Ein Kommentar von Thomas Andre

Was immer sich Verleger, Autoren, Kritiker und Lesepublikum von den notorischen Shortlists der Buchpreise erwarten - am Ende sind sie doch immer wieder gleich überrascht von der Auswahl der Jury. Jetzt wieder, siehe den Preis der Leipziger Buchmesse in der Abteilung Belletristik. Wer hätte dort den Autor Birk Meinhardt erwartet, der einen DDR-Gesellschaftsroman geschrieben hat?

Hatten wir das nicht oft genug zuletzt? Wer hat mit dem Bremer Ralph Dohrmann gerechnet, dessen voluminöses Debüt "Kronhardt" so mutig und manieriert ist, dass viele Rezensenten es zunächst ignorierten? Wer hätte auf die jungen Schriftstellerinnen Lisa Kränzler (Jahrgang 1983) und Anna Weidenholzer (Jahrgang 1984) gewettet? Einzig David Wagner, der in seinem Roman "Leben" eine Kranken- und Transplantationsgeschichte erzählt, hätte man nicht als Außenseiter betrachtet.

Andererseits: Ist die Auswahl nicht konsequent, um nicht zu sagen: interessant? Weil Herbstprogramm und -messe ohnehin gewichtiger sind, entdecken die Leipziger jetzt, so scheint es, mit Hingabe neue Stimmen der deutschsprachigen Literatur. Für eine Geschichte wird jeder Sieger sowieso gut sein: Entweder weil er jung an Jahren ist, oder weil er, wie Meinhardt und Dohrmann, jahrelang an seinem Opus magnum schrieb. David Wagner dagegen hat die existenzielle Wucht des Sujets auf seiner Seite - und die Aktualität des Themas.