Bacharuddin Jusuf Habibie entwickelte auf Finkenwerder Flugzeuge, führte Indonesien zur Demokratie, ist in seiner Heimat jetzt Bestsellerautor - und lebt im Umland der Hansestadt

Flugs nimmt der Professor die breiten Stufen in der Eingangshalle von Haus 18 auf dem Airbus-Gelände in Hamburg-Finkenwerder. So, als wäre er nie fort gewesen. Er hält kurz inne, fixiert von der Treppe aus das monumentale Mosaik, das historische Maschinen der Hamburger Flugzeugschmiede Messerschmidt-Bölkow-Blohm (MBB) zeigt. Dann zieht es den zarten Mann mit dem wachen Blick weiter ans Ende des langen Flurs. Dorthin, wo früher sein Büro war. "Ja, hier habe ich gesessen. Zusammen mit Herrn Blohm", erzählt er in akzentfreiem Hochdeutsch. "Wir haben uns das Büro geteilt, mit Blick über die Elbe. Ist das nicht herrlich?"

Der Professor lacht. Seine 76 Jahre merkt man ihm nicht an. "1965 fing ich hier an. Ich wollte Flugzeuge bauen. Und habe den Hansajet 320 mitentwickelt. Das war meine erste Arbeit. Mein Gott, das ist 47 Jahre her."

4000 Menschen arbeiteten damals bei der Hamburger Flugzeugbau GmbH. Heute kommt Airbus auf Finkenwerder locker auf das Dreifache. "Ich freue mich und bin stolz, welche Entwicklung das alles hier genommen hat", sagt der Professor. Im Werksmuseum ist er ganz in seinem Element: An einem weißblauen Hansajet HFB 320 erklärt der Ingenieur den Sinn der positiven Pfeilung der Tragflächen für die Stabilität des Düsenfliegers. Und er liefert einen physikalischen Exkurs über Materialtechnik. Der Hansajet gilt als ein Wegbereiter für die Airbus-Produktion in Hamburg-Finkenwerder. Bis hin zum A380.

Die Karriere des Bacharuddin Jusuf Habibie, genannt "Rudy", nahm einen ähnlich steilen Aufstieg. In den 1950er-Jahren kommt er als mittelloser Student mit zwei Koffern in der Hand und 50 Mark in der Tasche aus Indonesien nach Deutschland, um an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) Aachen Flugzeugbau zu studieren. Innerhalb weniger Jahre steigt der promovierte Ingenieur in Hamburg bis in die Spitze des größten deutschen Luft- und Raumfahrtunternehmens auf, kehrt 1974 aber nach Indonesien zurück, wird von Staatspräsident General Suharto zum Forschungsminister und Vizepräsidenten des Landes berufen - und übernimmt nach dem Sturz des Diktators am 21. Mai 1998 selbst das Amt des Staatspräsidenten. So, wie es die Verfassung des bevölkerungsreichsten muslimischen Landes der Erde vorsieht. 517 Tage regiert Habibie das südostasiatische Land. Und sorgt für tief greifende Veränderungen: Er führt im Vielvölkerstaat Indonesien mit 300 verschiedenen ethnischen Gruppen die Demokratie nach europäischem Vorbild ein.

"Ich habe sofort Nägel mit Köpfen gemacht", erzählt Habibie und lacht. "Ich habe gemerkt, jetzt kann ich etwas verändern. Meine erste Entscheidung als Präsident? Ich ließ alle politischen Gefangenen frei." Nun geht es Schlag auf Schlag: "Rudy" Habibie führt die Presse- und Religionsfreiheit ein. Freie Gewerkschaften und Demonstrationsfreiheit ebenfalls. Er erlaubt Parteigründungen und reformiert das Rechtssystem. Er schafft ein Antimonopolgesetz. Und geht mit Unterstützung aus Deutschland gegen Korruption vor. "Ich habe Helmut Kohl angerufen und um Hilfe gebeten", erinnert sich Habibie. "Der damalige Kanzler hat mir daraufhin Helmut Schlesinger, den früheren Präsidenten der Deutschen Bundesbank, geschickt."

