Der neue Chef von E.on Hanse, Matthias Boxberger, kritisiert den Bund und die Volksinitiative zum Rückkauf der Netze. Energiewende sei in vielen Bereichen noch nicht durchdacht.

Quickborn. Bei E.on Hanse ist derzeit nicht alles im Lot. Hohe Gaspreise, zahlreiche Gerichtsprozesse mit Kunden drücken das Image des norddeutschen Energieversorgers. Der mit der Stadt Hamburg geschlossene Vertrag über den Rückkauf von 25,1 Prozent des Gasnetzes wird von einer Volksinitiative bedroht. Hinzu kommen harte Sparvorgaben und Pläne für Stelleneinsparungen vom Mutterkonzern E.on. Es ist also keine leichte Zeit, in der Matthias Boxberger das Ruder bei der Tochtergesellschaft in Quickborn übernommen hat.

Seit Januar ist der studierte Wirtschaftsingenieur und Infrastrukturspezialist Vorstandsvorsitzender der E.on Hanse AG. Und auch wenn er durch die Neuordnung des Gesamtkonzerns nicht mehr für Energielieferung und Vertrieb zuständig ist, bleiben genug Probleme auf seinem Schreibtisch, zu denen er sich im Gespräch mit dem Abendblatt erstmals öffentlich äußert.

Eines der Probleme sind die hohen Energiepreise. Boxberger kritisiert, dass die Energiewende in vielen Bereichen noch nicht durchdacht ist, und er befürchtet, dass auf die Verbraucher noch einige Belastungen zukommen. "Es gibt noch immer kein wirtschaftlichkeitsorientiertes Fördersystem - auch nach dem Energiegipfel im Kanzleramt nicht", sagt der Manager. Er prognostiziert: "Die Umlage für die erneuerbaren Energien wird weiter steigen. Ebenso die Kosten für die Infrastruktur. Ich sehe noch nicht, wie man wirksam den Kostenanstieg für Energie bremsen kann."

So etwas hemmt das Vertrauen der Verbraucher in die Energiewende. Boxberger missfällt das, weil sein Unternehmen zusätzlich in die Kritik geraten ist. Seit Jahren prozessiert E.on Hanse nämlich mit zahlreichen Hamburger Kunden über eine umstrittene Preisanpassungsklausel in den Gaslieferverträgen. Formal liegt dieses Thema nicht in seinem Geschäftsbereich, weil E.on Hanse die Zuständigkeit dafür bereits vor Jahren an die E.on Vertrieb in München abgegeben hat. Und auch den Vorwurf, hier habe der Energiekonzern Kasse machen wollen, lässt er nicht gelten: "Die umstrittenen Preisanpassungsklauseln, um die es jetzt vor Gericht geht, stammen aus einer Zeit, in der das Unternehmen noch im kommunalen Besitz war."

Dennoch fühlt sich Boxberger verantwortlich: "Das Thema ist nicht schön. Wir müssen uns damit auseinandersetzen." Deshalb will er das Image von E.on Hanse verbessern, "indem wir deutlich machen, welche Leistung hinter der hohen Versorgungssicherheit steht. Wir müssen uns der Diskussion stellen, wenn auch mit angemessener Bescheidenheit", sagt Boxberger. Was er darunter versteht, zeigt sich bei der Diskussion über den Rückkauf der Energienetze. Während die Volksinitiative bei den Hamburgern massiv dafür wirbt, die Netze zu 100 Prozent wieder in die Hand der Stadt zu holen, schlägt Boxberger eher leise Töne an. Seit mehr als zehn Jahren sei er im Infrastrukturgeschäft der Netze tätig und habe dabei die Erkenntnis gewonnen, dass niemand die Deutungshoheit über Energiethemen besitzt.

Lösungen könnten nur im Konsens gefunden werden. Boxberger: "Das gefällt mir an dem Ansatz des Hamburger Bürgermeisters so gut: Er versucht alle zusammenzubringen, die Erfahrung auf dem Feld haben. Zusammen machen wir eine bürgerschaftliche, leistungsfähige Energiewende für Hamburg." Er habe in vielen Regionen Deutschlands gearbeitet, sagt der 46-Jährige. "Keine Stadt eignet sich wie diese als Blaupause für eine wirtschaftlich und sozial verträgliche Energiewende."

Das Argument der Befürworter des Volksentscheids, die Energiewende funktioniere nur, indem die Stadt komplett die Hoheit über die Netze übernimmt, hält Boxberger für falsch. "Die argumentieren so, als wenn man für die Einführung der Elektromobilität auch die Straßen mitkaufen muss. Ich sage hingegen, es ist klüger, die Autos zu optimieren. Um das Straßennetz soll sich der kümmern, der das auch bisher getan hat." Damit meint er: Zur Energiewende gehört viel mehr als Stromkabel und Gasrohre. "Es geht auch um die Frage, wie erzeugen wir Energie, wie sparen wir Energie und wie organisieren wir sie dezentral", und genau da sieht Boxberger erheblichen Nachholbedarf.

Mit der Energiewende habe Deutschland hohe Ambitionen formuliert. In der Praxis fehle aber ein konsistentes Ausbau- und Umbauziel der Energiesysteme. Beispiel Netze: Windräder, Solardächer und Biogasanlagen nördlich der Elbe haben inzwischen ein Erzeugungspotenzial von 15.000 Megawatt Strom. Nur ein Drittel davon können Schleswig-Holstein und Hamburg zusammen verbrauchen. Die überschüssige Energie muss über riesige Stromautobahnen abtransportiert werden. "Ich halte es für ausgesprochen anspruchsvoll, auch nur einen Teil der angedachten Stromautobahnen bis zum Ende des Jahrzehnts zu verwirklichen", sagt Boxberger. Er plädiert dafür, die lokalen Verwertungsmöglichkeiten der Energie vor Ort zu erhöhen, durch Speicherung und Wandlung. Sein Vorschlag lautet "Power to Gas", ein Projekt, das Boxberger in Kürze zusammen mit der Stadt vorstellen will: Dabei wird überschüssiger Strom aus erneuerbaren Energien durch Elektrolyse in Gas umgewandelt, das dann ins Gasnetz eingespeist wird. Ein anspruchsvolles Projekt, aber wer Boxberger kennt, kann sich vorstellen, dass er sein Gelingen vorantreibt. Denn auch bei seiner liebsten Freizeitbeschäftigung, dem Wandern, wählt er gern anspruchsvolle Strecken. In der Familie trifft Boxberger mitunter auf Widerstand: Mit seiner Frau Bettina hat er sechs Kinder im Alter zwischen vier und 14 Jahren. Wenn niemand mitwill, dann bleibt er eben zu Hause und widmet sich der privaten Energiewende: "Mir hängt der Ruf an, etwas zu sehr auf die Heizungstemperatur zu gucken. Und ich gehe immer durch die Zimmer und drehe das Licht ab, wo es nicht gebraucht wird."