24 Bürger haben ein kontroverses Buch darüber geschrieben, wie sich ihr Stadtteil nach Gartenschau und Bauausstellung entwickelt.

Hamburg. Bringen die Gartenschau und Bauausstellung Vor- oder Nachteile für Wilhelmsburg? Darüber sind die Bewohner der Elbinsel geteilter Meinung. In einem aber sind sie sich einig: Sie sind nicht, wie oft behauptet wird, durch IBA (Internationale Bauausstellung) und igs (Internationale Gartenschau) aus dem Dornröschenschlaf geweckt worden. Im Gegenteil. "Wir waren es, die mit einer starken Bürgerbewegung und Zukunftsideen zum Sprung über die Elbe angesetzt haben", sagt Manuel Humburg vom Verein Zukunft Elbinsel Wilhelmsburg.

In dem Buch "Eine starke Insel mitten in der Stadt" beschreiben 24 Wilhelmsburger mit unterschiedlichen Sichtweisen, wie sie die Entwicklung in ihrem Stadtteil wahrnehmen. Vier Autoren haben wir getroffen - an einem Ort, den Manuel Humburg als "Metrozone" bezeichnet. Hier, am südlichen Veringkanal, ist das eine Ufer Stadtentwicklungsgebiet der IBA, das andere ist Hafengebiet. Achtstöckig türmen sich die Container übereinander. Vier dieser Terminals gibt es in Wilhelmsburg. "Hier haben Hafengewerbe und Wirtschaftsbehörde eine Stadtentwicklung durch die IBA vereitelt", sagt Humburg.

Der Skeptiker

Den Ausstellungen IBA und igs steht Humburg, wie er sagt, "offen und erwartungsvoll, aber skeptisch" gegenüber. "Eine Gesamtbilanz kann ich noch nicht ziehen", sagt der Allgemeinmediziner. "Der Gebrauchswert für die Wilhelmsburger muss sich noch herausstellen." Seit 1975 lebt und arbeitet Manuel Humburg auf der Elbinsel, seit Ende 2012 ist er pensioniert. Von Anfang an engagierte er sich für die Entwicklung des Stadtteils und nahm an den Protesten teil, mit denen sich die Wilhelmsburger gegen Pläne der Stadt wehrten. Sie verhinderten unter anderem die Güterumgehungsbahn im Osten und die Müllverbrennungsanlage im Westen Wilhelmsburgs, setzten eine Lösung für den Müllberg Georgswerder durch und trugen zur Öffnung des Spreehafens bei.

Auch die Zukunftskonferenz, bei der ein neues Entwicklungskonzept für die Elbinsel geschaffen werden sollte, entstand auf Drängen der Wilhelmsburger. Sie wurde 2001 ins Leben gerufen - nachdem im Vorjahr der kleine Volkan von Kampfhunden totgebissen worden war und der Wilhelmsburger Sven Böttcher seine Lebensgefährtin und deren Töchter erschossen hatte. "Wieder waren wir als die Bronx von Hamburg in den Negativschlagzeilen", sagt Humburg. "Dass es mal zu einer IBA kommen könnte, hat damals keiner gedacht." Aktuell setzt er sich gegen weitere Autobahnprojekte auf der Elbinsel ein. Solange in Wilhelmsburg Container gestapelt würden und geplant sei, Autobahnen durch Wohngebiete zu führen, sei der Stadtteil noch nicht in der Mitte Hamburgs angekommen.

