Als Hamburger Richterin und Justizsenatorin hat Lore Maria Peschel-Gutzeit Rechtsgeschichte geschrieben: Ihr Name steht für Gleichberechtigung. Jetzt sind ihre Lebenserinnerungen erschienen

Beim gedämpften Licht des Übersee-Clubs leuchtet hinter der Sitzgruppe ein Frauenporträt, spätes 18. Jahrhundert. Eine unbekannte Hamburgerin in zeittypischem Musselinkleid, sanft lächelnd. Reiner Zufall, dass Lore Maria Peschel-Gutzeit genau davor sitzt. Aber es passt. Die Frauen und ihre Fähigkeiten aus der reinen Dekoration herauszuholen und ihnen zum Recht zu verhelfen, dafür steht ihr Name wie kein zweiter in Hamburg. Während die Frauenbewegung nach dem Zweiten Weltkrieg die Emanzipation allmählich ins Bewusstsein des Mainstreams beförderte, hat Peschel-Gutzeit dafür gesorgt, dass Emanzipation Gesetz wurde.

Sie selbst hat auch so ein sanftes Lächeln. Das aber nicht täuschen sollte. Sie kann auch ihre Lippen schürzen und ziemlich bissige Bemerkungen machen, mit diesem typischen Hamburger s-t. "Das muss man sich mal vors-tellen", sagt sie. "Da kommt diese europäische Richtlinie, wonach die Aufsichtsräte von börsennotierten Unternehmen bis 2020 zu 40 Prozent mit Frauen besetzt sein müssen. Und unsere Kanzlerin und unsere Familien- und Frauenministerin sagen einfach: Nein, das machen wir nicht, das ist eine nationale Angelegenheit. Indiskutabel!" Jede europäische Richtlinie, die den Umfang von Gurken festlegt, wird umgesetzt - aber eine, die eine angemessene Frauenquote für Aufsichtsräte fordert, nicht? "Das ist Verweigerung einer Gefolgschaft, die wir zu leisten haben", sagt Peschel-Gutzeit. Selbst wenn man die Quote als letztes Mittel nicht schätzt: Sie wirkt.

"In der Geschichte gibt es genügend Beispiele dafür, dass notwendige gesellschaftliche Veränderungen ohne die Macht des Gesetzes nicht zu erreichen sind." Dieser Satz steht in Peschel-Gutzeits Lebenserinnerungen, die kürzlich bei Hoffmann und Campe erschienen sind: "Selbstverständlich gleichberechtigt". Der Titel betrifft, wie sie zugibt, eher ihr eigenes Lebensmotto. Denn selbstverständlich war an der Gleichberechtigung erst mal gar nichts. Die war harte Arbeit, wie Peschel-Gutzeit in ihrem Buch sehr anschaulich darlegt.

Zum Beispiel, als sie 1968 als Richterin an der 23. Zivilkammer des Hamburger Landgerichts tätig war und gern zur Pressekammer wechseln wollte. "Das können Sie vergessen", hörte sie da, "der Vorsitzende der Pressekammer nimmt keine Frauen." Dieser Vorsitzende hieß Manfred Engelschall (gest. 2008), später einer der bundesweit renommiertesten Presserechtler.

Peschel-Gutzeit, damals 36, seit 1960 Richterin, verheiratet mit einem Richter-Kollegen und Mutter von zwei Kindern, wollte das nicht akzeptieren. "Genauso gut hätte er sagen können: 'Der Vorsitzende der Pressekammer nimmt keine Kaffeetrinker' oder 'keine Richter mit Ihrer Schuhgröße' oder 'keine Opernfreunde'." Sie betrat also Engelschalls Büro, grüßte freundlich und sagte: "Ich habe gehört, Sie möchten an Ihrer Kammer gern eine Frau haben. Ihnen kann geholfen werden." Lange Zeit habe Stille geherrscht, erinnert sie sich. Engelschall sah eine junge Frau mit Gardemaß von knapp 1,80 Meter und einem dunklen Dutt vor sich, die es wissen wollte. Schließlich bot er ihr bellend einen Sherry an. Und nahm sie dann doch in seine Kammer.

