Hamburgs Bischöfe, der Landesrabbiner und der Schura-Vorsitzende unterhalten sich über den Glauben - und was sie verbindet.

Hamburg. Vom Mariendom nebenan ertönt Glockengeläut. In der Bibliothek des Erzbischofs in St. Georg ist der Tisch gedeckt, ein Adventsgesteck mit Tannenzapfen, Zimtsterne und Plätzchen stehen bereit. Ruhe kehrt ein. Es kann Weihnachten werden.

Umso mehr wegen des besonderen Charakters dieser Runde, die es so noch nicht gab: Hier sitzen die führenden Persönlichkeiten der vier bedeutendsten Religionsgemeinschaften und Konfessionen der Hansestadt: Bischöfin Kirsten Fehrs für die evangelische, Erzbischof Werner Thissen für die katholische Kirche, Landesrabbiner Shlomo Bistritzky aus der jüdischen Gemeinde. Vierter im Bunde ist Mustafa Yoldas, Vorsitzender der Schura, dem Rat der islamischen Gemeinschaften in Hamburg. Zusammengekommen, um über den Glauben und den aktuellen Geist des Christfestes zu sprechen - außerhalb des Protokolls, kollegial und in höherem Sinne verbunden. Es ist ein historischer Moment, der Mut macht und Hoffnung beschert.

Ist das Weihnachtsfest mehr als Tannenbaum, Geschenke und Glühwein? "Symbole machen deutlich, was Christsein ist", wirft Erzbischof Thissen in den Kreis. "Der Tannenbaum etwa, als Paradiessymbol", ergänzt seine protestantische Kollegin Kirsten Fehrs. "Immerwährend, Jahr für Jahr, wird die Hoffnung neu geboren." Das Tannengrün sei ein Ursymbol: "Es geht weiter, auch wenn du das Gefühl hast, es gibt Grenzen." Rabbi Shlomo Bistritzky wiegt nachdenklich sein Haupt mit der schwarzen Kippa auf dem Hinterkopf.

Der orthodoxe Jude kann das Gesagte gut verstehen. Am 3. Advent christlicher Zeitrechnung klang das jüdische Chanukka-Fest mit einer großen Zeremonie an der Binnenalster aus. Dieses Fest erinnert an die Wiedereinweihung des Tempels in Jerusalem, und während der acht Festtage werden auf einem speziellen Leuchter nach und nach Kerzen entzündet. Zu einem Essen anlässlich des Chanukka-Festes hat die jüdische Gemeinde vor zwei Wochen auch die anderen Religionsgemeinschaften eingeladen. Kirsten Fehrs: "Wir saßen alle an einem Tisch. Das war ein wichtiges Signal für die Religionstoleranz in unserer Stadt."

Auch Muslim Mustafa Yoldas, ein türkischstämmiger Arzt aus Altona, war gern dabei. Im klassischen Sinne feiere er nicht Weihnachten. Und dennoch geht "dieses Christenfest nicht an den Menschen vorbei". Seine Kinder hätten eine herrliche Adventszeit mit Basteln und Kindergottesdiensten verlebt. "Wir Muslime verschließen die Augen nicht", sagt Yoldas, "sondern genießen die schöne Zeit, an der wir teilnehmen können." Schließlich entstamme man einer gemeinsamen Religionsfamilie - wobei die Moslems der jüngste Spross seien. Und, tatsächlich, er spricht von "jüdischen Geschwistern". Yoldas verweist auf die Rolle Marias im Koran. "Ja", sagt Erzbischof Thissen, "Sure 19 des Korans ist fast wortgleich mit dem Lukasevangelium."

Und nun geht's bei diesem kleinen Religionsgipfel richtig zur Sache. Die Akteure debattieren engagiert darüber, dass der ursprüngliche Kern der religiösen Feste zunehmend schwindet. Bei Muslimen genauso wie bei Christen. Weihnachten - das ist doch das internationale Fest der Geschenke - oder?

Yoldas berichtet von einer Begegnung mit christlichen Jugendlichen. Dabei war er der Einzige, der die ursprüngliche Bedeutung des christlichen Osterfestes erklären konnte. "Auch bei jungen Muslimen müssen wir einen Traditionsverlust feststellen."

