Villa des 2010 gestorbenen Unternehmers Claus Großner weicht Neubau. Stiftung will mit Erlös das Richard-Dehmel-Haus sanieren.

Nienstedten. Eines der markantesten Gebäude am Elbufer verschwindet aus dem Stadtbild. Die Villa des 2010 gestorbenen Unternehmers Claus Großner, bekannt als "Weißes Haus" von Nienstedten, wird 100 Jahre nach dem Erstbezug abgerissen.

Mit dem Erlös aus dem Verkauf des 4374 Quadratmeter großen Grundstücks an der Elbchaussee 359 - schätzungsweise knapp sechs Millionen Euro - will die Großner-Stiftung Gläubiger des bekannten Investmentbankers bedienen und die Zukunft des Dehmel-Hauses in Blankenese sichern. Die Villa des Literaten Richard Dehmel an der nach ihm benannten Straße, ebenfalls aus Großners Vermächtnis, steht seit fast zwei Jahren leer.

"Die Abbruchgenehmigung für die Großner-Villa ist erteilt", bestätigte das Bezirksamt Altona. Das 1913 errichtete, äußerlich prachtvolle Haus war nach Großners Beerdigung über das Maklerbüro Meißler & Co. angeboten worden. Der Käufer, ein bekannter Hamburger Unternehmer, möchte nicht genannt werden. Anstelle des Altbaus soll eine Villa entstehen, die der neue Eigentümer mit seiner Ehefrau bewohnen will. Damit haben sich Befürchtungen der Nachbarn erledigt, die Angst vor einem großen Gebäude mit mehreren Eigentumswohnungen hatten.

"Ich habe die Architektenpläne gesehen; alles macht einen hervorragenden Eindruck", sagt Rechtsanwalt Klaus Landry, Seniorpartner der Kanzlei Graf von Westphalen in der Alten Post nahe dem Rathaus, "und wird sich erstklassig in die Umgebung einfügen". Der 74 Jahre alte Jurist zog hinter den Kulissen die Fäden des Immobiliengeschäfts - in seiner Eigenschaft als Gründer und Vorstandsvorsitzender der Großner-Stiftung. Zwar redet ein Hanseat wie Landry gar nicht gerne über Details seines Mandats, bekennt jedoch, dass ein hartes Stück Arbeit hinter ihm liegt.

"Anfangs hatten wir nur 500 Euro als flüssige Mittel auf dem Konto", verrät Landry. "Wir hätten Nachlassinsolvenz beantragen können." Noch nicht einmal eine Wachgesellschaft für die 16 Zimmer mit 500 Quadratmetern Wohnfläche umfassende Villa mit der wechselvollen Geschichte konnte engagiert werden. Vor dem jetzigen Verkauf war das repräsentative, 100 Jahre alte Bauwerk dreimal zwangsversteigert worden - zweimal davon im Jahr 1977.

Der damalige Besitzer Peter Linnert, auch "Dr. Hokuspokus" genannt, war mit seinem Versandhaus Möbel Becker in Konkurs gegangen. Er wurde in Haft genommen, als er versucht haben soll, fast 10.000 gefälschte Aktien loszuschlagen. Der Finkenwerder Werftbesitzer Johann Jacob Sietas ersteigerte das Haus 1977 für seine Tochter Ursula Plaaß und deponierte während der Auktion im Blankeneser Amtsgericht zehn Prozent des Kaufpreises in bar - 84.000 Mark. Rechtspfleger Paul Scheuch, so ist notiert, nahm die Geldbündel in einem Papierkorb in Sicherheit.

Noch im selben Jahr wechselte das herrschaftliche Haus wieder den Eigentümer. Käuferin waren zu einem Drittel die Hamburgerin Christiane Wessel und zu zwei Dritteln Claus Großner. Letztlich erwarb er das Anwesen komplett, um dort zu wohnen und Vorträge sowie Diskussionsrunden zu veranstalten. Der 1941 in Königsberg geborene Exzentriker, ein Hüne mit zerzaustem Haar, zu weitem Anzug und angeblich sagenhaftem Besitz, hatte Theologie, Jura, Volkswirtschaft und Philosophie studiert und beherrschte dem Vernehmen nach neun Sprachen. Gemeinsam mit Hans Barlach stieg er beim Suhrkamp Verlag ein; andere Investments - wo auch immer - waren weit ertragreicher. Zu Großners Geheimnissen zählt, dass er trotz großen Bekanntenkreises keine richtigen Freunde hatte und unter dem Strich allen ein Rätsel blieb.

Am Ende immer einsamer und unglücklicher, schied der Netzwerker Claus Großner am 10. Dezember 2010 aus dem Leben. Wegbegleiter bezeichneten ihn als "unbekanntesten Bekannten" der Hansestadt.

Als offizieller Absender seiner Einladungen fungierte sein "Großforschungs- und Informationsbureau" mit Sitz an der Elbchaussee 359. Prominente zuhauf besuchten so fantasievoll klingende Veranstaltungen wie "Jumelage" oder "Festa Europea". Die Themen: Kultur, Philosophie, Politik, Europa. Regisseur Christoph Schlingensief kam ebenso zu ihm wie der Versandhaus-Unternehmer Michael Otto oder die Publizistin Marion Gräfin Dönhoff. Es war eine illustre, chaotische Welt, in der sich Großner tummelte.

Auch als er im Alter von 69 Jahren verstarb, war alles ungeordnet. Zwar leben Großners Bruder und dessen beiden Söhne wie auch die hoch betagte, pflegebedürftige Mutter in Hamburg, doch erklärte er in seinem Testament eine neu zu gründende Stiftung zur Alleinerbin. Nicht wenige befürchteten nach Großners Ende, dass unter dem Strich nur Schulden blieben. "Dem ist nicht so", erklärt Nachlasspfleger Klaus Landry. Konkrete Zahlen will er nicht nennen, doch ist klar, dass durch den Kauferlös der weißen Villa an der Elbchaussee von angeblich fast sechs Millionen Euro gut zwei Millionen Euro übrig bleiben. Dass diese Summe für die Großner-Stiftung zur Verfügung steht, ist Verdienst intensiver Recherchen und Verhandlungen. Landry handelte ein Moratorium aus, dem das Finanzamt und weitere Gläubiger zustimmten.

Die Suche nach einem Käufer habe sich wegen des maroden Zustands des Gebäudes von 1913 als Problem erwiesen. Großner hatte das von Fluten beschädigte Bauwerk zwar an der Fassade übertüncht, aber nicht von Grund auf saniert. Jahrzehnte, so wissen Bekannte, sei substanziell nichts geschehen. "Eine Renovierung wäre ähnlich hoch wie der Kaufpreis gewesen", sagt Landry. "Es fand sich niemand, der bereit war, diese Summe aufzubringen." Das nach wie vor nicht flutgeschützte Haus am Elbufer sei nicht zu retten gewesen.

So wurde Großners weißes Haus inklusive behördlicher Abrissgenehmigung verkauft. Der Bebauungsplan sieht vor, dass ein neues Gebäude ausschließlich auf den Abmessungen des alten von etwa 16 mal 20 Metern errichtet werden darf - in festgelegter Höhe und in der Lage angemessenem Stil.

Nach dem Willen der Stiftung soll das Geld nun dem Erhalt des 101 Jahre alten Dehmel-Hauses dienen. Noch steht die Finanzierung nicht. Sie soll in Zusammenarbeit mit einer weiteren Stiftung erfolgen. Die Entscheidung werde bis zum Sommer getroffen. Hauptziel: der Erhalt als Dichterhaus.