Itaien wählt instabile Verhältnisse - und wieder einmal Berlusconi

Eine historische Richtungswahl, die über den Reformkurs Italiens und die Stabilisierung des Euro entscheiden würde, sollte es werden. Eine, von denen sich Brüssel und Berlin stabile Verhältnisse ohne den irrlichternden Silvio Berlusconi versprochen hatten. Erwartet wurde, dass Pier Luigi Bersani mit seinem Mitte-links-Bündnis die neue italienische Regierung bilden würde. Die 65. der Nachkriegsgeschichte.

Aber allein diese Zahl macht klar, dass Stabilität im Zusammenhang mit den politischen Verhältnissen südlich der Alpen ein relativer Begriff ist. Und nun hat sich am Wahlabend noch erwiesen, dass die Italiener vom eingeschlagenen Reformkurs Mario Montis nichts mehr wissen wollen. Die Hälfte hat dem Berlusconi oder dem ehemals hauptamtlichen Komiker Beppe Grillo die Stimme gegeben. Zwischen dem Abgeordnetenhaus und dem Senat droht ein Patt. Das Land scheint unregierbar. Die drittgrößte Volkswirtschaft der Gemeinschaft droht vollends aus dem Ruder zu laufen.

Denn Monti hat trotz all seiner unpopulären Maßnahmen noch keinen einzigen Euro des gigantischen Schuldenberges abgetragen. Er konnte den Finanzmärkten und Regierungskollegen lediglich einigermaßen glaubhaft versichern, dass Italien einen Erfolg versprechenden Kurs eingeschlagen habe. Dieser Glaube dürfte seit Montag wieder nachhaltig erschüttert sein. Und das Land steckt noch immer tief in der Rezession. Nur in Griechenland sind die Staatsschulden pro Kopf der Bevölkerung größer. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, der Konsum ist eingebrochen, die Menschen stöhnen unter steigenden Steuern und Abgaben. Entsprechend wächst das Protestpotenzial. Den die Wirtschaft maßgeblich tragenden Mittelstand hat eine Pleitewelle erfasst. Der byzantinistisch aufgeblähte Staatsapparat mit 3,5 Millionen Beschäftigten verschlingt weiter Unsummen. Die Renten sind noch immer zu hoch, die Nettolöhne niedrig. Der Jugend kommen die Perspektiven abhanden.

Die Aufgaben für jede neue Regierung sind gigantisch. Und die Anforderungen an die Gesellschaft auch. Aber statt mit Veränderungsbereitschaft reagiert Italien in erschreckendem Ausmaß mit Realitätsverweigerung. Viele, zu viele, glauben lieber zum x-ten Mal einem, der allen alles verspricht, erhoffen sich von jemandem wie Grillo, der kräftig auf "die da oben schimpft" und ansonsten ein ähnlich schwammiges und internetbasiertes Programm vorzuweisen hat wie hierzulande die Piratenpartei, die Lösung, schimpfen lieber weiter auf die Ausbeuter in Brüssel und Berlin und mögen Reformen allenfalls in der von Bersani versprochenen Soft-Variante akzeptieren.

Aber selbst wenn Bersani eine Regierung bilden kann und - ähnlich wie François Hollande in Frankreich - versucht, Reformen begleitet von staatlichen Interventionen sozial abzufedern, wird er unendlich viel Kraft und solide Partner brauchen. Zu tief sind Vetternwirtschaft und Misstrauen gegen alles Staatliche verwurzelt. Und Europa muss einen Weg finden, mit den italienischen Verhältnissen umzugehen. Scheitern ist angesichts der Größe und der Bedeutung des Gründungsmitglieds der Gemeinschaft keine Option. Und kein Rettungsschirm wäre zudem groß genug, um über Italien aufgespannt werden zu können. Die Krise, an deren Überwindung viele glauben mochten und deren Ende die italienische Wahl beschleunigen sollte, ist unvermittelt zurück auf der Bühne.

Möge die neue Regierung Italiens, so sie denn zustande kommt, also einen langen Atem haben. Aber selbst das garantiert noch keine erfolgreiche Politik. Denn mit 3297 Tagen im Regierungsamt heißt der unangefochtene Nachkriegs-Landesmeister - Silvio Berlusconi. Und der ist nicht unwesentlich an der derzeitigen Lage seines Landes schuld.