Fundstücke vom Dachboden sind bis zu 20.000 Euro wert: 180 Abendblatt-Leser ließen alte Kunstwerke begutachten.

Neustadt. Seit drei Jahrzehnten lag das gute Stück in Niendorf im Keller - zwischen Gefriertruhe und Kleiderschrank, in einer Aldi-Tüte verpackt. Bis zum Sonnabend. Da nutzte Ursula Schill die Gunst der Stunde, nahm ihre Tochter und das Gemälde unter den Arm und ließ es schätzen. "Werke des Malers Manuel Rendón sind durchaus begehrt", erfuhr sie bei der "Lieblings-Aktion" des Hamburger Abendblatts. Zwar gebe es in Deutschlands für Bilder des ecuadorianischen Künstlers keinen Markt, doch würden in den USA für vergleichbare Arbeiten zwischen 3000 und 20 000 Euro bezahlt.

In diesem Fall war guter Rat gar nicht teuer. Genau genommen kostete er gar nichts. Drei versierte Kunstkennerinnen nahmen die Lieblingsstücke der Hamburger in Augenschein. Im Fünfminutentakt, um des Ansturms in der Axel-Springer-Passage im Verlagshaus Herr werden zu können. Nach mehr als sechs Stunden voller Überraschungen und spannender Momente waren 180 kleine, große oder vermeintliche Schätze an die Reihe gekommen. Manches auf den ersten Blick normale Bild erwies sich als Kunstschatz. Andererseits entpuppte sich das eine oder andere Ölgemälde in prachtvoller Goldfassung als simple Reproduktion.

Einige hatten ihre Schätzchen in Samt, Wolldecken oder Leinen gewickelt, einige verwendeten Plastiktüten. Es handelte sich um Erbstücke, Beutestücke vom Dachboden oder Fundstücke vom Flohmarkt. Alle Besucher einte die vage Hoffnung auf eine außerordentlich frohe Kunde. Ein Mann hatte mit seinem Freund alle Hände voll zu tun, einen gewaltigen Bronzerahmen mit gemaltem Viermaster in Seenot auf die Staffelei neben den drei Expertinnen Ursula Brommauer, Sabine Riedlberger und Ruth Tenschert zu hieven. Ein Jammer, dass die Taxifahrt für den Rücktransport den Wert des Ölschinkens überstieg. Andere Bilder zeigten finstere Felsenschluchten, Blumen, maritime Schlachten, Stillleben oder Prinzessinnen aus 1001 Nacht. Auch bei einer auf Holz geklebten Ikone war auf den ersten Blick klar: recht schön, aber wertlos.

Hella Löber aus Rottleberode im Südharz ließ eine nackte Schönheit des Leipziger Malers Ferdinand Max Bredt schätzen. Einen Hauch impressionistisch, nur mit einem Lächeln bekleidet, posiert die junge Frau in einem Wäldchen, ihr linker Arm ist auf einen kleinen Ast gebettet. Nicht nur Expertin Sabine Riedlberger, Kulturwirtin des Münchner Auktionshauses Ketterer, schaute entzückt. "Wunderschön und bestens erhalten", befand sie mit Kennerblick. "Gut und gerne 10 000 bis 12 000 Euro wert."

Die 84-jährige Besitzerin hatte Gutes erahnt, diese Summe jedoch übertraf die kühnsten Erwartungen: "Jetzt sehe ich mein Bild mit ganz anderen Augen." Über einen Lesekreis kulturell interessierter Damen im Harz, darunter eine Abendblatt-Abonnentin, hatte sie von der "Lieblings-Aktion" erfahren und sich auf den Weg gemacht. Zehn Jahre lang hing das Erbstück einer Tante dezent daheim im Schlafzimmer, doch soll es nun vielleicht in die Wohnstube aufrücken - als Aktbild vorzeigbar, ein Dokument vollendeter Kunstfertigkeit und von fünfstelligem Wert.

Davon konnten Doris und Dirk Düwel aus Uhlenhorst nur träumen. Gut sehen die alten Fachwerkhäuser des Hamburger Gängeviertels aus, keine Frage. Doch der materielle Wert? Der Name des Künstlers? Um Letzteren zweifelsfrei zu identifizieren, müsste das Bild entrahmt werden. "Das ist uns wohl im Vergleich zum Nutzen zu teuer", meinte Herr Düwel, früher Produktionschef im Studio Hamburg. Man könne sich auch so darüber freuen. "Die Herkunft wäre gut zu wissen, damit unsere Kinder das Gemälde später in Ehren halten und nicht auf den Müll packen", ergänzte Ehefrau Doris. Somit verbleibt ein kleines Geheimnis um das Bild. Bekannt ist beiden nur, dass Dirk Düwels Vater Robert, früher Lokalchef des "Hamburger Anzeigers", das Werk von Kollegen zu seinem 50. Geburtstag im Jahr 1955 erhielt.

Im Gegensatz zum Ehepaar aus Uhlenhorst kennt Doris Schorler aus Buchholz die Historie ihres vor zwölf Jahren geerbten Aktbildes in Öl genau. Schriftstücke belegen, dass ihre Großmutter Louise Lange geborene Kassow aus Bahrenfeld zwischen 1905 und 1907 eine Ausbildung beim namhaften Kunstmaler Lovis Corinth in Ostpreußen absolvierte und neben dem bis heute erhaltenen Abschlusszeugnis auch dieses Gemälde erhielt. Da Corinth den Akt jedoch nicht signierte, ist der Preis schwer zu beziffern. "Sonst wären es gewiss ein paar Tausend Euro", sagte Frau Schorler.

Doch als Moderator Janis Zaurins, bekleidet mit einem Panamahut und gleichfalls ein Meister seines Fachs, die nächsten kleinen Schätze aufrief, freute sich Ursula Schill immer noch über die Informationen über ihre beiden Bilder des Ecuadorianers Manuel Rendón. Nicht unbedingt der taxierte Preis, sondern die Geschichte mache beide so einzigartig.

"Es waren Geschenke des Generalkonsuls Ramón de Ycaza an meine Schwester Ingrid", verriet die Niendorferin. "Schöne Erinnerungen an vergangene Zeiten sind damit verbunden." 1952 sei der Diplomat in der Hansestadt im Einsatz gewesen und habe die beiden in Bern gerahmten Rendón-Werke mit besten Wünschen zurückgelassen.

Ob sie das Auktionshaus Sotheby's in New York um Wertschätzung bittet? Mal sehen. Denn ein Wert sei wahrlich nicht nur materieller Natur. "Eigentlich", so meinte sie, "ist das gute Stück doch unbezahlbar." Es ist eben alles eine Frage der Perspektive.