Das Internetportal gegen Wohnungsnot macht jetzt auch in anderen Städten Schule

Hamburg. Die Sache ist ziemlich schnell ziemlich groß geworden, wenn man bedenkt, dass sie in einem Keller geboren wurde. Andererseits: Die größten Gründungsmythen gehen auf Garagen oder Hobbykeller zurück, nehmen wir nur Steve Jobs, der den ersten Apple-Computer in einer Bretterbude zusammengeschraubt haben soll. Doch das Gängeviertel ist nicht Silicon Valley und der Leerstandsmelder nicht das neue iPhone. Aber eine Erfolgsgeschichte ist die Internetplattform leerstandsmelder.de aus Hamburg schon jetzt, zwei Jahre nach ihrer Gründung.

Einer der fünf Macher ist Michael Ziehl, ein zurückhaltender Mann, der kluge, kleine Sachen sagt und großen Idealismus verfolgt. Er gehört zur sogenannten "Zelle" - dem Zirkel, der den Plan zur Besetzung des Gängeviertels vorbereitete. Aus dem Sitzungskeller sei auch die Idee des Leerstandsmelders entstanden. "Wir waren unzufrieden mit der Stadtentwicklungspolitik, die Leerstand und große Klötze produziert, aber gleichzeitig Menschen von Wohnraum ausschließt. Der Leerstandsmelder war da nur die logische Konsequenz", sagt Ziehl. Am 1. Dezember 2010 ging das Projekt an den Start - und trifft bis heute den Zeitgeist.

Inzwischen ist die Hamburger Idee von Initiativen in Berlin, Bremen, Kaiserslautern, Dortmund, Görlitz und Frankfurt übernommen worden, Wien, Basel und Tübingen sollen folgen. Überall tragen neuerdings Menschen leer stehende Objekte in digitale Landkarten ein und dokumentieren dasselbe Problem: knapper und teurer Wohnraum auf der einen Seite, Hunderte brachliegende Wohnungen, Häuser, Büroflächen und Industriekomplexe auf der anderen. Als Reaktion auf diese Entwicklung will Hamburg nun das Wohnraumschutzgesetz verschärfen, leere Wohnungen wieder meldepflichtig machen und Verstöße ahnden. Wenn man so will: ein Erfolg des Leerstandsmelders, was offiziell niemand zugibt.

Fast 650 Hamburger Gebäude - rund 100 von ihnen in öffentlicher Hand - sind derzeit auf der Internetseite markiert, der Mieterverein zu Hamburg spricht von 2000 mutwillig ungenutzten Wohnungen. Michael Ziehl sagt, dass diese Problematik natürlich nicht nur ins Netz, sondern auch als Demonstration oder Aktion auf die Straße, in den physischen Raum, gehört. Aber der Leerstandsmelder mache eine Situation endlich sichtbar.

Bis die erfolgreiche, ehrenamtlich gepflegte Internetseite allerdings so weit war, standen Ziehl und seine Mitstreiter vor banalen technischen Problemen. Der 32 Jahre alte Diplom-Ingenieur studierte seinerzeit an der HafenCity-Universität und hatte mit der Entwicklung von Internetseiten nichts am Hut. Mithilfe der Hamburger Web-Experten von Ubilabs und dem rechtlichen Beistand des Artlawyer ging das schon besser. Ohne Werbeetat, aber mit 24 Gebäuden, die zum Hamburger Adventsleerstandskalander wurden, erregte die Seite von Beginn an Aufsehen, selbst das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung verweist mittlerweile auf die einfache, aber wirkungsvolle Idee aus Hamburg. Ziehl: "Wir rennen bundesweit offene Türen ein. So langsam entwächst der Leerstandsmelder dem Gängeviertel."

Den kommerziellen Durchbruch planen die Macher dennoch nicht, der Erfolg misst sich eher im Bekanntheitsgrad. "Wir wollen die Seite ja bewusst einfach halten. Es soll jeder mitmachen können", sagt Ziehl. Spenden wären nicht schlecht, aber die beiden Anliegen - Transparenz und Wissensteilung - sollen nicht aufgegeben werden. Ein kollektives Bewusstsein für das Problem zu schaffen, eine Informationsquelle zu sein, sei wichtiger. Ob Immobilien aus Denkmalschutzgründen, wegen Finanzierungsengpässen oder aus spekulativen Gründen leer stehen, sei dabei erst einmal nachrangig. "Dass sie überhaupt leer stehen, ist der Skandal", sagt Ziehl. Vieles könne zum Beispiel "zwischengenutzt" werden. "Denn Eigentum verpflichtet auch." Im Übrigen auch die Stadt. Der Raum sei da, aber für Wohnungssuchende nicht zugänglich.

Mehr als 600 Nutzer bestücken die Hamburger Seite derzeit. Es scheine sich langsam die Erkenntnis durchzusetzen, dass manchmal der Erhalt von Gebäuden nachhaltiger sei als Abriss und Neubau. "Der Erfolg der Seite und die bundesweite Resonanz zeigen jedenfalls, dass es längst kein Nischenthema mehr ist, den Würfelhusten der Stadtplaner einzudämmen", sagt Ziehl. Er jedenfalls habe politisches Engagement und privaten Interessenhorizont zum Beruf gemacht. Michael Ziehl arbeitet in Bremen bei einer Agentur, die Zwischennutzungen von leer stehenden Gebäuden vermittelt.

Morgen werden 2500 Menschen zur Demonstration "Schlaflos in Hamburg! Mietenwahnsinn stoppen" erwartet. Infos: www.leerstandsmelder.de