Bedruckte T-Shirts, Pullover, Mützen - es gibt immer mehr Textilien aus Hamburger Eigenproduktion. Das Internet hilft bei der Vermarktung.

Hamburg. Rolf Schade hat Jura studiert, arbeitete bei Medienkonzernen, in der Redaktion, als Lektor, hatte interessante Jobs, viel Abwechslung. Doch eines Tages merkte er, irgendetwas fehlt. Der Hamburger wollte mehr Freiraum, mehr Zeit für Kreativität, bekam Lust, selber etwas auf die Beine zu stellen. Er fand den Mut, sein Leben umzukrempeln. Heute sitzt Rolf Schade in Sweatshirt und Sneakern in seinem Laden DruckDealer im Karo-Viertel, in der Nachbarschaft von Kreativen, Individualisten und Lebenskünstlern. Jura und Journalismus waren gestern, heute fertigt der 41-Jährige gemeinsam mit Designern Siebdrucke, die Bilder, aber auch Tücher, Kapuzenpullis und iPad-Taschen zieren. Blaue Fische schwimmen über weiße Shirts, Elche laufen über Kissenhüllen, Plakate mit Comic-Art hängen an den Wänden.

"Wir verkaufen unsere Sachen hier in unserem DruckDealer-Laden, aber auch auf dem Designmarkt der Altonale, bei Hello Handmade auf Kampnagel und im Internet", sagt Schade. Mit den selbst gemachten Accessoires, mit einem individuellen Sortiment, das Design-Fans sonst wohl nirgends finden, liegen Rolf Schade und Mitinhaberin Nele Maack, 35, voll im Trend. Sie konnten ihre Erlöse in den vergangenen drei Jahren jeweils um 30 Prozent steigern. Dabei hilft auch das Internet kräftig mit, die ungewöhnlichen Designs der Kreativen bekannt zu machen: Schade und Maack haben dank des weltweiten Netzes sogar Fans aus der Schweiz.

Weil die Leute genug haben von austauschbarer Massenware in der Überflussgesellschaft, boomt derzeit alles, was selbst gemacht ist. Gerade gut ausgebildete junge Konsumenten suchen in einer Welt der Industrieprodukte nach Handarbeit, nach dem Ursprünglichen, Natürlichen. Städter ziehen ihre Tomaten auf den kleinsten Balkonen selber. Stricken und Häkeln haben längst das verstaubte und anti-feministische Image abgelegt. Auch die "Do-it-yourself-Bewegung" findet immer mehr Anhänger fernab von Rentnern in Bastelkellern. Konstruieren statt nur konsumieren ist zu einer Massenbewegung geworden.

Und das Internet bietet einen weltweiten Marktplatz für Dinge "Marke Eigenbau", sodass Bastelfans heute nicht selten von ihrer Leidenschaft leben können und ihren alten Job an den Nagel hängen - wie Rolf Schade. Größter Internet-Handelsplatz für die Produkte aus kleinen Werkstätten und Wohnzimmern, die zu Nähstuben umfunktioniert werden, ist Dawanda.

Die Firma aus Berlin ist mit 2,5 Millionen Produkten in Europa Marktführer, jeden Tag schauen 9,5 Millionen Besucher vorbei. Sie stoßen unter dawanda.com auf ein riesiges Angebot: 90 000 Verkäufer sind registriert. Nach Angaben der Chefin Claudia Helming kommen jeden Tag 8000 Produkte dazu, Kreatives wie der Textilbeutel mit dem Aufdruck "Die Katze im Sack" oder Putzlappen mit dem Schriftzug "Wischenispossible". Bei der Suche auf Dawanda dominieren aber letztlich die Wohlfühlwaren, es gibt selbst bedruckte Karten mit Herzchen, die Babylätzchen sind "supersüß" und die Filzpantoffeln mit der Eule drauf "supergemütlich". Der Trend gibt neuen Halt in einer Welt, die täglich ihr Gesicht verändert und in der Horrormeldungen über giftige Materialien und brennende Fabriken in Billiglohnländern die Lust am Konsum nehmen.

Auch wegen dieser negativen Folgen der globalisierten Industrie wollen immer mehr Menschen zu Hause aktiv werden. Wer selber eine Mütze häkelt, entschleunigt moderne Produktionsprozesse, bei denen Fabriken Hunderttausende Waren am Tag ausspucken und Zara, H&M und Co. alle sechs Wochen ihre Kollektionen ändern. Außerdem schaffen Produzenten mit Namen wie Knitteltante, Omaheidi oder Sonntagsherz ein warmes Heimatgefühl für eine Generation, die schon als Schüler zum Austausch nach Australien gehen und ihre Wurzeln in der mobilen Arbeitswelt verlieren. Dazu kommt, dass sich die Bastler im Internet oder auf Märkten austauschen, sich gegenseitig Mut machen und damit ein Zusammengehörigkeitsgefühl in der Selbstmachcommunity schaffen. "Muss gerade eine kleine Auszeit vom Produzieren nehmen, da ich mir beim Kerzenschnitzen in den Arm geschnitten habe", schreibt Claudia auf Dawanda. "Ich möchte hauptsächlich Selbstgebasteltes für Hunde, speziell für Bulldoggen hier anbieten", informiert Manuela aus dem Schwarzwald und sagt, sie freue sich über Tipps von Kunden. Das Feedback der Käufer ist in der Handarbeitswelt selbstverständlich, und gerne werden Sonderwünsche erfüllt. Schließlich müssen hier ja keine Fertigungsstraßen in den Fabriken umgebaut werden, wenn jemand mal eine pinkfarbene Mütze haben will, weil er blau oder schwarz satt hat in der ohnehin düsteren Jahreszeit.