Immer wieder, in ihrer gesamten Berufslaufbahn, hat Peschel-Gutzeit zu hören bekommen: Das können Sie vergessen, ist unmöglich, kriegen Sie nicht durch. Beeindruckt hat sie das nie. Sie sei "ein sachlicher und argumentativer Mensch", sagt sie, und Argumente sind zum Austauschen da. Wer sich mit ihr austauscht, muss sich halt warm anziehen. Lore Maria Peschel-Gutzeit ist kampferprobt, aber nicht streitlustig. Sie fühlt sich wohler, wenn sie schlichten oder Konsens herstellen kann. Aber sie geht einfach selbstverständlich davon aus, dass Leistung anerkannt wird, auch wenn eine Frau sie erbringt. In ihrer Familie gab es dafür starke Vorbilder. Ihre Mutter, Grund- und Realschullehrerin, die "prägende Figur meiner Kindheit und Jugend", war zeitlebens berufstätig. Ihre Großmutter Helene leitete als Prokuristin stellvertretend eine große Peddigrohrfabrik. Den Vater, einen Offizier, bekamen Lore und ihre ältere Schwester Ursula nicht oft zu sehen, da er häufig versetzt wurde.

Aus dem "langsamen, stillen, unpünktlichen und sehr, sehr verträumten" kleinen Mädchen, wie sie sich beschreibt, wurde in der Kriegszeit eine große, ziemlich hagere Überlebenskünstlerin. Jahre ihrer Kindheit hat sie in kleinen bayerischen Orten verbracht, als die Kinderlandverschickung ganze Schulklassen aus den Großstädten evakuierte. Nach dem Zusammenbruch machte sie sich mit ihrer Schwester auf die Suche nach der Mutter, die 130 Kilometer entfernt untergebracht war. Als sie nach acht Tagen, teilweise noch unter Beschuss, verdreckt und abgemagert ankamen, hatte Lore ihre Verträumtheit verloren.

Auch die Nachkriegsjahre im zerstörten Hamburg waren eine harte Schule. Sie zog mit ihrer Schwester zum Holzsammeln in den Wald, kletterte auf fahrende Züge, um von oben die Kohlen runterzuwerfen, und trug mit Nachhilfestunden zum Familieneinkommen bei. Es war weitgehend eine männerlose Zeit. "Das fand ich völlig normal", sagt sie, "es ging allen so." Erst 1948 kehrte der Vater zurück.

Dass sie Juristin wurde, war keineswegs klar. Denn ihre große Leidenschaft war und ist die Musik. Schon als Kind hatte sie in Chören gesungen, noch heute kennt sie ganze Liedzyklen und Arien auswendig, ihre Lieblingsoper ist "Der Rosenkavalier". Aber: "Ich habe eine Notenlegasthenie, ich kann bis heute keine Noten lesen." Also Jura. Da saß sie nun 1951 in einem Hörsaal der Uni Hamburg, eine von vier Frauen unter Hunderten von Männern. Zehn Jahre später war sie mit 28 Jahren Richterin am Hamburger Landgericht - eine von nur drei Richterinnen in der Hamburger Justiz.

In Artikel 3 des Grundgesetzes steht: "Männer und Frauen sind gleichberechtigt." Aber diesem Gebot entsprach die Alltagserfahrung der meisten Frauen nicht. In den 50er-Jahren sorgte die Reform des alten, seit 1900 geltenden Familienrechts für eine Art Kulturkampf. Ein Gesetz, das heute selbst Ägypterinnen auf die Palme bringen würde. Demnach bestimmte der Mann, ob die Frau arbeiten gehen, ein Konto oder ein Geschäft eröffnen durfte. Er verwaltete ihr Vermögen. Er durfte sie zu Fuß gehen lassen und ihr Auto selbst fahren, konnte ihr die Schlüssel wegnehmen und ihr das Haushaltsgeld streichen und allein die Namen der Kinder bestimmen. Erst 1957 kam im Bundestag eine Mehrheit für eine Reform zustande, die das männliche "Letztentscheidungsrecht" in der Ehe verwarf.

Es war ein psychologischer Umbruch, der seine Zeit brauchte. "Theoretisch konnte die Frau schon ab 1953 ein eigenes Konto haben und über ihr Geld verfügen", sagt Peschel-Gutzeit. "Nur musste sich das erst mal rumsprechen. Die Wirtschaft und die Banken haben das nicht sofort begriffen." Sie erlebte es selbst, als ihre Mutter in Schleswig-Holstein ein Haus kaufte und beide Töchter mit ins Grundbuch eingetragen wurden. "Meine Mutter, meine Schwester und ich waren im öffentlichen Dienst beschäftigt und wollten zusammen als Eigentümer eine Hypothek von 30.000 Mark aufnehmen. Da sagte die Bank doch glatt, die Ehemänner müssten mit unterschreiben! Da bin ich geplatzt, mit lautem Knall." Die Bank bekam von keinem der Ehemänner eine Unterschrift, und es ging auch ohne.

