Immer mehr Staaten entwickeln automatisierte Kampfmaschinen - eine Entwicklung, die alle moralischen Hürden niederzureißen droht

In jeder deutschen Stadt müsste eigentlich ein Denkmal von Stanislaw Jewgrafowitsch Petrow stehen. Den kennen Sie nicht? Petrow war Oberstleutnant im Serpuchow-15-Bunker südlich von Moskau. Die Anlage überwachte den Luftraum mit Satelliten und Computern und war Teil des sowjetischen Atomraketensystems. Kurz nach Mitternacht des 26. September 1983 - es herrschte Kalter Krieg zwischen Ost und West - meldete das System eine anfliegende amerikanische Atomrakete. Petrow war Diensthabender in Serpuchow und entschied, den Angriff als Fehlalarm zu werten. Es war ein äußerst riskanter Entschluss und erforderte ungeheuren persönlichen Mut.

Wenig später meldete das System jedoch vier weitere anfliegende US-Atomraketen. Petrow setzte sich über den Computer hinweg und blieb auch jetzt bei seiner Diagnose Fehlalarm. Er weigerte sich, einen Angriff zu melden, denn dies hätte zu einem massiven sowjetischen Gegenschlag geführt. Am nächsten Morgen stellte sich heraus, dass Sonnenreflexionen auf Wolken über der US-Raketenbasis Malmstrom Air Base in Montana die Computer irritiert hatten. Petrow hatte mit seiner einsamen Entscheidung einen Atomkrieg verhindert, der Abermillionen Tote gefordert und unseren Planeten weitgehend zerstört hätte.

Die Frage, die im Licht jüngster Entwicklungen diskutiert wird, lautet: Was wäre passiert, wenn das sowjetische System bereits automatisiert gewesen wäre? Dann hätte unsere Welt, so wie wir sie kennen, am 26. September 1983 aufgehört zu existieren. Bei den erwähnten jüngsten Entwicklungen handelt es sich um automatisierte Waffensysteme, die die Kriegsführung zunehmend revolutionieren.

Die Armeen von mehr als 40 Staaten setzen Roboter ein. Derzeit sind diese Maschinen noch von Menschen ferngesteuert - wie Roboterbulldozer, die die israelische Armee im Gazastreifen einsetzt, oder die Kampfdrohnen der Typen Predator (Raubtier) oder Reaper (Sensenmann) der Amerikaner, die von den USA aus gesteuert in Afghanistan oder Pakistan Terroristen gezielt töten. An der Grenze zwischen Israel und dem Gazastreifen stehen bereits Robotertürme mit hoch entwickelten Sensoren und Maschinenkanonen, die Eindringlinge automatisch ausschalten können. Ähnliche Systeme errichtet Südkorea an der Grenze zum Norden. Israels Raketenabwehrsystem "Eiserne Kuppel" ist weitgehend automatisiert. Aus der Erfahrung hoher amerikanischer Verluste im Irak-Krieg entwickelte das Pentagon infanteristische Killer-Roboter wie den Swords, der, auf Panzerketten fahrend, ferngesteuert den Kampf mit einer Maschinenwaffe aufnehmen kann. In den USA werden nun offenbar schon mehr Drohnenoperateure ausgebildet als Kampf- und Bomberpiloten. Selbst die Bundeswehr, die sich lange gesträubt hat, bewaffnete Drohnen einzusetzen und nur drei von Israel geleaste Aufklärungsdrohnen des Typs Heron1 in Afghanistan verwendet, denkt um und will 16 Kampfdrohnen anschaffen.

Roboter schonen die eigenen Kräfte, minimieren eigene Verluste und sind beim Töten meistens sogar präziser. Diese Entwicklung ist nicht mehr aufzuhalten. Doch sie geht inzwischen weiter. Die großen Militärmächte werkeln an voll automatisierten Kampfflugzeugen. Denn im Gefecht, in dem es auf jede Sekunde ankommt, kann selbst die kurze Zeit, die ein Steuerbefehl bis zur Maschine benötigt, zu lang sein. Künftig sollen Kampfmaschinen eigenständig reagieren können.

Experten diskutieren die Frage, ob der Einsatz von ferngesteuerten Robotern die Hemmschwelle zum Töten sinken lässt. Solange noch Menschen die Entscheidung treffen, ob das Feuer auf andere Menschen eröffnet wird, gelten im Prinzip nach wie vor jene Regeln, die sich in 10.000 Jahren der Kriegsführung entwickelt haben. Doch spätestens wenn eine Maschine eines Tages selbstständig die Entscheidung über Leben und Tod treffen kann, sind alle moralischen und völkerrechtlichen Hürden niedergerissen. Angeblich hat es im Kampf gegen Terroristen am Hindukusch bereits automatisierte Tötungseinsätze amerikanischer Drohnen gegeben. Die über 100 Jahre alte Haager Landkriegsordnung und die Genfer Konventionen werden bald einer Neufassung bedürfen - um auch die Grenzen eines Einsatzes von Kampfmaschinen als Kombattanten zu regeln.