Mithilfe des Chefvolkswirts aus deutschen Landen krempelt Habibie das indonesische Bankensystem um. Mit der Neuordnung des Finanzsektors und dem Aufbau einer regierungsunabhängigen Zentralbank nach deutschem Vorbild gelingt es ihm, das von der Wirtschaftskrise in Asien in den Jahren 1997/98 neben Thailand und Südkorea am stärksten betroffene Land zu stabilisieren. "Ich habe jeden Tag 1,3 Gesetze verabschiedet", erzählt Habibie. Sein Tempo und Reformeifer überraschen - und stürzen die Opposition in Ratlosigkeit. Als der neue Staatschef dann auch noch das 1976 annektierte Osttimor in die Unabhängigkeit entlässt, stößt er bei seinen Rivalen auf nationalistische Empörung. Gleichzeitig kann sich Habibie im Parlament jedoch auf mehr als 90 Prozent Zustimmung stützen. "Weil ich Flugzeuge baute, war ich ein Star, ein Superstar."

Im Buch "517 Tage - Augenblicke der Entscheidung - Geburt einer Demokratie" schildert Habibie die politische Umbruchzeit. Im Vorwort heißt es über ihn: "Er hat zum ersten Mal freie und demokratische Wahlen ermöglicht. Er hat während seiner kurzen Amtszeit umfassende Reformen in Politik, Wirtschaft und Justiz eingeleitet - ein großes Verdienst." Geschrieben hat diese Sätze Altkanzler Helmut Schmidt, mit dem der Ex-Präsident seit Langem freundschaftlich verbunden ist. Schmidt weiter: "Habibies Beispiel zeigt: Das in Deutschland Gelernte kann, ohne jede deutsche Bevormundung, in einem fernen Land Früchte tragen." Bis heute ist die Demokratie in Indonesien stabil. Und das Land steht mit acht Prozent Wachstum pro Jahr auch wirtschaftlich glänzend da. Als einziges der zehn Mitglieder des Verbandes Südostasiatischer Nationen trägt Indonesien, in dem US-Präsident Barack Obama vier Jahre seiner Kindheit verbrachte, die von der US-Nichtregierungsorganisation Freedom House verliehene Bewertung "frei". Die größtenteils katholischen Philippinen, das buddhistische Thailand und das konfuzianisch geprägte Singapur liegen hinter Indonesien, wenn es um grundlegende demokratische Freiheiten ihrer Bürger geht. Die derzeitige Regierung in Washington betrachte Indonesien als ein Modell für die muslimische Welt.

Doch Habibie zieht sich im Jahr 1999 - auf dem Höhepunkt seiner politischen Karriere - aus dem Präsidentenamt zurück. "Ich habe in meinem Leben zu keiner Zeit nach Macht und Ämtern gestrebt. Ich habe immerzu nur gearbeitet", sagt er. "Gott sei Dank konnte ich während meiner 17-monatigen Regierungszeit alles regeln. Präsident zu sein ist nicht alles. Mein Entschluss, mich nicht zur Wiederwahl zu stellen, war wohl ein Zeichen und die Vorsehung Gottes, des Allmächtigen, für mich und meine Frau Ainun." Die Frau an der Seite des Staatschefs, die in ihrem Heimatland aufgrund ihres sozialen Engagements vom Volk verehrt wird, ist zu diesem Zeitpunkt bereits schwer erkrankt.

Habibie und Ainun hatten sich während ihrer Schulzeit kennengelernt und 1962 in Indonesien geheiratet. "Als wir nach der Hochzeit in Deutschland ankamen, wurden wir am Flughafen von Freunden mit Aachener Printen empfangen", erinnert sich Habibie. Das junge Paar hat wenig Geld und zieht in eine kleine Wohnung. "Ich war stolz, dass ich Ainun zum 25. Geburtstag eine Singer-Nähmaschine schenken konnte. Bezahlt habe ich sie in Raten", sagt er. Der erste Sprössling, Ilham, kündigt sich an. Ainun näht Babysachen und strickt für den Winter.

