Die Zahl der Hochseepassagiere ist auf gut 1,5 Millionen gestiegen. Unruhen in Ägypten bremsen dagegen die Flussschifffahrt.

Hamburg/Berlin . Der Boom in der Hochseekreuzfahrt ist ungebrochen. Nach der am Donnerstag vom Deutschen ReiseVerband (DRV) in Berlin vorgestellten Studie stieg die Zahl der deutschen Passagiere 2012 um 11,2 Prozent auf gut 1,5 Millionen. Mit den Gästen auf Flusskreuzfahrtschiffen haben 2012 insgesamt 1.980.897 Reisende Urlaub auf dem Wasser gebucht. Die Marke von zwei Millionen wurde nur deshalb nicht erreicht, weil es auf den Flüssen erstmals seit 2006 kein Wachstum, sondern ein Minus von 5,4 Prozent auf 461.695 Gäste gab. Der Umsatz sank um 8,2 Prozent auf 455 Millionen Euro. Hintergrund dafür waren Unruhen in Ägypten, die sich auf die Nilreisen auswirkten, Visa-Schwierigkeiten in Russland und die höhere Mehrwertsteuer für Flussreisen.

Über die Trends auf See sprach das Abendblatt mit dem Vorsitzenden des DRV-Ausschusses Schiff, TUI-Cruises-Chef Richard J. Vogel.

Hamburger Abendblatt: Herr Vogel, das Unglück der "Costa Concordia", die am 13. Januar 2012 mit 4200 Menschen an Bord vor der Insel Giglio auf einen Felsen lief, hat die Risiken der Passagierschifffahrt neu aufgezeigt. Was hat die Havarie in der Branche bewirkt?

Richard J. Vogel: Es hat dazu geführt, dass die strengen Sicherheitsvorkehrungen noch einmal überprüft und erweitert wurden. Ein Beispiel: Die Rettungsübungen finden jetzt bei allen Reedereien noch vor dem Auslaufen statt. Nach den internationalen Regeln wäre dies erst in einem Zeitraum von 24 Stunden nötig. Aber es wäre falsch zu glauben, die Reisen hätten nicht schon vor dem Unglück höchsten Sicherheitsstandards entsprochen.

Kapitän Schettino hat einen Kurs gesteuert, der nicht gut gehen konnte. Wäre so etwas heute auch noch möglich?

Vogel: Heute sind allen Nautikern an Bord die Route und der Fahrplan bekannt. Ein Kapitän kann ihn nicht eigenständig ändern, ohne dass zumindest ein weiterer Offizier zustimmt. Es gibt damit mehr geteilte Verantwortung auf der Brücke. Das Vieraugenprinzip bringt zusätzliche Sicherheit.

Wie hat sich das Unglück auf die Buchungen in Deutschland ausgewirkt?

Vogel: Die befürchteten negativen Auswirkungen sind ausgeblieben. Umso mehr hat uns das Wachstum überrascht. Der Umsatz im deutschen Hochseekreuzfahrtmarkt legte um 11,3 Prozent auf mehr als 2,6 Milliarden Euro zu, und die Zahl der Passagiere stieg 2012 um 11,2 Prozent auf 1.544.269. Ein positives Zeichen ist, dass der Durchschnittspreis für die im Schnitt gut neun Tage lange Reise mit 1710 Euro konstant blieb. Es gab keine Probleme, auch neue Schiffe wie eine "Aida", die "Columbus 2" und weitere in dem Jahr erstmals über das ganze Jahr fahrende Schiffe, zu auskömmlichen Preisen zu füllen. Zwar gab es Sonderangebote, aber keine Welle von Niedrigpreisen.

Damit geht es weiter aufwärts. Was ist das Erfolgsgeheimnis?

Vogel: Es kommt für immer mehr Menschen infrage, im Urlaub ein Schiff statt ein Hotel zu buchen. Fast 13 Prozent des Veranstalterumsatzes in Deutschland wird heute mit Kreuzfahrten erwirtschaftet. Wir bieten ein Hotelzimmer an, das mitreist und jeden Tag ein neues Ziel erreicht, wo der Passagier an Land etwas entdecken kann. Und an Bord gibt es eine Vielfalt von Kultur, Sport und Unterhaltung.

