Der NDR ist der älteste öffentlich-rechtliche Sender Deutschlands. Am Rothenbaum und in Lokstedt arbeiten 2741 Menschen.

Hamburg. Eigentlich ist er ja viel mehr als nur ein Bürgermeister. Das Reich, über das Lutz Marmor herrscht, erstreckt sich von Flensburg bis Hannoversch Münden und von Ostfriesland bis Usedom. Denn zum NDR, einer der größten ARD-Anstalten, gehören die Bundesländer Schleswig-Holstein, Hamburg, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern. Als Intendant dieser Vierländeranstalt sitzt Marmor aber nun mal in Hamburg, genau genommen im Funkhaus an der Rothenbaumchaussee.

Es gibt eigentlich nichts, wofür ein Intendant nicht verantwortlich wäre. Da sind zunächst einmal die Budget-Fragen. Hier kennt sich Marmor besonders gut aus. Schließlich ist der 58-Jährige studierter Betriebswirt und hat sich einst als Verwaltungsdirektor von ORB, NDR und WDR um die Finanzen von drei Sendern gekümmert. Als oberster Programmverantwortlicher des NDR verlässt sich der Intendant hingegen auf Fernsehdirektor Frank Beckmann und Hörfunkdirektor Joachim Knuth. Das heißt aber nicht, dass Marmor nicht auch Vorschläge machen würde. Die Einführung der Regionalnachrichten um 21.45 Uhr im NDR Fernsehen geht auf seine Anregung zurück.

Die Reaktivierung der Image-Kampagne "Der NDR - das Beste am Norden", diesmal allerdings ironisch gebrochen, war ebenfalls eine Idee des Intendanten. Verantwortlich ist Marmor zudem für juristische Angelegenheiten und für Personalfragen. Alle wichtigen Positionen im Sender können nur mit Kandidaten besetzt werden, die zuvor vom Intendanten vorgeschlagen wurden. Die allerwichtigste Personalie des kommenden Jahres betrifft Marmor selbst. 2013 muss sein Vertrag verlängert werden, der Anfang 2014 ausläuft.

Die Geschichte

Streng genommen gibt es den NDR erst seit dem 1. Januar 1956. Aber der Sender hat mehrere Vorläufer: Der erste, die Norddeutsche Rundfunk AG (Norag), nahm am 2. Mai 1924 den Sendebetrieb auf. Das älteste NDR-Hörfunkformat, zugleich die älteste noch regelmäßig ausgestrahlte Radiosendung der Welt, stammt aus Norag-Zeiten: das "Hafenkonzert", das 1929 erstmals zu hören war. Und das Funkhaus an der Rothenbaumchaussee wurde 1931 als Norag-Funkhaus eröffnet.

Die Nazis verstaatlichten die Norag, bevor die Briten am 4. Mai 1945 ein neues Kapitel Hamburger Rundfunkgeschichte schrieben: Damals meldete sich erstmals Radio Hamburg als "Sender der alliierten Militärregierung". Am 22. September 1945 wurde dieser Sender mit dem Funkhaus Köln zum Nordwestdeutschen Rundfunk (NWDR) vereint. Und ein Jahr später erhielt Hugh Greene als Chief Controller des Rundfunks in der britischen Besatzungszone die Verantwortung für den NWDR. Er machte aus ihm nach dem Vorbild der BBC den ersten öffentlich-rechtlichen Sender Deutschlands. Am 1. Januar 1948 war der NWDR nicht länger Besatzungsrundfunk.

1950 sendete der NWDR das erste deutsche Fernsehbild nach dem Zweiten Weltkrieg. 1953 wurden in Lokstedt die ersten TV-Studios eingeweiht. 1956 spaltete sich der Sender in NDR und WDR auf. 1965 startete der NDR gemeinsam mit SFB und Radio Bremen das dritte Fernsehprogramm. Und am 1. Januar 1992 trat Mecklenburg-Vorpommern dem NDR bei.

Das Parlament

Wie jeder öffentlich-rechtliche Sender wird auch der NDR von Vertretern sogenannter gesellschaftlich relevanter Gruppen kontrolliert. Zu ihnen zählen Parteien, Kirchen, Gewerkschaften, Handelskammern, aber auch Umweltorganisationen wie etwa Robin Wood. Sie alle entsenden Vertreter in den Rundfunkrat. "Wir sind das Volk", sagt dessen Vorsitzender, der Hamburger DGB-Vorsitzende Uwe Grund, selbstbewusst. Insgesamt setzt sich das Gremium aus 58 Personen zusammen. Sie sind zugleich Mitglieder der Landesrundfunkräte, die für die vier Bundesländer zuständig sind, die das Sendegebiet des NDR ausmachen.

