Experten erwarten einen schnellen Abschluss. Warnstreiks in 160 Hamburger Zustellbezirken. Ver.di fordert für die 132.000 Beschäftigten sechs Prozent mehr Lohn, mindestens aber 140 Euro mehr im Monat.

Hamburg. Drei bis vier Überstunden in der Woche sind für Briefträger Frank Kutscher, der mit seinem richtigen Namen nicht in der Zeitung stehen will, normal. "Ohne Mehrarbeit sind die Touren überhaupt nicht mehr zu schaffen", sagt der Postler, der seit mehr als zwei Jahrzehnten im Westen Hamburgs per Fahrrad Briefe austrägt. 1650 Sendungen sind es an normalen Tagen. "Zu Stoßzeiten wie Ostern oder Weihnachten können es schnell über 2000 Sendungen werden", sagt er.

Zwar nehmen die Briefe mit normalem Porto ab, "aber die Werbesendungen, die häufig an alle Bewohner einer Straße oder eines Hauses gehen, haben enorm zugenommen", sagt Kutscher. Hinzu kommt die Vergrößerung der Zustellbezirke. "Das führt bei mir zu 20 Minuten Mehrarbeit am Tag", sagt Kutscher. Mehr Geld für die Beschäftigten allein löse das Problem nicht. "Es geht nur mit mehr Personal." Dennoch hofft er jetzt erst einmal auf einen ordentlichen Tarifabschluss.

Am Donnerstag kommen die Verhandlungsführer in Neuss bei Düsseldorf zur dritten Verhandlungsrunde zusammen. Es wäre nicht überraschend, wenn es da bereits zu einer Einigung der Tarifpartner käme, erfuhr das Abendblatt aus Verhandlungskreisen. So hat die Gewerkschaft Ver.di bereits für Freitag die Große Tarifkommission einberufen. "Sie wird über einen möglichen Abschluss entscheiden oder die Urabstimmung zum Streik einleiten", sagt Lars-Uwe Rieck vom Ver.di-Landesbezirk Hamburg.

Doch dass es noch zum großen Streik kommt, ist eher unwahrscheinlich. "Die Post verdient glänzend", sagt Reinhard Bispinck, Tarifexperte der Hans-Böckler-Stiftung. "Eine Eskalation wäre nur zu erwarten, wenn jetzt kein konkretes Angebot des Arbeitgebers vorgelegt wird." Doch auch die Post ist auf Verhandlungskurs. "Wir haben einen hohen Einigungswillen", so Postsprecher Dirk Klasen. "Wir haben bereits Fortschritte in den bisherigen Runden erzielt, und die Fronten sind nicht verhärtet." Bispinck hält es für möglich, dass es zwischen den offiziellen Verhandlungen noch Sondierungsgespräche gegeben hat, die einen schnellen Abschluss ermöglichen.

Ver.di fordert für die 132.000 Tarifbeschäftigten bei der Post sechs Prozent mehr Lohn, mindestens aber 140 Euro mehr im Monat. Außerdem sollen die Auszubildenden monatlich 65 Euro mehr verdienen. Damit bewegen sich die Forderungen im normalen Rahmen der diesjährigen Tarifrunde. "Die Forderungen reichen von 5,0 bis 6,6 Prozent", sagt Tarifexperte Bispinck.

Zunächst schienen die Fronten zwischen Ver.di und der Post verhärtet. Gleich nachdem die erste Verhandlungsrunde gescheitert war, begann die Gewerkschaft mit Warnstreiks in Hamburg und signalisierte hohe Entschlossenheit. Es sind die ersten Warnstreiks seit 2008 bei der Post. "Denn die Stimmung unter den Kollegen ist gereizt", sagt Zusteller Kutscher. "Wir sind zu Streiks entschlossen, wenn es keinen akzeptablen Abschluss gibt." Er ist optimistisch und sehe am liebsten eine Vier vor dem Komma, wenn man alle Bestandteile der Forderungen zusammenrechnet. So könnte er sich dann über 120 Euro mehr im Monat auf dem Gehaltszettel freuen.

Allein mit einer Betriebsversammlung gelang es der Gewerkschaft in der vergangenen Woche, weite Teile der Zustellung in der Hansestadt lahmzulegen. Am Mittwoch setzte die Gewerkschaft noch einmal ein Zeichen. Die Beschäftigten der Zustellstützpunkte Hoheluft/Eppendorf, Harburg und Wandsbek wurden zu Streiks aufgerufen, von denen 160 Zustellbezirke betroffen waren. Rund 180.000 Briefe wurden nicht zugestellt. Weitere Warnstreiks gab es in Norddeutschland in Neubrandenburg und Waren. "Die Deutsche Post sollte die Zeichen der vergangenen Woche verstanden haben und nun ein tragfähiges Angebot auf den Tisch legen", sagt Rieck.

Die Post sieht die Aktionen gelassen. "Die Gewerkschaft hat die Warnstreiks zwar gut aussehen lassen, die Auswirkungen für die Kunden waren aber begrenzt", sagt Klasen. Der Warnstreik am Mittwoch war nicht mehr als ein Nadelstich. Denn betroffen war in Hamburg lediglich ein kleiner Teil der insgesamt 1200 Zustellbezirke.

Beobachter gehen davon aus, dass die Post am Donnerstag ein Angebot vorlegen wird. "Üblicherweise werden in der ersten Runde nur Positionen ohne eine Offerte ausgetauscht", sagt Bispinck. "Ab der zweiten Runde kommen dann konkrete Angebote ins Spiel, spätestens in der dritten Runde muss es auf dem Tisch liegen. Alles andere ist eine Provokation." Doch da die Post über eine glänzende Gewinnsituation verfüge, sei damit nicht zu rechnen.

Nach Bispincks Einschätzung liegen die bisherigen Forderungen und Abschlüsse in den Tarifkonflikten unter denen des Vorjahres. So wurden im Baugewerbe 6,6 Prozent mehr gefordert. Der Abschluss liegt bei 3,2 Prozent. Die Beschäftigten der Bahn bekommen drei Prozent, gefordert hatten sie 6,5 Prozent. "Da viele Abschlüsse noch ausstehen, ist es für ein Fazit zu früh", so Bispinck. 2012 waren die Tariflöhne um 2,7 Prozent gestiegen. Nach Abzug der Inflationsrate stand ein Plus von 0,7 Prozent.