Welche Ziele liegen im Trend?

Vogel: Die Renner sind Routen im westlichen Mittelmeer, bei denen Häfen wie Barcelona, Genua, Neapel oder Palma de Mallorca angelaufen werden. Dann kommt der Norden mit Spitzbergen und dem Nordkap. Neue Häfen, in denen größere Schiffe anlegen können, lassen sich ohne den Ausbau der Infrastruktur kaum mehr finden. Aber die Kreuzfahrt ist eine wachsende Branche. Es geht also darum, neue Passagiere an Bord zu holen. Für die sind alle Ziele vom Wasser aus gesehen neu.

Welche Rolle spielen die deutschen Häfen Hamburg, Rostock und Kiel?

Vogel: Die Zahl der Kreuzfahrtgäste geht dort inzwischen in die Hunderttausende. In Rostock waren es 2012 rund 500.000, in Hamburg 430.000 und in Kiel 348.000. Davon profitiert der Handel, die Gastronomie, Taxen, Busse und der Nahverkehr. Die Schiffe bringen den Städten neue Kunden.

Aber?

Vogel: Manchen Städten fällt nichts Besseres ein, als über eine Bettensteuer für die Passagiere nachzudenken. Ich weiß nicht, ob wir das mitmachen müssen. Sollte es nicht vielmehr so sein, dass sich lokale Unternehmen, die von dieser Industrie profitieren, finanziell an der Verbesserung der Infrastruktur für die Häfen beteiligen, weil sie ihnen zusätzliche Einnahmen bringen?

Die Kritik der Umweltschützer am Ausstoß von Schwefel, Stickoxiden, Ruß und Kohlendioxid nimmt zu. Wie schnell wird die Schifffahrt sauberer?

Vogel: Für alle gelten von 2015 an deutlich niedrigere Grenzwerte für den Anteil des Schwefels im Treibstoff. Diese geforderte Reduzierung der Schadstoffe kann entweder über Abgasnachbehandlungssysteme oder den Einsatz von Marinediesel erreicht werden. Inwiefern Marinediesel für die gesamte Schifffahrt zur Verfügung steht, vermag ich aktuell nicht zu beurteilen.

Also passiert erst einmal wenig?

Vogel: Nein, das Thema ist erkannt. So wird TUI Cruises, das ich als Vorsitzender der Geschäftsführung leite, im Frühjahr 2013 erstmals einen Umweltbericht vorlegen. Er wird zeigen: Wir handeln heute umweltbewusster als viele Hotels. Bei unserem ersten Neubau, der "Mein Schiff 3", machen wir einen weiteren wichtigen Schritt. Es wird so ausgerüstet, dass Schadstoffe deutlich reduziert werden. Alle Erfahrungen von dem Neubau sollen für "Mein Schiff 1" und "Mein Schiff 2" genutzt werden. Der Neubau wird zudem auf externe Stromversorgung vorbereitet.

Sie gehen dabei davon aus, dass die Diskussion über die Emissionen den Reiseboom nicht beeinträchtigen wird?

Vogel: Damit ist nicht zu rechnen. Denn das Thema steht bei allen Reedereien schon länger auf der Agenda. Allein in diesem Jahr werden sechs neue Schiffe in Dienst gestellt. Auch sie werden sich verkaufen. Möglicherweise reicht die neue Kapazität nicht einmal aus, um erneut ein zweistelliges Wachstum zu erreichen. Aber es ist erkennbar, dass der deutsche Markt ein Wachstumsmarkt bleibt. 2015, spätestens 2016 haben wir mehr als zwei Millionen Hochseepassagiere.

Werden Seereisen 2013 teurer?

Vogel: Ohne höhere Preise werden sich die Kosten für den hochwertigeren Treibstoff kaum ausgleichen lassen. Es wird moderate Steigerungen geben, vielleicht um drei bis vier Prozent.