Auch in Hamburg gehört der Kuschelkommerz heute immer mehr zum Alltag und präsentiert sich oft auf speziellen Märkten. Relativ bekannt ist die Messe Hello Handmade auf Kampnagel. Neuer ist der Markt "Mit Liebe gemacht" in der Honigfabrik Wilhelmsburg, der zuletzt Anfang November stattgefunden hat. Organisatorin Eva-Lena Fandree, 33, ist begeistert von der Resonanz der Hamburger: "Es ist total faszinierend, was die Leute zu Hause so zusammentüfteln." Eva-Lena Fandree ist Kunsthistorikerin und holte mehr als 50 Aussteller in die Honigfabrik - und Hunderte Käufer. "Denn heute wollen die Kunden etwas ganz individuelles haben, das sie sonst in den Läden nicht finden", sagt die Mutter von zwei Kindern. Die Innenstädte mit den großen Ketten und die Frage, unter welchen Bedingungen Textilien oder Spielzeug in Asien hergestellt werden, verstärkten diesen Trend noch.

Auch Astrid Kremer und Angelika Schütze vom Designer-Laden Juno in der Marktstraße profitieren vom Trend zum Einzigartigen. Mit ihren Strickdesign-Pullovern aus Merinowolle, Mohair oder Kaschmir und leichten Wickelkleidern bieten sie Mode für Frauen, die auf fair, meist in Deutschland produzierte Ware achten und Wert auf nachhaltig erzeugte Materialien legen. "Und wir setzen natürlich auch individuelle Kundenwünsche um", sagt Astrid Kremer. Die Bekleidungstechnikerin hat früher bei großen Modeunternehmen gearbeitet und wollte sich mit einer eigenen Kollektion aus dem Massenmarkt befreien. Juno ist zudem Mitglied beim Hamburger Netzwerk "Strich und Faden", in dem sich Modedesigner zusammengetan haben und auf Märkten wie Textiles Geflüster in der St.-Johannis-Kirche in Altona ihre Ware zeigen. Die nächste Ausstellung in der Kirche findet am 1. Dezember statt.

Aber auch die beiden Inhaberinnen von Juno verlassen sich nicht nur auf den stationären Handel, sondern arbeiten gerade an einer neuen Internetpräsenz. "Wir haben sehr viele Stammkundinnen aus anderen Städten, die wir über das Internet besser erreichen können", sagt die studierte Modedesignerin Angelika Schütze.

Das Netz bietet den Handarbeitern eine ideale Plattform, durch den bundesweiten oder internationalen Verkauf auf eine kritische Masse zu kommen und damit wirtschaftlich arbeiten zu können.

Immerhin informieren sich von den 52 Millionen Internetnutzern in Deutschland bereits 97 Prozent im Netz über Produkte. 86 Prozent kaufen die Ware auch online. Außerdem können die Anbieter ihre Geschichte im Internet erzählen und Fotos von sich selber an der Nähmaschine hochladen. So bekommt das Produkt ein Gesicht, wird Vertrauen geschaffen, dass es wirklich um Handarbeit aus Hannover und nicht um Kinderarbeit aus Bangladesch geht.

Ein Beispiel für einen professionellen Auftritt der Kreativarbeiter aus Hamburg ist Schanzenport. Hier präsentieren sich 33 Einzelhändler aus dem Szeneviertel mit einem Onlineshop unter schanzenport.de. Werkstätten für originelle Einzelstücke dominieren, und es werden Touristen angezogen, die solche Produkte eben nicht auch an jeder Straßenecke in Kopenhagen oder Amsterdam, sondern nur in der Schanze finden. Teilnehmer des Projektes sind unter anderem Silvia Jungbluth, die unter shop.jungbluth-design.de selbst genähte Korsetts und Petticoats anbietet, oder PalaisXIII, ein Einrichtungshaus, das unter anderem handgemachtes Porzellan verkauft. Auch DruckDealer präsentiert sich auf Schanzenport. "Wir haben über unseren Internetshop viel Aufmerksamkeit bekommen", sagt Gründerin Nele Maack. Außerdem werden handgemachte Produkte anders als bei Zalando nicht massenweise bestellt und dann wieder zurückgeschickt. Rolf Schade: "Wir haben praktisch keine Retouren."