Die Hamburger Marke Stevens ist bei ambitionierten Amateuren und Profis gefragt. Die Hightech-Produkte gehen mittlerweile in 20 Länder weltweit.

Hamburg. Im Radsport ist Stefan Nimke ein Schwergewicht. 95 Kilogramm wirft der vierfache Weltmeister im 1000-Meter-Zeitfahren auf der Bahn in den Sattel, mit gut 2200 Watt Leistung tritt er in die Pedale, auf mehr als 70 Kilometer pro Stunde Spitzengeschwindigkeit beschleunigt er im Velodrom. Eine Belastungsprobe für Mensch und Material. "Zehn Tage vor Olympia in London hatte ich einen Sturz, weil der Rahmen gebrochen ist", erzählt der 35-Jährige. Die Teilnahme an den Spielen 2012 war passé, weil der Schweriner seine gewohnte Leistung nicht bringen konnte. Er wechselte den Ausrüster. Seit vergangenen Herbst fährt der Olympiasieger im Teamsprint von Athen 2004 auf Räder aus Hamburg ab. Er vertraut im Training und bei Sechs-Tage-Rennen auf die Marke Stevens, weil "die Räder zuverlässig sind und mein Gewicht aushalten. Ein norddeutscher Sportler und ein norddeutscher Hersteller - das passt perfekt."

Das perfekte Zusammenspiel der einzelnen Radkomponenten wird in Billstedt sichergestellt. In einem allerweltsgrauen Fabrikgebäude in Wellblech-Optik hat die Firma Stevens seit 1999 ihren Sitz. Am Asbrookdamm entwickelt die mittlerweile 52 Mann starke Firma die Velos. "Jedes Design und jedes Maß für unsere Räder wird hier in Hamburg entworfen, jede Schraube wird hier geplant", sagt Wolfgang von Hacht, der das Unternehmen zusammen mit seinem Bruder Werner gegründet hat und leitet. 170 Modelle hat die Firma im Programm, 80.000 Räder werden pro Jahr verkauft. Bald steht ein Jubiläum an. Von Hacht: "Im Mai liefern wir unser Rad mit der laufenden Nummer 1.000.000 ab."

Von solchen Dimensionen konnten die Brüder anfangs nur träumen. 1991 legten sie den Grundstein fürs Unternehmen. Sie eröffneten ein -Bankkonto und zahlten 500 D-Mark ein. "Wir wollten als Amateursportler unser Hobby zum Beruf machen", sagt von Hacht. Zwölf Jahre zuvor hatten sie ein Fachhandelsgeschäft in Hoheluft eröffnet, in den 80er-Jahren ließen sie bereits Rahmen in Italien bauen. "Wir wussten, was die Fahrer wollen", sagt von Hacht. Fünf Modelle bieten sie zunächst an, 5000 Stück verkaufen sie im Gründungsjahr. Von Hacht: "Wir sind dann recht schnell erfolgreich geworden."

Zunächst importieren sie ausschließlich Rennräder und Mountainbikes, die in Taiwan nach ihren Angaben hergestellt werden. Als sich das Trekkingrad durchsetzt, verlagern sie die Montage aus Asien in die Bundesrepublik. Die hochwertigen Komponenten kommen ohnehin aus Europa, eine Verschiffung stufen sie als zu aufwendig ein. "In Deutschland ist die Montagequalität höher, es gibt keine Sprachbarriere - und für Händler und Käufer ist ,made in Germany' ein Qualitätsmerkmal", sagt der technische Leiter Hinnak Oldenburg. Weil es räumlich zu eng wird, bauen die Brüder in Hamburgs Osten die Fertigung auf. Dort ist auch Platz für ein fast 3000 Quadratmeter großes Zentrallager mit unzähligen Teilen. Gabelstapler hieven die Paletten mit Bremsen, Schläuchen und Ketten aus den Regalen. "Es war immer unsere Leidenschaft, viel Auswahl an Ware zu haben", sagt von Hacht. Zwar seien die Brüder "manchmal hart am Wind gesegelt, wir waren aber jedes Jahr profitabel." Die Eigenkapitalquote liege bei mehr als 60 Prozent.