Der Rundfunkrat tagt monatlich, die Amtszeit der Rundfunkräte beträgt fünf Jahre. Sie beschäftigen sich vor allem mit Programmfragen. Der Rundfunkrat wählt aber auch den Intendanten und dessen Stellvertreter. Er genehmigt den Wirtschaftsplan und den Jahresabschluss. Und er wählt den Verwaltungsrat, der wiederum vorrangig die Geschäftsführung des Intendanten überwacht. Zudem ist der Rundfunkrat neuerdings auch für den sogenannten Drei-Stufen-Test verantwortlich, in dem festgelegt wird, welche digitalen Angebote eines öffentlich-rechtlichen Senders zulässig sind und welche nicht.

Die Nachrichtenzentrale

Das Herz der TV-Nachrichtenproduktion schlägt am Standort Lokstedt in Haus 18. Hier werden die wichtigsten Nachrichtensendungen der ARD, "Tagesschau", "Tagesthemen" und "Nachtmagazin", produziert, außerdem der digitale Nachrichtenkanal "tagesschau24". Im geräumigen Newsroom werden Texte geschrieben, Agenturticker verfolgt, Zeilen gebastelt, Filme und Fotos verglichen. Hier arbeiten Redakteure, Cutter, Grafiker. Der "Tagesschau"-Moderator Claus-Erich Boetzkes, der diesen Job bereits seit 1997 ausübt, trägt zehn Minuten vor der Live-Sendung um 12 Uhr - die erste moderierte Ausgabe des Tages der "Tagesschau" - ein Kosmetiktuch über dem blütenweißen Hemdkragen, um Make-up-Flecken fernzuhalten, und liest halblaut seine Texte. "Ich verwende nie Betonungszeichen, die Betonung ergibt sich aus dem Sinnzusammenhang", sagt Boetzkes.

Frühmorgens um sieben beginnt die Tagschicht den Dienst. Von nun an werden ununterbrochen Nachrichteninhalte produziert - nicht nur für die Hauptsendungen der "Tagesschau" nahezu im Stundentakt, sondern auch für "tagesschau24". ARD-aktuell, eine Nachrichten-Gemeinschaftsredaktion sämtlicher Landesrundfunkanstalten, geleitet von Chefredakteur Kai Gniffke, ist eine Art Sender im Sender. Hier liegt der Schwerpunkt nicht auf regionalem, sondern auf weltpolitischem Geschehen. Eine Liveschaltung zur Korrespondentin nach Peking kommt an diesem Mittag 30 Sekunden vor Sendebeginn zustande. Adrenalin, so viel steht fest, wird im TV-Nachrichtengeschäft regelmäßig nicht zu knapp ausgeschüttet.

Das Programm

Was sind die Themen des Tages? Wo waren wir am Vortag gut, wo hätten wir besser sein können? Das will Chefredakteur Andreas Cichowicz in der Morgenkonferenz des Programmbereichs "Zeitgeschehen" von den Mitarbeitern wissen. Satte 60 Prozent des NDR Fernsehens, das zu den beliebtesten dritten Programmen der ARD zählt, werden aus der Redaktion bestückt. Hier entstehen Beiträge für die Satiresendung "Extra 3", das Gesundheitsmagazin "Visite", die norddeutsche Wohlfühloffensive "Landpartie" sowie Sendungen für das Erste wie das investigative Politmagazin "Panorama", um nur die bekanntesten Magazine zu nennen.

Seit acht Jahren ist Cichowicz verantwortlich für die Programminhalte. In den Konferenzen, die er Gesprächsforum nennt, weil jeder Wortbeitrag herzlich willkommen ist, klärt er, was (juristische) Schwierigkeiten bereiten könnte, was man mit neuem Dreh für den Zuschauer spannender erzählen könnte. "Warum fährt nicht eine Frau statt des Mannes zur Tankstelle?", fragt Cichowicz den Kollegen - und so wird es vor der Kamera dann auch gemacht.

Auch die fiktionalen Produktionen des NDR Fernsehens werden von Lokstedt aus gesteuert. Fernsehspielchef Christian Granderath verantwortet unter anderen die "Tatorte" mit Maria Furtwängler und Axel Milberg und den Kommissar-Neuzugängen Wotan Wilke Möhring und Til Schweiger.