Als Beispiel nennt der Mediziner das tägliche, gemeinsame Fastenbrechen Iftar im Ramadan. "Als öffentliches Ritual hat es häufig eine soziale Ausrichtung, Obdachlose und Arme sind dazu eingeladen. Aber heutzutage findet Iftar sogar in Luxushotels statt, ohne dass Obdachlose und andere Bedürftige vertreten sind."

Auch der orthodoxe Landesrabbiner stellt fest, dass der religiöse Sinn der Feste in Vergessenheit geraten kann. So sei die Überlieferung aus den Heiligen Schriften nicht in jedem Fall präsent. Zum Glück gebe es aber noch die Symbole. "Sie haben - wie zum Beispiel die Kerzen bei Chanukka - eine große Bedeutung für die Menschen."

Es sei die Sehnsucht nach Frieden, die alle miteinander verbinde, sagt Bischöfin Kirsten Fehrs. "Gott ist in die Welt gekommen, arm und in Existenznot, sozusagen auf den Boden bitterer Realität hinein." Für die Juden aber, die den Namen des Absoluten nicht einmal auszusprechen wagen, klingt das höchst anstößig. Und tatsächlich geht Shlomo Bistritzky in diesem Moment der vorweihnachtlichen Harmonie auf Distanz zu den Vorstellungen, dass Jesus Christus Gottes Sohn sei. "Wir haben deshalb im Glauben mehr mit Muslimen als mit Christen gemeinsam", betont er. "Wir glauben gemeinsam an den einen Gott und lehnen die Dreifaltigkeit ab." Was Mustafa Yoldas prompt unterstreicht: "Auch wir Muslime tun uns schwer mit dem christlichen Dogma der Trinität - damit, Vater, Sohn und Heiligen Geist unter einen Hut zu bringen. Wir sind streng monotheistisch wie die Juden." - "Genau wie wir", erwidert die evangelische Bischöfin.

An dieser Stelle erreicht das vorweihnachtliche Treffen seinen Gipfel. Man merkt deutlich die Unterschiede in den einzelnen Standpunkten. Bischöfin und Erzbischof belassen es aber bei dem ebenso deutlichen wie gerechtfertigten Hinweis, dass sie alle an einen Gott glauben. "Und dass wir die Unterschiede besser kennenlernen müssen."

Bistritzky macht einen Vorschlag zur Güte: "Wir sollten darüber reden, was wir gemeinsam unabhängig von unseren Glaubensvorstellungen für die Stadt Hamburg tun können." Trotz ernsthafter Diskussion schallt immer wieder Lachen durch die Bibliothek. An den Seiten hat der katholische Erzbischof Weihnachtskarten, Fotos, Danksagungen und persönliche Erinnerungsstücke platziert.

Und was unternehmen die Mitglieder dieser Viererrunde zu Weihnachten? Rabbiner Bistritzky will die Ruhe genießen, um mit seiner Ehefrau und den sechs Kindern beisammen zu sein. Mustafa Yoldas verbrachte die vergangenen Jahre oft dienstlich im Krankenhaus, um seinen christlichen Kollegen Freizeit zu ermöglichen.

Bischöfin Kirsten Fehrs arbeitet am Vormittag des Heiligen Abends und freut sich auf die ab mittags keimende Feierlichkeit. Der erste Besuch gilt der Feier mit Obdachlosen in der Diakonie, und um 23 Uhr hält sie die Christmette im Michel. Am 1. Weihnachtstag geht es zur Familie nach Dithmarschen.

Auch für Erzbischof Thissen steht Einsatz an der Basis im Mittelpunkt. Im Anschluss an Besuche bei arbeitenden Menschen im Krankenhaus, bei Polizei und Rettungsdiensten nimmt er wie immer an der Feier im Haus Bethlehem auf St. Pauli teil - gemeinsam mit Obdachlosen und Bedürftigen.

Draußen ist es längst dunkel geworden, drinnen geht es um die Gemeinsamkeit der Religionen und um Hamburgs Vorbildcharakter in dieser Beziehung. Auf Bitten des Erzbischofs stimmt Rabbi Bistritzky ein jüdisches Feiertagslied an: "Maoz tzur." Ganz leise singt er es, fast ein bisschen verschämt. Und wahrlich, die anderen summen mit. Es geschehen Zeiten und kleine Wunder im Vorfeld der Stillen Nacht. Man muss nur daran glauben.