Seit drei Jahren ist die Zahl der verkauften Räder stabil. Damit schneiden die Hamburger besser ab als der Markt. Denn die Verkäufe sind in Deutschland rückläufig. 2007 wurden in der Bundesrepublik 4,6 Millionen Stück an den Kunden gebracht, fünf Jahre später waren es 3,95 Millionen. "Dennoch haben wir unseren Umsatz jedes Jahr leicht gesteigert", sagt von Hacht. Die Erlöse liegen im mittleren zweistelligen Millionenbereich, ein Fünftel davon stammt aus dem Ausland. In 20 Länder werden die Räder exportiert, selbst Singapurer und Taiwanesen fahren auf die Hamburger ab. Von Hacht: "Weltweit boomt der Fahrradmarkt."

Im schwächelnden deutschen Markt profitiert Stevens von dem Trend, dass die Bürger immer mehr für Fahrräder ausgeben. Binnen fünf Jahren stieg der durchschnittliche Neupreis eines Rads von 367 auf 513 Euro. Treibende Kraft dahinter sind die teuren E-Bikes. 1,3 Millionen der insgesamt 71 Millionen Räder auf deutschen Straßen haben heute einen Elektromotor. Auch Stevens springt 2010 auf den Zug auf. "Die Zahl der verkauften E-Bikes haben wir seitdem jedes Jahr verdoppelt", sagt Vertriebsleiter Rainer König.

Zudem erhalten die Räder immer mehr kostspielige Features. Bei dem Reiserad Camino hat Stevens eine Lampe eines Zulieferers eingebaut, die einen USB-Anschluss hat. So kann während langer Touren das Smartphone durch das Kurbeln der Pedale geladen werden. Eine Neuheit wollen die Hamburger im September auf der Messe vorstellen. Der Stuttgarter Hersteller Pinion hat eine 18-Gang-Getriebeschaltung entwickelt, die im Tretlager eingebaut wird. Statt einer Kette erfolgt die Kraftübertragung über einen Antriebsriemen, der mindestens 10.000 Kilometer halten soll. Herkömmliche Ketten "leben" maximal 4000 Kilometer. Rund 3000 Euro soll das Modell kosten.

Die Montage der Standardmodelle, die ab 500 Euro kosten und in Deutschland von 500 Händlern vertrieben werden, übernehmen zwei Fremdfirmen, die eine in der Nähe von Osnabrück, die andere bei Magdeburg. "Für Montagebetriebe ist der Standort Hamburg wegen seiner hohen Immobilienpreise zu teuer. Daher produzieren sie im norddeutschen Umland", sagt Oldenburg. Die hochwertigsten Räder fertigt Stevens weiterhin in Billstedt. Vier Monteure bauen pro Jahr etwa 2500 Custombikes zusammen. Das sind Rennräder, bei denen jedes Teil wie Rahmen, Lenker, Antrieb und Laufräder speziell nach den Kundenwünschen zusammengebaut wird. Die Preisspanne reicht von 2000 bis 8000 Euro. Die Rahmen werden in Taiwan und China per Hand geschweißt, die anderen Teile kommen aus mehr als 20 Ländern. Auch die Profis fahren solche Custombikes. Triathlet Daniel Unger wird darauf 2007 Weltmeister, die bekannteste deutsche Radfahrerin Hanka Kupfernagel zwei Jahre später Siegerin des Gesamt-Weltcups, die Niederländerin Marianne Vos 2011 Bahn- und Querfeldein-Champion. Und auch Weltmeister Nimke hat trotz seines für Sportler schon fortgeschrittenen Alters von 35 Jahren noch Titelambitionen: "Schließlich war ich 2012 so schnell wie noch nie."