Papst Benedikt XVI. hat seinen Jesuszyklus mit dem Buch über die Kindheitsgeschichten abgeschlossen. Eine Rezension

Schon jetzt kann man wissen, was auf jeden Fall von Papst Benedikt XVI. unvergessen bleiben wird. Es ist die Verbindung von wissenschaftlicher Kompetenz und geistlicher Einsicht. Auch spätere Zeiten noch werden seine Jesusbücher lesen, so wie wir heute zu den Schriften aus der großen spirituellen Tradition greifen.

Dafür steht auch sein gerade erschienenes Buch über die Kindheitsgeschichten Jesu. Der Autor nennt es "eine Art kleine Eingangshalle" zu den bereits vorliegenden Bänden. Diese handeln vom Leben und Wirken Jesu (Band 1) und von seinem Sterben und Auferstehen (Band 2).

Die Kindheitsgeschichten, um die es jetzt geht, stehen jeweils auf den ersten Seiten der Evangelien. Aber der Papst beginnt mit einer Szene aus der Passionsgeschichte. Pilatus fragt Jesus: Woher bist du? Das wird zur Schlüsselfrage für alles, was auf den folgenden Seiten zur Sprache kommt.

Den größten Raum nimmt die Antwort auf die Frage ein, wie Jesus Mensch geworden ist. Ist er wie jeder andere durch menschliche Zeugung geworden? Oder ist er, wie es im Glaubensbekenntnis der Kirche heißt, "geboren aus Maria der Jungfrau"?

Und ist solches Bekenntnis eine mythische Aussage? Oder steht dahinter eine tatsächliche Wirklichkeit?

Lange Zeit hat sich die Auslegung der Evangelien an der Frage abgearbeitet, wo es im Altertum Mythen gibt, aus denen die Evangelisten ihre Stoffe geformt haben könnten. Manche wurden auch gefunden und werden vom Papst benannt. Aber sie sind dann doch wieder zu unterschiedlich und zu weit hergeholt, als dass die Evangelisten daraus hätten den Stoff formulieren wollen für eine bildhafte Umschreibung von Jesu Zeugung, Geburt und Kindheit. Aber woher kann der Evangelist wissen, was der Engel zu Maria sagte, als er ihr die Geburt Jesu ankündigte? Oder welche Quelle konnte er benutzen für die Aussage, dass Maria alles, was geschehen war bei der Anbetung ihres Kindes durch die Hirten, in ihrem Herzen bewahrte und darüber nachdachte?

Hier greift Papst Benedikt einen Erklärungsstrang auf, der in der wissenschaftlichen Auslegung seit Längerem herangezogen wird. Er spricht von "Familientraditionen", die sich im Umfeld Marias trotz großer Diskretion erhalten haben. Die aber nach der Auferstehung Jesu auch öffentlich weitererzählt wurden. Denn erst jetzt konnte ihre Bedeutung vollends erkannt werden. Jetzt, wo die Jünger Zeugen der Auferstehung Jesu sind, können sie auch zur Sprache bringen, dass Jesus von Anfang an in unmittelbarer Beziehung zu Gott stand. Sodass auch die Tatsache seiner Geburt aus der Jungfrau verkündet werden kann. Papst Benedikt stellt die entscheidende Frage: "Ist es also wahr, was wir im Credo sagen: ,Ich glaube ... an Jesus Christus, Gottes eingeborenen Sohn, unsern Herrn, empfangen durch den Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria?'"

Genauso eindeutig fällt die Antwort aus. Sie lautet "ohne Einschränkung: Ja". Er weist auf den evangelischen Theologen Karl Barth hin. Dieser hat die zwei Punkte benannt, an denen Gott "unmittelbar in die materielle Welt eingreift: Die Geburt aus der Jungfrau und die Auferstehung aus dem Grab".

Dazu Papst Benedikt: "Diese beiden Punkte sind ein Skandal für den modernen Geist. Gott darf in Ideen und Gedanken wirken, im Geistigen - aber nicht in der Materie. Das stört." Aber genau diese beiden Punkte sind die Prüfsteine des Glaubens an die neue Schöpfung.

Eine Stärke der Darlegungen des Papstes liegt darin, dass er die Kindheitsgeschichten mit den Weissagungen des Alten Testaments verbindet und aufzeigt, dass und warum sich diese gerade mit dem Kind von Bethlehem verbinden und in ihm erfüllen. Hier wird Theologie im Horizont der gesamten biblischen Botschaft betrieben. Das erfordert Konzentration beim Lesen, ist aber enorm erhellend. Das schmale Buch ist wie eine kostbare Miniatur. Sie dringt von der Außenseite des biblischen Textes in die innere Wirklichkeit des Erlösungsgeschehens ein. Wer sich darauf einlässt, macht neue Erfahrungen und wird reich beschenkt.

Joseph Ratzinger/Benedikt XVI., "Jesus von Nazareth: Prolog - Die Kindheitsgeschichten", 171 Seiten, Herder 2012, 20 Euro