Die Befürworterin

Für Lisa Zahn sind Garten- und Bauausstellung "das Beste, was Wilhelmsburg passieren konnte". Die 82-Jährige ist auf der Elbinsel geboren und aufgewachsen, ihren Eltern gehörte das Ausflugslokal Stübens Volksgarten am Reiherstiegdeich. 1944 wurde das Anwesen durch Bomben zerstört, 1959 zog Lisa Zahn nach Harburg. Von dort verfolgte sie die Entwicklung "ihres" Stadtteils und ergriff auf der Zukunftskonferenz die Gelegenheit, daran mitzuwirken. Um den Stadtteil aufzuwerten, sollten Arbeitsgruppen Vorschläge für Wilhelmsburg erarbeiten. Ihre Ideen und Vorschläge wurden in einem sogenannten Weissbuch festgehalten. "Dafür bekommen wir noch heute viel Lob", sagt Lisa Zahn, die das Gymnasium Neuwiedenthal gründete und lange Zeit leitete. Auch an der Gründung des Vereins Zukunft Elbinsel Wilhelmsburg vor zehn Jahren war sie beteiligt. In dem Buch über Wilhelmsburg stellt sie dar, was von den Visionen der Zukunftskonferenz umgesetzt wurde. Ihr Fazit: "Durch IBA und igs hat Wilhelmsburg einen gewaltigen Anschub bekommen." Wilhelmsburg wird jetzt als "Wasserstadtteil" wahrgenommen, ist mit der Fähre erreichbar und hat ein Zentrum bekommen, Altbauten wurden saniert, ein Radwegenetz eingerichtet, das Bildungsangebot verbessert und ein Inselpark geschaffen. Ihre Sympathie trägt Lisa Zahn am Mantelkragen zur Schau: das IBA-Männchen als Brosche.

Die Kritikerin

Auch Ruth Lenz war eine begeisterte Anhängerin der beiden Ausstellungen - als Gärtnermeisterin natürlich besonders von der Gartenschau. Als eine Planungsgruppe sie 2005 fragte, ob sie an einem interkulturellen Garten mitwirken wolle, sagte sie sofort zu. Engagement war schon immer ihre Sache - ob in Kita, Schule, Elternschule oder dem Zukunft-Elbinsel-Verein. Mittlerweile betätigen sich auf der Gartenfläche am Veringkanal 30 Menschen aus sieben Ländern. Das Projekt ist ein Erfolg - doch von dem, was die igs sonst bewirkt hat, ist Ruth Lenz zutiefst enttäuscht. "Man hat uns viel versprochen und wenig gehalten", sagt sie. "Sie wollten auf unsere Interessen eingehen, mit dem Bestand der alten Bäume planen und die Kleingärten berücksichtigen." Stattdessen seien auf der ganzen Insel Bäume abgeholzt und Biotope bebaut worden, viele Kleingärtner mussten der Gartenschau weichen. Bei der IBA verhielte es sich ähnlich: Einige der neuen Gebäude seien viel zu groß, zudem müssten die Wilhelmsburger entgegen den Versprechungen ein halbes Jahr auf eine Schwimmhalle verzichten. Das sei gerade für Schulkinder unzumutbar.

Die Zugezogene

Astrid Kraekel hat vor fünf Jahren den Sprung über die Elbe gewagt und ist aus der Ottensener Wohnung ins Wilhelmsburger Häuschen gezogen. Kurz darauf erfuhr die Sozialökonomin von den Plänen zur Verlegung der Wilhelmsburger Reichsstraße. Theoretisch findet sie die Idee gut, die schmale und teilweise marode Schnellstraße neben die Gleise der S-, Fern- und Güterbahnen zu legen. "Dadurch werden Trassen gebündelt und Flächen für den Wohnungsbau frei", sagt sie.

Was sie und viele andere Wilhelmsburger aber fürchten, ist die Zunahme von Lärm und Verkehr. "Die neue Wilhelmsburger Reichstraße soll zur Stadtautobahn ausgebaut werden", sagt Astrid Kraekel. Dort würden weitaus mehr Autos mit deutlich höherer Geschwindigkeit fahren als jetzt. Die neue Lebensqualität im Stadtteil wäre dann mit einem Schlag wieder zerstört. Besonders ärgert sich Astrid Kraekel über die Doppelmoral der Stadtplaner. "In Othmarschen und Bahrenfeld soll die Autobahn gedeckelt werden, hier baut man eine neue mitten durchs Wohngebiet. Das geht gar nicht."

Weitere Ansichten zur Entwicklung in ihrem Stadtteil beschreiben die Wilhelmsburger in dem Buch "Eine starke Insel mitten in der Stadt". Es hat 220 Seiten, viele Fotos, kostet 13 Euro und ist im Internet auf der Homepage www.insel-im-fluss.de erhältlich.