Braucht eine erfolgreiche Richterin und Rechtspolitikerin nun einen Mann, der ihr den Rücken frei hält? Peschel-Gutzeit berichtet offen darüber, dass das nicht einfach ist. Ihr erster Mann, den sie 1957 kennenlernte, starb zwei Jahre später an Krebs. Mit ihrem zweiten Mann, einem Richterkollegen, hatte sie drei Kinder. Als die Ehe zerbrach, war sie viele Jahre lang alleinerziehend. Dass sie dennoch eine Karriere zur Justizsenatorin geschafft hat, erforderte Ehrgeiz - der sei ihr angeboren, sagt sie - und unglaublichen Fleiß. Noch heute steht sie morgens um sechs auf, arbeitet bis zu zehn Stunden im Büro, engagiert sich darüber hinaus ehrenamtlich. Sie habe immer gewusst, dass sie als Pionierin keine Fehler machen durfte, sagt sie. "Ich habe mich besonders angestrengt. Zum Glück habe ich viel Energie."

Die Reform des Scheidungsrechts 1977 mit der Abschaffung des Schuldprinzips, die Reformen des Unterhaltsrechts 1986 und 2008, die Reform des Abtreibungsparagrafen 218, die Einführung der Teilzeitarbeit für Mütter im öffentlichen Dienst: Peschel-Gutzeit hat nicht nur Recht gesprochen, sondern sich aktiv in die Rechtsentwicklung eingeschaltet und viele Reformen initiiert. Die Teilzeitarbeit im öffentlichen Dienst heißt nicht umsonst "Lex Peschel". 1988 unterstützte sie Alice Schwarzer bei deren PorNo-Kampagne gegen diskriminierende Titelbilder des "Stern". "Alice hat damals schon eine Pornografisierung der Gesellschaft vorausgesagt, und sie hat recht behalten."

Peschel-Gutzeit gehört nicht zu den Frauen, die hinter allem eine männliche Verschwörung wittern. Aber sie kennt ihre Pappenheimer - sie hat Intrigen männlicher Kollegen erlebt und überstanden. Und sie kennt ihre Pappenheimerinnen. Viel zu oft schrecken Frauen noch vor einer beruflichen Herausforderung zurück, findet sie. Viel zu oft sagen Frauen: Ich möchte mich gar nicht in männlich dominierten Feldern beweisen, ich möchte gar keine Macht. Das, sagt Peschel-Gutzeit, ist falsch. Denn nur wer Hierarchien kennt, nutzt und darin aufsteigt, gewinnt eine Position, in der wirklich etwas verändert werden kann, "und Frauen nutzen ihre Macht anders".

Wo zum Beispiel? In Aufsichtsräten. Damit kennt sie sich aus: Unter anderem saß sie als Berliner Justizsenatorin bis 1997 im Aufsichtsrat der Berliner Flughafengesellschaft (BFG) und war Aufsichtsratsvorsitzende der Planungsgesellschaft für den sattsam bekannten Flughafen Berlin-Brandenburg, der - wie die Elbphilharmonie - allein vom Zusehen immer teurer wird. "Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Frauen in Aufsichtsräten viel genauer hinsehen als die meisten Männer", sagt sie. "Viele Männer nicken einfach ab. Frauen dagegen fragen: 'Würden Sie erklären, warum diese Ausgabe und warum jetzt und in dieser Höhe?'" Aufsichtsräte seien zum Nachfragen da, "das wissen wir spätestens seit Lehman Brothers. Deshalb halte ich es für unabdingbar, dass solche Gremien gemischt besetzt sind."

Mehr Frauen in Führungspositionen - das ist ein Ziel, das Peschel-Gutzeit für die Enkelinnen noch erleben und erreichen möchte. Im Grunde ist es mit der Gleichberechtigung wie beim Rallyefahren, hat sie als langjähriges Mitglied des Deutschen Damen Automobil Clubs festgestellt. Sie liebt schnelle Autos. Oft hat sie bei Rallyes schwierige Strecken bewältigt, hat bei jedem Wetter unter der Karosse gelegen, um Lecks in der Ölleitung mit Korken und Kaugummi zu stopfen. Man braucht eine gute Kopilotin und ein gutes Auto. Für die Gleichberechtigung braucht man kundige Mitstreiterinnen und eine Machtposition als Vehikel. Heute besitzen Frauen 40 Prozent aller deutschen Führerscheine. Sie müssen nur Gas geben.

Und welche Rolle könnte SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück dabei spielen? "Er müsste für den richtigen politischen Sprit sorgen, damit Benachteiligungen für Frauen endlich verschwinden. Das hat noch kein Kanzler angepackt, und auch die Kanzlerin nicht."

Lore Maria Peschel-Gutzeit: "Selbstverständlich gleichberechtigt", Hoffmann und Campe, 303 Seiten, 22,90 Euro