Stellingen. Ihr Anblick löst Ratlosigkeit aus. Und Kreativität. "Die Schnauze und die Augen, die sind doch ganz genauso wie die bei diesem Hörnchen aus 'Ice Age' - nur ohne Fell und Zähne", sagen die einen. "Hat was von einem Seepferdchen, nur lang gezogen", sagen die anderen. Ganz schlicht und ergreifend "Süßwassernadel" sagen hingegen die allerwenigsten zu Enne - auch wenn es das ist, was sie ist. Ein Knochenfisch, der auch Asiatische Flussnadel genannt wird. Und definitiv nicht mit Nagetieren, jedoch tatsächlich mit den Seepferdchen eng verwandt ist.

"So ungewöhnlich sind die Tiere eigentlich gar nicht", sagt Marian Merkens. "Wir haben zum Beispiel die Kleine Seenadel auch in der Nord- und Ostsee." Merkens ist als Tierpfleger im Tropen-Aquarium von Hagenbecks Tierpark unter anderem für die Großen Süßwassernadeln zuständig. Sehen können bisher nur er und seine Kollegen die drei Fische: "Wir haben die Tiere noch hinter den Kulissen, zur Eingewöhnung. Aber wir wollen jetzt bald ein Becken für sie in der Schatzkammer einrichten." Dafür hat Merkens bereits einen Katalog mit asiatischen Wasserpflanzen zu Hause. Damit sich die Fische auch absolut heimisch fühlen.

Große Süßwassernadeln oder Asiatische Flussnadeln (der deutsche Name wird ähnlich uneinheitlich geführt wie ihr wissenschaftlicher Name Doryichthys boaja, für den es gleich mehrere Synonyme gibt), kommen in Indonesien, Malaysia, Thailand, Kambodscha und Vietnam vor. Ihre maximale Körperlänge wird mit 40 Zentimetern angegeben; die drei Süßwassernadel-Damen bei Hagenbeck haben etwa 25 Zentimeter erreicht, sagt Merkens: "Sie sind etwa zwei Jahre alt und alle Nachzuchten aus dem Aquazoo in Düsseldorf."

Ursprünglich war noch ein Männchen dabei, doch das sei leider verstorben, so Merkens: "Jetzt suchen wir nach einem Ersatz für ihn." Derweil vertragen sich die Weibchen untereinander gut - "zwei Männchen hingegen auf kleinem Raum, das ginge nicht. Dazu sind Seenadeln zu territorial", verrät der Tierpfleger.

Die Weibchen von den Männchen zu unterscheiden falle nicht schwer, sagt Merkens: "Die Männchen haben an der Unterseite eine Bauchfalte, in der sie die Eier der Weibchen aufnehmen und ausbrüten können." Bei den gradlinigen Kameraden der gebogen-aufrechten Seepferdchen sind es also auch die Väter, die sich um den Nachwuchs kümmern. Während die Weibchen ihrer Wege schwimmen.

Apropos schwimmen: Da der lang gestreckte Körper der Seenadeln von ringförmigen Knochenplatten umgeben ist, die einen festen Panzer bilden und damit die Beweglichkeit des Rumpfes stark einengen, sind die Tiere nicht allzu schnell und wendig. "Sie sind sehr langsame Schwimmer, die meistens an der Oberfläche eines Gewässers stehen, gerne unter Pflanzen versteckt, und auf Beute warten", sagt Merkens. Beute, das sind meist kleine Krebstierchen, die die zahnlosen Süßwassernadeln mit ihrem als Fangsaugrohr ausgebildeten Maul blitzschnell einsaugen. Das bei auch vielen anderen Fischarten ausgebildete Saugschnappen funktioniert bei ihnen dadurch, dass durch Muskelkraft im Bindegewebe Spannung aufgebaut wird, die sich dann schlagartig entlädt. "Allerdings reagieren die Süßwassernadeln nur auf lebende Beute", sagt Merkens. Was dazu führt, dass die Tierpfleger des Tropen-Aquariums in den Sommermonaten regelmäßig in den Wassergräben und -flächen des Tierparks auf Wasserflohjagd gehen.

Für dieses Jahr haben sie das eingestellt und sind nun eher mit der Zusammenstellung der Süßwassernadel-WG beschäftigt, verrät Marian Merkens: "Da die Seenadeln so langsam schwimmen, darf man sie nicht mit aktiven Fischen zusammenhalten, die ihnen schnell das Futter wegfressen." So würden sie also nach "eher lethargischen Bodenbewohnern" suchen, dann könnten sich beide Arten das Becken gut teilen. Enne und die beiden anderen Seenadel-Damen würden ihr Reich vor allem gerne mit einem entsprechenden Partner teilen. Eier legen sie immerhin schon - doch nur mit einer heißen (männlichen) Nadel könnten daraus Jungtiere gestrickt werden ...

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Die Kolumne gibt es jetzt auch in zwei Büchern: "Hagenbecks Tierwelt" und "Hagenbecks Tropenwelt", Hamburger Abendblatt edition, jeweils 208 Seiten; beide Bände im Schuber für 17,95 Euro (für Abonnenten des Abendblatts bei Direktbestellung: 14,95 Euro), Einzelbände je 12,95 Euro. Zu bestellen unter www.abendblatt.de/shop oder unter Telefon (040) 34 72 65 66. Auch im Buchhandel erhältlich.