Reinhart Bartsch, 49, wacht über 1000 Kilometer im Hamburger Bezirk Nord. Er kämpft gegen Schlaglöcher und Risse im Asphalt.

Hamburg. Diese Geschichte beginnt unter der Straße. In 70 Zentimetern Tiefe. Der Boden, das Fundament der Straße, darf sandig, lehmig sein, egal. Dann: 20 Zentimeter Frostschutzschicht, der Sand muss körnig sein, darf kein Wasser binden, das gefrieren könnte. Darüber: 20 Zentimeter Tragschicht aus Schotter, darüber 18 Zentimeter zweite Tragschicht aus Schotter oder Recyclingstoffen. Fast oben: eine 8,5 Zentimeter dicke Bindeschicht aus Asphalt. Und, ganz oben: 3,5 Zentimeter dicker Asphalt, als Decke.

Das ist das Innere der Langenhorner Chaussee, einer Hauptverkehrsstraße der Bauklasse "SV".

Die Straße - das ist kein Asphaltstreifen, das ist ein Gefühl. Oder, wie Reinhart Bartsch sagt: "ein Kampfraum". Ein Kampfraum, in dem jeder seine Rechte einfordert - rasende Autofahrer, rüpelige Radfahrer, motzende Fußgänger. Bartsch ist qua Amt der Mann, der dafür sorgen muss, dass diese Arena der Gefühle funktioniert. Viel Geld hat er dafür nicht - denn es kommt aus der Steuerkasse. Und wer mit Steuergeld zu tun hat, steht unter besonderer Beobachtung.

Reinhart Bartsch, 49, Vollbart, fröhlicher Typ, arbeitet im Bezirksamt Hamburg-Nord, im "Fachamt Management des öffentlichen Raumes". Der studierte Bauingenieur ist mit seinen Mitarbeitern für über 1000 Straßenkilometer zuständig. Straße heißt: Fahrbahn, Rad- und Fußwege, Park- und Grünstreifen.

Wie wird man Straßenpfleger? Eigentlich wollte er Architekt werden. Doch die Jobchancen waren nicht so gut. Besser waren sie im Straßenbau. Bartsch baute für eine Firma Straßen, leitete Baustellen. Vor 17 Jahren wechselte er ins Bezirksamt Nord. Hier ist er nicht nur Straßenbauer. Sondern auch Straßenplaner. Und auch ein bisschen Architekt, wenn er zum Beispiel Geschäftsstraßen neu plant. Man merkt, dass ihm der Job Spaß macht.

Zwölf Wegewarte arbeiten für das Bezirksamt Nord. Sie haben in der Regel Straßenbauer gelernt, sind Meister ihres Fachs und haben die sogenannte Wegewartsprüfung bestanden. Darin geht es um Technik, Verwaltung, juristisches Wissen.

Ihr Job ist es, nach "Gefahrstellen" Ausschau zu halten. Wie sie das machen sollen - dafür gibt es eine eigene Dienstanweisung.

Wegewarte müssen einmal in der Woche Fußgängerzonen wie den Eppendorfer Marie-Jonas-Platz in zentraler Lage begehen. Hauptverkehrsstraßen wie die Langenhorner Chaussee müssen zweimal im Monat inspiziert werden - und zwar in beide Richtungen, auf beiden Straßenseiten. "Nachgeordnete Straßen" mit weniger Verkehr, wie etwa die Bussestraße in Winterhude, schauen sich Wegewarte einmal im Monat an, Wohn- und Feldwege alle drei Monate. Sie führen Strichlisten über die Schäden. Doch welche Schäden gibt es? Reinhart Bartsch kann die sperrigen Begriffe aus dem Bürokraten-Deutsch wunderbar erklären. Zum Beispiel die "Ausmagerung".

Die nimmt ihren unheilvollen Verlauf so: Das Bindemittel in der Asphaltdecke verliert seine Klebewirkung. Die Folge: Einzelne Steine brechen aus der Decke heraus. Die Straße fängt an zu zerbröseln. Bartsch sagt: "Das ist wie wenn man einen Keks weich klopft. Die Fahrzeuge sind der Hammer, die Straße der Keks." Risse - ein weites Feld. Denn Risse sind nicht gleich Risse: Treten sie längs zur Fahrtrichtung auf, hat die Bindeschicht Probleme, die Last der Fahrzeuge zu tragen. Treten sie quer zur Fahrtrichtung auf, deutet dies auf Bewegungen im Untergrund hin, zum Beispiel verursacht durch U-Bahnen. Richtig gefährlich wird es, wenn Risse längs und quer auftreten und wie ein Netz aussehen. "Dann ist die Tragfähigkeit der Straße nachhaltig gestört", warnt Bartsch.

Bleiben noch die "Versackungen": Die liegen vor, wenn die Straßendecke zwar hält, der Untergrund jedoch nachgibt - und eine Delle entsteht.

Frost und Hitze verformen das Material. Ein Beispiel aus dem Winter: Wasser dringt durch einen Riss in die Straße ein, gefriert. Frost verändert das Volumen, Eis ist größer als Wasser - die Risse werden größer. Weiteres Wasser dringt ein, gefriert, macht den Schaden größer. "Das Material wird quasi herausgesprengt", sagt Bartsch. So entstehen Schlaglöcher.

Die Wegewarte müssen also handeln. Aber wie? "Es kommt auf das Gefühl an", sagt Reinhart Bartsch. Und auf die Straße. Eine herausstehende Gehwegplatte in der Mönckebergstraße ist etwas anderes als eine herausstehende Gehwegplatte in einer ruhigen Wohnstraße. Bis zu einem Zentimeter darf eine Gehwegplatte auf der Mönckebergstraße herausstehen - in einer Wohnstraße bis zu drei Zentimeter. Je intensiver eine Straße genutzt wird, desto schneller greifen die Wegewarte ein.

Wenn durch einen Straßenschaden Gefahr droht, muss ein Wegewart die Gefahrenstelle absperren. Er kann ein Schlagloch, einen Riss selbst mit Kaltasphalt beseitigen. In der Regel erledigt jedoch eine Vertragsfirma der Stadt den Auftrag. Wenn wirklich Gefahr in Verzug ist, wird sofort gehandelt.

Rund 56 Millionen Euro gibt die Stadt Hamburg in diesem Jahr für die Reparatur und Instandsetzung aller Straßen aus. Viel Geld - doch längst nicht genug, um alle Schäden zu reparieren. Bartsch und seine Kollegen führen eine Liste der Straßen, an denen etwas gemacht werden muss. Einmal im Jahr geht diese Liste ans Bezirksamt - je nach Finanzlage wird die Liste danach abgearbeitet.

Es ist klar, dass nicht alle Schlaglöcher und Risse repariert werden können. "Wir müssen uns auf die wichtigen Straßen konzentrieren", sagt Bartsch. Vor allem im Frühjahr, nach dem Frost, entlädt sich die Wut der Bürger an den Wegewarten.

Bartsch sagt, dass er die Anregungen der Bürger ernst nimmt. Auf der Internetseite des Bezirksamts Nord gibt es mittlerweile einen "Online-Wegewart". Dort können Bürger Straßenschäden melden. Wenn Baumaßnahmen anstehen, geht Bartsch zu den Bürgern und Geschäftsleuten und klärt über Beeinträchtigungen auf.

Reinhart Bartsch sagt: "Unser Arbeitgeber ist das Volk. Wir versuchen, einen Weg zu finden, wie wir allen gerecht werden können." Mal klappt das gut, mal schlecht. Und ganz bestimmt wird Reinhart Bartsch versuchen, diesen Weg zu finden.