Der Trend zu bewusstem Essen setzt sich in der Hamburger Gastronomie erst langsam durch - und die Zahl der Vegetarier nimmt zu.

Hamburg. Wenn die Kuh tot auf den Boden fällt, bekommt Hagen Schäfer eine Gänsehaut. Zweimal im Monat fährt der Inhaber des Restaurants Lokal1 auf der Schanze mit seinem Kompagnon Robert Wullkopf raus aufs Land, zum Schlachten. Die beiden Köche sind dann dabei, wenn Tiere ihr Leben verlieren, um später bei ihren Gästen auf dem Teller zu landen. Keine angenehme Erfahrung - aber eine, die ihnen wichtig ist.

"Es gibt ein wachsendes Bewusstsein dafür, dass Fleisch nicht nur aus der Tiefkühltruhe kommt", sagt Schäfer. "Die meisten unserer Gäste interessieren sich ernsthaft dafür, woher ihr Essen stammt." Schäfer und Wullkopf wissen bei jedem Steak, auf welchem der drei Höfe, von denen sie ihr Fleisch beziehen, das jeweilige Rind gelebt hat. Und dass es nachhaltig und biozertifiziert gehalten wurde.

Ein derart bewusster Umgang mit Fleisch ist in Hamburg wie im Rest der Republik noch eine Seltenheit. Deutschland ist Fleischland. Wie man im neuen Fleischatlas des Umweltverbands BUND am Donnerstag nachlesen konnte, isst jeder Bundesbürger in seinem Leben durchschnittlich 1094 Tiere - und 60 Kilogramm Fleisch pro Jahr. Auf der anderen Seite wächst aber auch die Zahl jener Menschen, die auf Wurst, Schnitzel und Co. verzichten. Der Vegetarierbund Deutschland geht davon aus, dass aktuell etwa acht bis neun Prozent der bundesweiten Bevölkerung fleischlos leben, also rund sieben Millionen Menschen. Vor 30 Jahren lag der Vegetarieranteil noch unter einem Prozent. Zudem gibt es heute mittlerweile rund 700.000 Veganer, sie nehmen nichts zu sich, was von einem Tier stammt. Für Hamburg gibt es zwar keine gesonderten Zahlen, bezieht man aber die bundesweite Relation auf die Hansestadt, dürften sich hier zwischen 140 000 und 150 000 Menschen fleischlos ernähren. Wahrscheinlich sind es sogar noch mehr. Großstädte gelten als Vegetarier-Hochburgen.

Dabei sind nicht nur Skandale wie jene um BSE, Schweinegrippe oder Dioxin für immer mehr Menschen ein Grund, dem Würstchen Lebewohl zu sagen. Wie eine Studie der Uni Jena 2007 zeigte, ist die Ernährungsumstellung bei den allermeisten moralisch motiviert. Tierschutz und Tierrechte stehen bei ihnen im Vordergrund.

So ist es auch bei Katia Veronio. Die Vegetarierin betreibt gemeinsam mit ihrem Mann Carmelo Callea, ebenfalls Vegetarier, in Rotherbaum das italienische Restaurant La Monella - und zwar völlig fleischlos. "Es gibt in letzter Zeit definitiv einen Bewusstseinswandel", sagt Veronio. "Fleisch auf dem Teller ist heute längst nicht mehr so wichtig wie früher." Als das Ehepaar das Lokal im Oktober 2009 eröffnete, seien manche Gäste noch skeptisch gewesen, erzählt sie. "Heute sind wir aber fast immer ausgebucht."

Martina Friess hat ihren letzten Vegetarierstammtisch im Dezember im La Monella veranstaltet. Die 36-Jährige organisiert seit sechs Jahren in Hamburg monatliche Treffen von Vegetariern und Veganern. "Bei uns sind aber auch alle Fleischesser herzlich willkommen", sagt sie, "die können sich dann bei und über vegetarische Ernährung informieren." Auch ihr Eindruck: Das Interesse steigt, vor allem im veganen Bereich. "Zu manchen Stammtischen kommen mehr als 30 Teilnehmer" sagt sie. Friess hat mit 18 Jahren aufgehört, Fleisch zu essen. Seit 2009 lebt sie gänzlich ohne tierische Produkte. Mit ihrem Stammtisch verfolgt Friess auch so etwas wie eine Mission: "Es ist wichtig, dass die Leute merken, dass wir Vegetarier auch ganz normale Menschen sind."

Selbst Fast-Food-Riese McDonald's ist auf den Vegetarier-Zug aufgesprungen und bietet in Deutschland 2010 den Veggieburger an, der seit Ende 2011 sogar zum Veggieburger TS mit Tomate und Salat weiterentwickelt wurde. "Die Resonanz ist sehr gut", ließ ein McDonald's-Sprecher wissen, ohne jedoch Zahlen zu nennen. In rund 800 McCafé-Filialen finde man außerdem den Italian Bagel, eine fleischlose Sandwichalternative. Weitere vegetarische Produkte seien künftig nicht ausgeschlossen.

Doch die breite Masse, das zeigen der Umsatz von McDonald's wie der Fleischatlas, setzt weiter aufs Tier. "Das reine vegetarische Restaurant ist auch in Hamburg allenfalls ein Nischenprodukt", wie Gregor Maihöfer, Hauptgeschäftsführer der hiesigen Sektion des deutschen Hotel- und Gaststättenverbands Dehoga, bestätigt. "Gleichwohl gibt es einen klaren Trend auf den Speisekarten, dass dort immer mehr vegetarische Gerichte zu finden sind." Man orientiere sich schließlich an Gästen und Nachfrage.

Auch in der gehobenen Küche tendiert man weiter zu Fleisch. Alfred Schreiber, Küchendirektor im Hotel Steigenberger und verantwortlich für das dortige "Bistro am Fleet" und den Wintergarten berichtet sogar, seit Mitte 2012 das Steak-Angebot noch ausgebaut zu haben. "Die Gäste lieben gutes, qualitativ hochwertiges Fleisch." Allerdings gebe es auf den Speisekarten auch immer eine Auswahl an "leckeren, fleischlosen Gerichten." Das hoteleigene Gourmet-Restaurant gourfleets, mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet, hat jedoch nicht ein rein vegetarisches Gericht im Angebot.

Im Lokal1 wurde am Freitag hingegen kein Fleisch serviert. An einem Tag pro Woche verzichten Schäfer und Wullkopf darauf. In der Karte steht unter der Rubrik Fleisch dann schlicht das: "Heute nix. Der Umwelt zu Liebe."