Die Prominenz - Fernsehen

Für Redaktionsleiter Manfred Schröter hat das "Hamburg Journal" die Aufgabe, "die wichtigsten Ereignisse des Tages und gleichzeitig das Lebensgefühl der Stadt abzubilden". Das gelingt ihm und seinen 16 Redakteuren und rund 50 freien Mitarbeitern offenbar gut. 120 000 bis 130 000 Zuschauer schalten das Magazin ein, das mittlerweile an allen sieben Wochentagen läuft und werktags gleich zwei Ausgaben hat: eine um 18 und eine um 19.30 Uhr. Der Marktanteil liegt bei etwa 22 Prozent. Schröter selbst ist nicht nur Chef - einer, den scheinbar nichts aus der Ruhe bringen kann - er ist auch der dienstälteste Mitarbeiter des "Journals", dabei seit 1988. Die Themen des Tages werden an einem gut zehn Meter langen, hüfthohen Konferenztisch aus Massivholz besprochen. "Wir machen Konferenzen im Stehen, dann sind sie schneller vorbei", sagt Schröter lachend. Das "Hamburg Journal", das bis zum Jahr 2000 "Hamburger Journal" hieß, hat sich immer wieder als Karrieresprungbrett erwiesen. Sabine Christiansen und Klaus Peter Siegloch standen hier vor der Kamera, Judith Rakers war Moderatorin, bevor sie zur "Tagesschau" wechselte. Aktuell wird das Magazin von Alexander Bommes und Julia-Niharika Sen moderiert, die somit nicht weniger sind als: Gesichter der Stadt.

Die Prominenz - Hörfunk

Die wohl prominentesten Mitarbeiter des NDR-Hörfunkprogramms heißen Andreas Altenburg und Harald Wehmeier. Wem diese Namen nichts sagen, der kann womöglich mit ihren Alter Egos etwas anfangen. Im Falle von Altenburg sind das Stefanie "Steffi" Prigge und Udo Martens und bei Wehmeier Franz "Opa" Gehrke sowie Georg Ahlers. Altenburg und Wehmeier sind nicht nur die Autoren der täglich auf NDR 2 ausgestrahlten Erfolgs-Comedy "Frühstück bei Stefanie". Sie sprechen auch alle dort auftretenden Charaktere.

Da im Hörfunk keine Quoten gemessen werden, gibt es für erfolgreiche Radioformate andere Erfolgskriterien. Eine Sendung könnte erfolgreich sein, wenn - wie es Altenburg mit seiner Comedy erlebt hat - ein Busfahrer mit ihr seine Fahrgäste beschallt. Ein weiteres Anzeichen für eine gewisse Popularität ist ein nie abschwellender Zustrom von Zuschriften - und zwar nicht nur aus dem Sendegebiet, sondern aus ganz Deutschland. Auch das trifft auf "Frühstück bei Stefanie" zu.

Und schließlich ist die Zahl der Tonträger-Verkäufer ein nicht unwichtiger Indikator für den Erfolg eines Formats: Von den CDs der Altenburg-Wehmeier-Comedy werden in der Regel mehr als 100 000 Exemplare verkauft. Und die Download-Zahlen des "Frühstück bei Stefanie"-Podcasts liegen irgendwo jenseits der Million.

Den renommierten Deutschen Radiopreis hat die 2008 erstmals auf Sendung gegangene Comedy übrigens 2011 gewonnen. Und Altenburg und Wehmeier sind sich ziemlich sicher, dass die Popularität ihrer Geschichten um die patente Imbisswirtin Steffi und deren drei Stammgästen noch längst nicht ihren Höhepunkt erreicht hat.

Die Gastronomie

Mehr als 1000 Esser wollen täglich in der Studioküche des NDR versorgt werden, die von 8.45 bis 21 Uhr geöffnet ist. Was auf ihre Teller kommt, plant ein Team rund um den Küchenchef, zu dem auch Assistentin Barbara Müller gehört. Wer hinter die Kulissen der Senderkantine schauen will, muss als Erstes Kittel und Häubchen anlegen - Sauberkeit hat oberste Priorität. Der Arbeitsplatz von Müller und ihren Mitarbeitern besteht aus waschkübelartigen Salatschleudern, prall gefüllten Kühlräumen, Gewürzmagazinen und Töpfen, in denen ein ganzes Schwein Platz finden würde. Bis zu 90 Kilo Kartoffeln werden jeden Tag mithilfe einer speziellen Schneidemaschine geschält; zweimal täglich wird frische Ware geliefert.

