500 Euro Schmerzensgeld muss die 25 Jahre alte Autofahrerin an das Opfer zahlen und zudem 100 Stunden gemeinnützige Arbeit leisten.

Hamburg. So unterschiedlich können Wahrnehmungen sein. Da ist diese junge Frau, die sich mit nahezu tadelloser Vita wähnt - bis auf diese eine Kleinigkeit, zugegeben. "Da war mal was mit Schwarzfahren, als ich 16 war. Aber das war auch das Höchste", wehrt Anne D. (Name geändert) mit einer wegwerfenden Geste ab, die deutlich suggerieren soll: eine Jugendsünde, na und? Und dann ist da der Amtsrichter, der einen sehr viel nüchterneren Blickwinkel hat. Auf seinem Tisch sind mehrere Akten über die 25-Jährige gestapelt, alle sehr dünn nur, aber unübersehbar und keineswegs das, was man als Ruhmesblätter bezeichnen könnte. Um eine unflätige Auseinandersetzung mit einem Radfahrer geht es da, eine Beleidigung gegen einen Ordnungshüter sowie zwei Fälle von Handgreiflichkeiten. "Es ist offenbar so, dass Sie manchmal etwas impulsiver reagieren", fasst der Richter trocken zusammen.

So wie offenbar zuletzt an einem Sommertag 2012, als die Hamburgerin am Steuer ihres Wagens in einen hitzigen Konflikt mit einer Radfahrerin geriet. Sie habe die Schülerin ausgebremst, weil sie sich über deren Fahrweise ärgerte, heißt es im Prozess, in dem sie sich unter anderem wegen Nötigung verantworten muss. "Wenn du nicht aufpasst, fahre ich dich beim nächsten Mal tot", soll sie ihr zudem gedroht haben. Als die Schülerin mit dem Rad stürzte und sich verletzte, habe sie einfach ihre Fahrt fortgesetzt, ohne sich um das Opfer zu kümmern.

Doch Anne D. weist die Vorwürfe weit von sich, und ihre Darstellung gerät zu einer temperamentvollen Brandrede. "Ich wurde von der Radfahrerin geschnitten", empört sich die zierliche, im Nacken tätowierte Frau. Daraufhin habe sie ihr zugerufen: "Pass ein bisschen besser auf, sonst fährt dich noch jemand tot", korrigiert sie. Sie habe zwar gebremst, räumt sie ein. "Es war aber nicht meine Absicht, sie auszubremsen." Sie habe sehr wohl registriert, dass die Schülerin stürzte, und dementsprechend auch reagiert. "Tausendprozentig habe ich angehalten und bin auch ausgestiegen", ereifert sich die Angeklagte. "Aber sie hat nicht Aua gesagt oder so, sondern pöbelte mich an." Die Krönung war nach ihrer Darstellung, dass die Radfahrerin ihr ein wütendes "Verpiss dich" entgegengeschleudert habe. "Also bin ich weitergefahren", schäumt sie.

Doch Schülerin Svenja K. schildert die Auseinandersetzung ganz anders. Sie habe die Autofahrerin, die an einem Verkehrshindernis kurz anhalten musste, "rechts überholt. Das war mein Fehler", erzählt die 17-Jährige kleinlaut. Doch auf diesen Lapsus habe die Angeklagte sehr heftig reagiert, mit übermäßiger Beschleunigung und einem schwungvollen Überholmanöver. "Schließlich bremste sie abrupt und unnötig, sodass ich stürzte. Dann stieg sie aus und sagte: Beim nächsten Mal fahre ich dich tot", beteuert die Zeugin. Daraufhin habe auch sie "nicht so schöne Sachen gesagt", räumt Svenja K. ein. "Und ich habe geheult wie nichts Gutes. Ich stand völlig unter Schock." Eine ältere Dame half ihr auf und kümmerte sich um sie. Hämatome und eine Rippenprellung beeinträchtigten die Jugendliche noch zwei Wochen.

Mit unergründlicher Miene hat die Angeklagte während der Zeugenaussage dagesessen, die Arme vor der Brust verschränkt. Doch offenbar ist der Appell der Radfahrerin doch zu Anne D. durchgedrungen. "Ich möchte mich bei der Schülerin entschuldigen", gibt sie sich einen Ruck. "Es tut mir leid, dass sie verletzt wurde." "Sie haben sich mehr als rüpelhaft verhalten", rügt der Amtsrichter die Angeklagte. "Sie meinen offenbar, andere Verkehrsteilnehmer maßregeln zu müssen." Eine Geldstrafe von 1800 Euro, die zur Bewährung ausgesetzt wird, verhängt der Richter. Wenn Anne D. sich nichts Weiteres zuschulden kommen lässt, wird die Strafe in zwei Jahren erlassen. Doch an einem Denkzettel wird die Autofahrerin eine Weile zu knapsen haben: 500 Euro Schmerzensgeld muss sie an das Opfer zahlen, zudem 100 Stunden gemeinnützige Arbeit leisten - beim Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club.