Die vorsichtige Annäherung eines traditionell gesinnten Buchnarren an das Phänomen E-Book - ein Erlebnisbericht

Ich gebe zu, ich bin süchtig. Schon seit meiner Kindheit. Meine Droge ist rechteckig; fühlt sich wunderbar an und flutet mein Gehirn täglich mit kraftvollen Bildern und Visionen aus allen vorstellbaren Welten; ein Leben ohne sie wäre irgendwie hohl. Die alten Ägypter haben diese Droge schon in schlichterer Form gekannt, auch die Griechen und Römer. Meine Droge ist das Buch; "angefixt" hat mich meine Mutter, als ich selber noch nicht gut lesen konnte und sie mir Karl Mays "Schatz im Silbersee" vortrug. Irgendwann riss ich es ihr ungeduldig aus den Händen, ich wollte nun mit eigenen Augen erfahren, wie es mit Winnetou, Old Shatterhand und dem "roten Cornel" weitergeht.

Dann kaufte mein Vater, ein Buchnarr auch er, billig eine ganze Leihbücherei in Berlin auf, deren Besitzerin verstorben war. Und unser Haus füllte sich mit literarischen Schätzen. Das tut es bis heute weiterhin - ich kaufe unablässig Bücher, und eines wegzuwerfen, kommt mir wie ein Sakrileg vor. Ich empfinde Respekt, in manchen Fällen gar Ehrfurcht vor all der komprimierten Weisheit zwischen den Pappdeckeln. Mein ältestes Buch stammt aus dem Jahre 1717; ich nehme es vorsichtig in die Hand und sinniere, wer alles in diesen fast 300 Jahren darin gelesen hat und wie die Lebenswege dieser Menschen wohl verlaufen sind.

Und nun dies: Aus dem Freundeskreis wird mir ein E-Book geschenkt. Ein E-Book! Mir! Eine harmlos aussehende, zugegeben elegante Lesemaschine aus Kunststoff, kaum größer und dicker als eine Postkarte.

Zunächst fremdelte ich mächtig mit diesem Teil; schlich argwöhnisch darum herum. Obwohl durchaus technikaffin, wenn auch von begrenztem Talent in diesen Dingen, lehnte ich es innerlich entrüstet ab. Es roch nicht wie ein Buch; es gab keine Seiten, die einmal als Baum gelebt hatten und verheißungsvoll raschelten. Das deutsche Wort Buch kommt ja von den Buchenblöcken, in die die Buchstaben für den Druck am Ende des Mittelalters zunächst geschnitten wurden. (Ob Buchdruck-Erfinder Gutenberg wohl bei Koreanern und Chinesen plagiiert hat, die schon vorher bewegliche Lettern nutzten?) Jedenfalls ist es sicher kein Zufall, dass, wer Bücher liebt, meist auch Bäume mag.

Und nun musste ich, um mir Buchtexte auf diese ominöse Maschine herunterladen zu können, zunächst einmal am Computer einen Aufwand in der Größenordnung eines Pilotenscheins betreiben. Zähneknirschend nahm ich es in den Urlaub mit; das Gepäck für den Flug ist bekanntermaßen begrenzt, und das winzige Teil wog, obschon es nunmehr fünf dicke Bücher enthielt, nicht mehr als vorher. Dass ich zur Sicherheit auch noch ein paar echte Bücher mitnahm, versteht sich von selber. Am Ende nutzte ich beide Medien intensiv.

Zu meinem Erstaunen konnte man die Texte des E-Books sehr gut lesen - obwohl ein Bücherfreund wie ich es als ein wenig pervers empfinden muss, dass die "Seiten" elektronisch einen künstlichen Papiercharakter verpasst bekommen haben. Das ist, als wolle man jemandem, der Venedig liebt, die schnöde Nachbildung in Form eines amerikanischen Hotels anbieten. Doch ich freundete mich auch zunehmend mit dem schlanken, glatten Design der Maschine an. Am Ende des Urlaubs hatte ich durchaus das gute Gefühl, ein Buch gelesen zu haben. Und möglicherweise könnte sogar irgendwann der Tag kommen, an dem ich nicht mehr weiß, ob ich ein Werk auf echtem Papier oder auf einem Display gelesen habe.

Natürlich zählt vor allem der Inhalt, weniger die Form. Doch die Sinnlichkeit und Magie eines gebundenen Buches wird das E-Book niemals erreichen. Bislang ist es - leider - auch nicht so, dass elektronische Bücher in großem Umfang neue Leserschichten erschließen würden. Im Gegenteil - Vielleser wie ich greifen irgendwann auch zur elektronischen Variante. In den meisten Fällen als praktische Ergänzung - keineswegs als Alternative. Und noch machen E-Bücher kaum zwei Prozent des gesamten Buchhandels aus.

Doch eines bleibt gleich, einerlei ob man knisternd oder lautlos umblättert: Lesen bietet den "Schlüssel zu ungeahnten Taten, zu unerträumten Möglichkeiten", wie der Autor Aldous Huxley ("Schöne neue Welt") schwärmte. Der Komiker Groucho Marx spottete weise: "Fernsehen bildet. Immer, wenn der Fernseher läuft, gehe ich in ein anderes Zimmer - und lese."