EU-Länder verlieren Millionen, weil Konzerne in Fiskalparadiese flüchten - obwohl sie sich eigentlich ihrer sozialen Ader rühmen.

Die Briten sind als gute Marktwirtschaftler bekannt. Stets haben sie in Europa gegen ausufernde Bürokratie, übermäßige Umverteilung und übertriebene Regulierung gekämpft - manchmal sehr radikal, meistens allein. Den Sozialpolitikern vom Kontinent sind die wirtschaftsliberalen Briten stets fremd geblieben. Vielleicht haben sie deshalb nicht reagiert, als der konservative britische Premierminister Cameron sich vor Kurzem eines wirklichen Skandals angenommen hat: der Steuervermeidung multinationaler Unternehmen wie Apple, Google, Amazon, Facebook oder Starbucks. Apple, so berechnete es die sozialistischer Umtriebe unverdächtige US-Börsenaufsicht SEC, zahlte zuletzt 1,9 Prozent Steuern auf die Gewinne, die im Ausland erwirtschaftet wurden. Man sollte in Zeiten der Schulden-Krise genau hinschauen: Der Computerbauer hat 36,8 Milliarden Dollar außerhalb der USA verdient und 713 Millionen Dollar Steuern bezahlt. Apple sollte man heißen. Oder Google - die drückten die "Steuerlast" auf drollige 2,4 Prozent.

Der Beispiele gibt es viele. Die renommierte britische Zeitung "Guardian" recherchierte, dass Google, Amazon, Starbucks und Facebook in Großbritannien 37 Millionen Euro Steuern in vier Jahren zahlten - bei Umsätzen von 3,9 Milliarden Euro.

Bevor der geneigte Leser nach dem Staatsanwalt ruft: Wahr ist auch, dass die Konzerne weder Steuerbetrug noch Steuerhinterziehung betreiben. Sondern nur legale Steueroptimierung beziehungsweise -umgehung. Mit skurrilen Vehikeln namens "Double Irish" oder "Dutch Sandwich" drücken sie sich unter die Armutsgrenze. Das schuldengeplagte Europa macht's möglich: Vereinfacht gesagt, reicht eine Europazentrale in Irland, eine Holding in Holland und eine Niederlassung im Steuerparadiesen wie den Bahamas oder den Antillen. Dorthin fließen nämlich die exorbitant hohen Lizenzgebühren, die die Europa-Töchter an die Mütter zahlen.

Alles ganz legal.

Jenseits Großbritanniens ist die Empörung über die Steuersparmodelle für internationale Konzerne kaum verbreitet. In Deutschland arbeitet man sich lieber an Schattenbanken, Steuer-CDs und Steuerflüchtlingen wie Michael Schumacher ab. Und offenbar stört es auch die Verbraucher wenig, die dann die Steuerverluste aus "Double Irish" oder "Dutch Sandwich" am Ende serviert bekommen. Facebook ist ein vermeintlich "soziales" Netzwerk, Apple Kult, Starbucks hip und Amazon modern. Google hat gar in seinen Verhaltenskodex "Don't be evil" aufgenommen - "Sei nicht böse". Aber, was ist das Böse? Steuern? Oder kritische Fragen? In Großbritannien wurden die Konzerne vor den Haushaltsausschuss zitiert, das die Steuerquoten aufklären sollte. Der Geschäftsführer von Google sagte ab, er sei zu beschäftigt.

Der Kaffeekonzern Starbucks wiederum rühmt sich ausdrücklich seiner sozialen Ader: Gleich hinter dem Kaffeeangebot findet sich auf der Webseite der Bereich "Verantwortung". Und da dichten die Kaffeekünstler: "Wir sind überzeugt, dass das Engagement in unseren Gemeinschaften nicht nur richtig ist, sondern auch wirtschaftlich vernünftig ist." Nur, Steuern zahlen ist unvernünftig: Seit 2002 hat Starbucks in Deutschland laut Reuters nie Ertragssteuern entrichtet. Alles legal, weil die Niederlande das Steuerschlupfloch offen halten: Dorthin fließen hohe Lizenzgebühren. So fallen in Holland ein paar Steuerpeanuts an, in Deutschland, Frankreich und Großbritannien fehlen dafür Millionen. Nicht einmal auf europäischer Ebene bekommen die Politiker das Problem in den Griff, weil das Prinzip der Einstimmigkeit gilt. Solange ein Staat profitiert, schauen die anderen in die Röhre. Das eigene Hemd ist auch im brennenden Haus Europa immer noch näher als der Rock.

Bezeichnenderweise wird just auf der Facebook-Seite von Starbucks, zwischen Kommentaren zu "Toffee Nut Latte" und "Cranberry White Chocolate Muffin" immer häufig auch nach Steuertricks gefragt. Wo soll das alles noch hinführen? Da könnten die Kunden ja am Ende darauf kommen, in Zukunft ihren Espresso im Kaffeehaus, ihren Lesestoff beim Buchhändler und ihre Musik auf Schallplatte zu kaufen. Also bei Unternehmern, die ihre Steuern in Deutschland zahlen und nicht auf den Bermudas Lizenz-Erlöse horten. Schließlich leben wir Gott sei Dank in einer Marktwirtschaft.

Matthias Iken beleuchtet in der Kolumne "Hamburger KRITiken" jeden Montag Hamburg und die Welt