Eine verhängnisvolle Affäre: Wie die Politik sich aus der Schuldenkrise windet und die Sparer dafür zahlen

Banker möchte man dieser Tage nicht sein. Infolge der Finanzkrise ist der Ruf der Branche nachhaltig ruiniert und schwankt irgendwo zwischen Taschendieben oder Hütchenspielern. Da des Volkes Seele ungern differenziert, trifft der Bannstrahl bescheidene Volksbankmitarbeiter fast im selben Maße wie gierige Investmentbanker. Kürzlich wurde ich Zeuge, wie ein empörter Kunde ob des homöopathischen Sparbuchzinses von Nullkommakaummessbar die Nerven verlor und gleich die ganze Bank kriminalisierte. Brechts Zitat aus der Dreigroschenoper ist der Soundtrack unserer kapitalismuskritischen Tage: "Was ist ein Dietrich gegen eine Aktie? Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?"

Heute verwünschen viele Bürger Banken und Finanzkonzerne, wünschen aber neben kostenlosen EC-Automaten an jeder Straßenkreuzung spendable Sparzinsen und billiges Baugeld. Dabei wird gern übersehen, dass nicht der Sparkassendirektor in Sasel oder der Filialleiter in Farmsen die Zinssätze bestimmen, sondern die Europäische Zentralbank, trotz vermeintlicher Unabhängigkeit flankiert von den Politikern in der Europäischen Union. Letzteren mag es gelegen kommen, dass die Bürger die bösen Buben in den Banken wähnen. Doch die Banker sind nicht verantwortlich für das Zinsdrama - blenden wir ihren Spielraum von einigen Zehntelpunkten einmal aus.

Die Inflation ist nicht - wie in Sonntagsreden gern und regelmäßig betont wird - das Schreckgespenst der Politik. Es ist eher eine leidenschaftliche Affäre, auf die man sich einlässt, weil sie einen Ausweg aus der Verschuldung weist. Klettert die Preissteigerungsrate über den Zinssatz, schmelzen die Schulden. Verhängnisvoll wird die Affäre trotzdem.

"Inflation ist eines der Zaubermittel in den Händen des Staates, wenn es darum geht, der ausufernden Staatsschuld zu Leibe zu rücken", schreiben Konrad/Zschäpitz in ihrem lesenswerten Buch über die Schuldenkrise ("Schulden ohne Sühne"). Den USA ist es so nach dem Zweiten Weltkrieg gelungen, von ihrer hohen Verschuldung herunterzukommen.

Die Europäische Zentralbank, eigentlich der Geldwertstabilität verpflichtet, verfolgt offenbar eine ähnliche Strategie. Ihr Chef Mario Draghi kündigte im Sommer an, alles zu tun, um den Euro zu retten. Die Geldwertstabilität wurde damit zu einem nachrangigen Ziel. Derzeit hält die Zentralbank die Leitzinsen extrem niedrig, weitet die Geldmenge aus und hat in den vergangenen Monaten massiv Staatsanleihen gekauft. Immerhin hat sie somit das Auseinanderbrechen der Euro-Zone und ein konjunkturelles Armageddon verhindert. Doch kostenlos ist diese Strategie nicht - wer es bezweifelt, betrachte schon heute die aktuellen Zinssätze. Sie liegen bereits unter der Inflationsrate.

Während Sparer und Besitzer von Lebensversicherungen darben, kann Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble frohlocken. So günstig wie in den vergangenen Monaten konnte er sich nie zuvor verschulden. So einfach war es nie zu entschulden. Noch einfacher wird es, wenn die Inflation weiter anzieht: Die durchschnittliche Laufzeit der Bundesschuldenpapiere liegt bei sechs Jahren. Jedes Prozent mehr Inflation bessert so die finanzielle Lage des Staates.

Für die Schuldner hat eine moderate Inflation längst ihren Schrecken verloren, für Gläubiger hingegen dürfte der Schrecken erst beginnen. Jedes Geschäft hat schließlich ein Gegengeschäft. Die Gläubiger aber sind oft die Bürger, die ihre Ersparnisse, ihre Altersvorsorge auf Sparbüchern, in Bundesanleihen oder mittels Lebensversicherungen angelegt haben. Wer derzeit für fünf Jahre Geld anlegt, bekommt Zinsen in Höhe von 1,5 bis zwei Prozent. Steigt die Inflation über dieses Maß, schmilzt das Ersparte.

Die meisten Experten erwarten, dass es mittelfristig mit der Preissteigerungsrate bergauf gehen wird. HWWI-Ökonom Thomas Straubhaar kritisiert, die Inflation wirke wie eine schleichende Steuer, eine Art deutscher Solidarbeitrag für Europa: "Sie zwingt die deutsche Bevölkerung, durch die Hintertür in eine europäische Transferunion einzutreten." Sozial ist das nicht.

Vielleicht ist es "alternativlos", wie Kanzlerin Angela Merkel vermutlich sagen würde. Zu dieser Einschätzung könnte man angesichts der Verwerfungen in Europa sehr wohl kommen. Allerdings sollte man das Thema zumindest offen und kontrovers diskutieren.

Matthias Iken beleuchtet in der Kolumne "Hamburger KRITiken" jeden Montag Hamburg und die Welt