Später, in Hamburg, zieht die kleine Familie in eine Airbus-Werkswohnung in Othmarschen. "Rudy", wie Ainun ihren Mann nennt, entwickelt Flugzeuge, und Ainun, mittlerweile Kinderärztin, arbeitet als Stationsleiterin in einer Kinderklinik in Eppendorf. Nach der Geburt ihres zweiten Sohns Tharek zieht die Familie in ein großes Haus im Hamburger Umland. Dort lebt der ehemalige Staatspräsident bis heute, drei bis vier Monate im Jahr. "Ich bin ein Indonesier. Aber ich fühle mich als Hamburger", sagt Habibie. "Einer meiner Söhne ist hier in Hamburg geboren, meine Frau und ich haben hier lange gelebt und gearbeitet. Seit ich 1954 als Student nach Deutschland kam, wurde ich hier geschmiedet. Ich war nie getrennt von meiner geistigen deutschen Heimat. Die Werte, die Kultur, die Sichtweise, all das habe ich in Deutschland erlernt und verinnerlicht."

Im Fischrestaurant Daniel Wischer nimmt Habibie mit seinen beiden Leibwächtern an einem kleinen Tisch auf der Galerie Platz. Er kommt gern hierher, isst am liebsten Büsumer Scholle mit Krabben. Hinterher gibt es Hamburger Rote Grütze mit Vanillesoße. Bei der Gelegenheit räumt der gläubige Moslem mit ein paar Vorurteilen auf. "Wer sagt, dass Moslems keinen Alkohol trinken dürfen? Sie dürfen! Und sie tun es. Aber nicht in rauen Mengen." Ein guter Schluck Wein gehört für ihn zum guten Essen. Und zum Beten braucht Habibie weder Moschee noch Minarett. "Als ich in Aachen lebte, gab es dort keine Moschee. Ich bin oft in die Kirche gegangen, um zu beten", erzählt er. "Das war ein christliches Gotteshaus. Wichtig war für mich nur, dass das Haus mit Gottes Segen gebaut ist."

Habibie ist heute ein weltweit gefragter Referent zu wissenschaftlichen und gesellschaftspolitischen Themen. Die in Deutschland entbrannte Diskussion über eine öffentliche Aufführung des Mohammed-Films kann Habibie nicht verstehen. In Indonesien waren Ausschnitte des Streifens im Internet unverzüglich gesperrt worden. "Ich bin dagegen, den Film öffentlich zu zeigen. Was soll das? Der Film verwirrt die Menschen. Es ist der Film einer kleinen Gruppe, den sich diejenigen zunutze machen, die einen Kampf der Kulturen heraufbeschwören wollen, um davon zu profitieren. Wir sollten den Film ignorieren. Meinungsfreiheit hat auch mit Verantwortung zu tun."

Habibies Frau Ainun starb 2009. Ihr Tod hat "Rudy" tief getroffen. Trauer und Schmerz hat er im Buch "Habibie & Ainun - ein Glück, dass es Gott gibt", verarbeitet. Es zeichnet die Lebensgeschichte des Paares nach. In Indonesien ist das Buch ein Bestseller. Es wurde gerade an Originalschauplätzen in Deutschland verfilmt. "Die Schauspieler sehen viel besser aus als Ainun und ich", sagt Habibie. Die besten Mimen des Landes hätten sich beworben. Am 10. Dezember wird der 90-minütige Spielfilm, dessen Produktion zwei Millionen Dollar gekostet hat, in Indonesiens Hauptstadt Jakarta uraufgeführt. Der Präsident, der Vizepräsident und führende Persönlichkeiten aus Wirtschaft und Kultur Indonesiens werden dabei sein. "Die Politiker interessiert die Schicksalhaftigkeit eines Menschen, der es aus dem Nichts zum Präsidenten geschafft hat", sagt Habibie. "Der Film wird die Zuschauer inspirieren. Es geht um die Liebe zu den Mitmenschen, die positive Kraft der Kultur in einer reizüberfluteten Welt. Ich freu mich drauf."