseröffnung auf dem Spielbudenplatz nicht möglich gewesen - dafür hätten sich beide, Reeperbahn und Kirche, erst deutlich verändern müssen. Mit einem schwungvollen Lied endete die Feier - und die Gäste schwärmten über den Kiez, dem Eröffnungsabend entgegen.

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Strandkai

Den besten Blick auf den Eröffnungsgottesdienst in der HafenCity gab es vom Marco-Polo-Tower. Während von den Balkonen des imposanten Hauses gerade mal drei Bewohner die Eröffnung verfolgten, drängten sich rund 35.000 Besucher am Strandkai und auf den Magellan-Terrassen.

Während die einen stehend in der wärmenden Abendsonne "Lobe den Herrn" sangen, lagen die anderen auf den blanken Steinen der Bürgersteige - mit einem Rucksack unter dem Kopf und lauschten wenig später den Worten der Hamburger Bischöfin Kirsten Fehrs. Sie hielt vor dem andächtigen Publikum - unter ihnen Bundespräsident Joachim Gauck (Foto) - die Predigt zum Kirchentagsmotto "Soviel du brauchst". Eine Predigt in verständlicher Sprache. Mit kurzen Sätzen, ohne Fremdwörter. Aber mit Elbblick. Die Bischöfin geißelte die Armut in einer so reichen Stadt wie Hamburg. Jedes fünfte Kind habe noch nie die Elbe gesehen - "und das in einer Stadt mit einer Elbphilharmonie", fügte sie mit der Geste einer demütigen Gebetshaltung hinzu. Auf der Erde, setzte sie ihre Gesellschaftskritik fort, gebe es "so viel Müll, so viel Ungerechtigkeit, so viel Bomben und so viel Gezocke." Mit deutlichen Worten rief die Bischöfin im Sprengel Hamburg und Lübeck dazu auf, gemeinsam gegen das Unrecht, gegen soziale Kälte und Rechtsradikalismus aufzustehen. In seinem Grußwort wünschte Bundespräsident Gauck den Gläubigen "einen aufregenden, fröhlichen und ernsthaften Kirchentag". Den Politikern empfahl er, die Impulse und Themen des großen Christentreffens ernst zu nehmen. Es war 17.56 Uhr, als Kirchentagspräsident Gerhard Robbers den Kirchentag für eröffnet erklärte: "Danke für die Stadt, die uns Hafen ist."

Fischmarkt

Hamburg wie im Bilderbuch: die Elbe mit Seglern und Fähren zur einen Seite, der Michel und das Mahnmal St. Nikolai im Rücken - und die Bühne direkt vor der Fischauktionshalle: 8000 Menschen waren gekommen, um dort den Eröffnungsgottesdienst mit skandinavischer Note zu erleben.

Viele Besucher hatten sich Klapphocker oder Sitzkissen mitgebracht. Auf der Flutschutzmauer, auf dem Platz selbst und in den umliegenden Kneipen und Bars war die Stimmung feierlich-beschwingt. Es wurde viel gesungen - hinter dem schlichten Altar mit Kreuz und zwei Kerzen und natürlich vor der Bühne. Der Norderstedter Kammerchor Consonare und die Bläsergruppe Stade trafen den richtigen Ton. Auch ein schwedisches Kirchenlied war dabei.

Bischof Peter-Hendrik Skov-Jakobsen aus Kopenhagen sprach in seiner Predigt von der "modernen Wüste, die nicht aus Sand und Hitze besteht, sondern uns mit Lärm, Entscheidungen, Oberflächlichkeit und Ohnmacht zusetzt". "Es gibt genug zu essen und zu trinken, aber gibt es einen Gott?", fragte der dänische Theologe. Und er bejahte sie gleich darauf. "Gott kommt uns entgegen, er ist uns vertraut und befreiend fremd, und er lässt sich von unserem Lärm nicht beeindrucken." Gott schenke den Menschen Aufmerksamkeit, sodass sie wieder sie selbst würden. "Dann können sie mit Hoffnung und Solidarität unterwegs sein."

Eckhard Nagel vom Kirchentagspräsidium sprach davon, dass alle an einem Tisch säßen. "Wir teilen Freude, Glück, Sorgen, Gebete und Gesänge miteinander." Niemand dürfe ausgeschlossen werden. Und dann wünschte sich der Arzt zum Schluss, dass sich eine frohe Botschaft aus dieser Stadt entwickele: "Über die Elbe in die Nordsee, über die Meere und in die ganze Welt."

Rathausmarkt

Es geht um Gott. Und ganz offensichtlich übt dieser Gott auf sehr viele Menschen eine enorme Anziehungskraft aus. Kleine und Große, Junge und Alte waren zum Eröffnungsgottesdienst auf dem Rathausmarkt erschienen. "Alle warten auf dich", so lautete das treffende Motto. Um kurz vor 17 Uhr ging zwischen Jungfernstieg und Rathaus dann wirklich nichts mehr. Nicht dass hier der Teufel los war. Dazu waren die 25.000 Menschen zu andächtig. Aber irgendwann mussten die Organisatoren den aus allen Himmelsrichtungen Herbeieilenden mitteilen, dass der Platz wegen Überfüllung geschlossen sei. "Gott ist ein geräumiges Wort", sagt Pastorin Anne Gidion, 41 (Foto), in ihrer Predigt. Sie sagte, sie könnte jetzt auch über Nachhaltigkeit, gerechtes Wirtschaften und den Umgang mit der Natur reden. Aber das wolle sie nicht. "Lassen Sie uns über die Beziehung zu Gott nachdenken." Gott sei ein "weiter Raum, in dem ich nicht weiß, was als Nächstes geschieht". Und genau das sei die spannende Aufgabe in einem unübersichtlichen Leben. In einer Kirche, in der immer mehr Gemeinden zusammengelegt würden. "Wir werden weniger." In einer Gesellschaft, in der Mutter Kirche und Vater Staat immer schwächer werden. "Wir gehen ins Unbekannte", sagte sie. Ja, das Neue nerve manchmal, aber statt zu quengeln, solle man staunen. Voller Erwartung auf das, was komme.

"Jetzt seid ihr dran", rief sie den Besuchern von der großen Bühne aus zu. "Wir sind nicht Papst, aber Apostel." Und als solche sollten die Massen ausschwärmen. Ein Kirchentag sei immer auch "Teil der Apostel-Idee". "Mit neuen Liedern, bunten Ideen und kräftigen Reden."

Ein kleines bisschen Papst war aber doch. Denn die Liturgie des Gottesdienstes lag bei dem katholischen Jesuitenpater Martin Löwenstein (Foto), Pfarrer am "Kleinen Michel". Das hatte es bei einem Kirchentag noch nie gegeben. "Diese sichtbare Unterstützung der Katholiken ist für sehr viele Gläubige ein großer Fortschritt, auf den wir sehnsüchtig gewartet haben", sagte die frühere Hamburger Kultursenatorin Karin von Welck, Präsidiumsvorstand des Kirchentags, unter lautem Beifall. "Das ist ermutigend für die Ökumene."

Es war ein erster Schritt. Etwas Neues, das bei vielen nicht nur Staunen, sondern auch Hoffnung auslöste. "Wenn die Ökumene in der Kirche gelebt wird, kann es doch sein, dass irgendwann einmal eine Pastorin bei einem Kirchentag verkündet: 'Wir werden mehr!'", sagte Anna-Lena, 21, aus Stuttgart. Und machte sich auf zum Straßenfest in der HafenCity.