"Zum letzten Mal habe ich ihn durch den Stacheldrahtzaun in Auschwitz gesehen, im Herbst 1944", sagt Jitzhak Reichenbaum leise. Er steht an jener Stelle im Keller der Schule am Bullenhuser Damm, wo am 20. April 1945 sein Bruder Eduard von der SS ermordet wurde - zusammen mit 19 anderen jüdischen Kindern und 28 Erwachsenen. Eduard war zehn Jahre alt.

Die Jahre haben den fast 81 Jahre alten Jitzhak Reichenbaum gebeugt, doch er strahlt einen unbändigen Lebenswillen aus. Er schiebt den Ärmel hoch und entblößt eine verwaschene Tätowierung: B 2514. "Nummern haben nur die in Auschwitz bekommen, die nicht sofort ermordet wurden", sagt er. Reichenbaum überlebt das Vernichtungslager, emigriert nach Haifa, wo er später seine Frau Bella kennenlernt. Sie begleitet ihn dieses Jahr nach Hamburg zur Gedenkfeier. Seit mehr als einem Jahrzehnt kommt er jedes Jahr im April in die Schule. 1984 hatte er in der Zeitung über die Kinder vom Bullenhuser Damm gelesen. Auch ein Junge mit dem Namen Reichenbaum sei dort getötet worden. "Ich dachte all die Zeit, er sei in Auschwitz ermordet worden."

Der kleine Jitzhak wurde nicht vom berüchtigten SS-Arzt Josef Mengele für medizinische Experimente an Kindern in Neuengamme ausgesucht, weil er bei seinem Vater im Männerlager war. Warum nimmt er jedes Jahr die beschwerliche Reise nach Hamburg auf sich? "Ich tue es für die deutschen Kinder", sagt Jitzhak Reichenbaum.