Müller gehört dem Betrieb seit 17 Jahren an, sie kennt Vorlieben und Trends ihrer Gäste: "Heutzutage wird kalorienärmer gegessen als noch vor ein paar Jahren, die Nachfrage nach vegetarischen Gerichten wächst", sagt sie. Wenn gegen 14 Uhr der Mittagsandrang vorbei ist, bereitet sich das Küchenteam bereits auf den Nachmittagshunger der Mitarbeiter vor. Kuchen aller Art werden angeboten, für Freunde deftiger Genüsse wabert ab 15 Uhr der Geruch der guten alten Currywurst durch die Kantine - der Klassiker und Immer-noch-Liebling der NDR-Esser. "Ein guter Tag ist immer dann, wenn die Gäste zufrieden sind", sagt Barbara Müller.

Die Kultur

Kultur zählt neben Bildung, Information und Unterhaltung zum Programmauftrag öffentlich-rechtlicher Sender. So unterhält der NDR beispielsweise vier Klangkörper: das NDR Sinfonieorchester die NDR Radiophilharmonie, die NDR Bigband und den NDR Chor. Sie kommen aber nicht nur bei Radio- und Fernsehkonzerten zum Einsatz. Der NDR fasst seinen Kulturauftrag weiter: Seit neun Jahren widmet er sich intensiv der musikalischen Erziehung von Kindern und Jugendlichen. Dazu hat der Sender eigens eine Redakteurin abgestellt. Sie denkt sich Programme wie die "Mitmach-Musik" aus. Sie richtet sich an Kinder der Klassenstufen eins bis sechs. Die Kinder sitzen dabei nicht im Zuschauerraum, sondern auf der Bühne. Sie klatschen und singen mit, wenn die Musiker des NDR Sinfonieorchesters spielen. Solche Programme kommen hervorragend an: In jeder Konzertsaison nehmen 20 000 Mädchen und Jungen das Angebot wahr.

Der Sport

Als großes Unternehmen mit 4811 Mitarbeitern hat der NDR natürlich auch eine Betriebssportgruppe, die es seit 1952 gibt. Sie hat etwa 1871 Mitglieder, von denen 1623 in Hamburg Sport treiben. Unter ihnen sind auch einige Ruheständler. Angeboten werden insgesamt 50 Sparten, davon allein 36 am Standort Hamburg. Mitgliederstärkste Sparte ist die Yoga-Abteilung, die auf 120 Sportler kommt. Hier hält sich auch der Vorsitzende der Betriebssportler, Alexander Weil, fit. Mit 110 Mitgliedern folgt Leichtathletik und mit 102 Tennis. Fragt man Weil nach sportlichen Erfolgen seiner Truppe, stockt er zunächst. Seine Aktiven verstehen sich als Freizeit- und Breitensportler, nicht als Leistungssportler. Dann fällt ihm aber ein schöner Erfolg seiner Volleyballer ein, die unlängst bei einem Turnier in Steilshoop, an dem 21 Mannschaften aus allen öffentlich-rechtlichen Sendern Deutschlands teilnahmen, den dritten Platz errangen.

Wichtiger als solche Erfolge ist Weil, dass sich beim Betriebssport NDR-Mitarbeiter aller Hierarchieebenen begegnen. Auch die Senderspitze macht mit: Intendant Lutz Marmor ist Mitglied der Basketball-Sparte. Und sein Stellvertreter Arno Bayer mischt bei den Leichtathleten mit.

Die Kleiderkammer

So gut wie jeder Blazer, der im Fernsehen zu sehen ist, ist geändert. Das sagt Michaela Vogt, studierte Modedesignerin und gelernte Kostümbildnerin und mit ihrem kleinen Team verantwortlich dafür, dass Moderatoren im besten Licht erscheinen; dass den Verkleidungsmöglichkeiten (etwa bei Satiresendungen wie "Extra 3") von Scheich bis Nonne keine Grenzen gesetzt sind. "Tütenschleppen gehört bei uns zum Handwerk", sagt Vogt, die große Teile der Ausstattung beim Fundus "Theaterkunst" leiht und regelmäßig in der Stadt auf Schnäppchenjagd unterwegs ist.

In den geräumigen Garderoben beim NDR Fernsehen in Lokstedt hängt Ersatzkleidung in allen Farben und Größen, die zum Einsatz kommt, wenn dem Gast kurz vor der Sendung Kaffee übers Hemd kippt oder er in einem kleinkarierten Sakko anreist (flimmert vor der Kamera). Außerdem Schrilles von giftgrünen Krawatten bis zu rosafarbenen Samtblazern.

NDR-Moderatoren wie Bettina Tietjen, Julia Westlake und Carlo von Tiedemann haben hier jeweils eine gut gefüllte Kleiderstange mit ihrer "Job-Garderobe". Schließlich gilt: Was vor der Kamera getragen wird, muss auch im Sender bleiben. Insgesamt hat Vogt beobachtet: "Im Fernsehen wird sehr viel mehr Farbe getragen als im normalen Leben."