Neustadt. Kritiker werfen Generalstaatsanwalt Lutz von Selle schon lange mangelndes Augenmaß und Pedanterie vor (das Abendblatt berichtete). Mit einem aufsehenerregenden Strafantrag leistet Hamburgs Chefankläger dieser auch in seiner Behörde verbreiteten Einschätzung weiter Vorschub. Die Staatsanwaltschaft klagte Richter Arno L. jetzt wegen Beleidigung an, berichtete die "Bild"-Zeitung. Ein Oberstaatsanwalt habe demnach bereits alle Zeugen vernommen, darunter auch einen 15 Jahre alten Praktikanten.

Was war geschehen? Im September 2012 stieß Richter Arno L., 45, während einer Verhandlung das Gebaren eines Staatsanwalts sauer auf. Laut der zwei Seiten umfassenden Anklage hat sich der Amtsrichter in sein Beratungszimmer zurückgezogen und "mit lauter Stimme" gesagt: "Denen haben sie wohl ins Gehirn geschissen." Damit habe er einen Staatsanwalt, der angeblich einer Verfahrenseinstellung nicht zustimmen wollte, gemeint oder auch dessen Vorgesetzte.

Die unschöne Bemerkung erreichte über eine Protokollführerin, die im Beratungszimmer saß, schließlich auch Generalstaatsanwalt Lutz von Selle. Obgleich sich der Richter zügig beim Staatsanwalt entschuldigt hatte und auch Behördenleiter Ewald Brandt von einer Strafverfolgung absehen wollte, beharrte nach Abendblatt-Informationen von Selle auf dem Verfahren. Das Verfahren könne eingestellt werden, wenn der Richter 250 Euro Geldbuße zahle, so das Angebot der Staatsanwaltschaft. Doch darauf ging Arno L. nicht ein. "Meine sicherlich unangemessene Äußerung in dem Beratungszimmer aus Verärgerung über das allgemeine Einstellungsverhalten der Staatsanwaltschaft Hamburg seit zwei bis drei Jahren war keinesfalls für die Öffentlichkeit bestimmt und sollte im Sitzungssaal gerade nicht gehört werden", sagte der Amtsrichter dazu auf Anfrage dem Abendblatt. "Da die zugeworfene Zwischentür von mir unbemerkt wieder aufsprang, war die Bemerkung wohl leider zum Teil im Saal zu hören. Nachdem ich das erfahren hatte, habe ich mich gegenüber dem vermeintlich dadurch betroffenen Staatsanwalt sowie dem Behördenleiter Dr. Brandt für meine Unbeherrschtheit entschuldigt. Damit war die Sache aus meiner Sicht für alle Beteiligten erledigt. Ein strafwürdiges Unrecht habe ich mir nicht vorzuwerfen und die zweieinhalb Monate nach dem Vorfall erfolgte Strafantragstellung durch den Generalstaatsanwalt von Selle kann ich nicht nachvollziehen."

Tatsächlich könnte das Amtsgericht das Verfahren gar nicht erst eröffnen, etwa wenn es nach Aktenlage zu dem Ergebnis kommt, dass aus "rechtlichen oder tatsächlichen Gründen" eine Verurteilung unwahrscheinlich ist. Dann könnte die Staatsanwaltschaft Beschwerde einlegen.