Ehemalige Kiezgröße will mit Verwechslungskomödie seine Unschuld beweisen. Das Gericht entscheidet jedoch, die Berufung zu verwerfen.

Hamburg. Sein Image als Kiezlegende hat er über lange Jahre gepflegt. Und dazu die ewig gleiche Coolness mit dem unverwechselbaren Outfit. Die getönte, große und gold geränderte Brille gehört dazu, der markante Schnauzbart und der feine Anzug. Anders hat seit Urzeiten wohl kaum jemand Karl-Heinz "Kalle" Schwensen zu Gesicht bekommen, vor allem nicht ohne die auffällige Sehhilfe, die der 57-Jährige angeblich nur beim Haarewaschen abnimmt. Da kann allein das Fehlen dieses Markenzeichens zu einer Art Maskerade geraten.

Und nun sitzt da einer im Berufungsprozess vor dem Landgericht, in dem es um den Vorwurf des Fahrens ohne Führerschein geht, so ganz ohne Schnauzbart, im schlichten Pulli - und ohne die fast zum Kultobjekt erhobene Pilotenbrille! Ist er's oder ist er's nicht? Da könnte schließlich jeder kommen, so glatt rasiert, mit heftig blinzelnden Augen und auch noch ohne Personalausweis.

Das scheint jedenfalls die Ansicht von Staatsanwältin und Richterin zu sein. Für eine Scharade, ein Schauspiel mit hanebüchen gestyltem Doppelgänger, halten sie offenbar den so verdächtig bescheidenen, auf große Gesten und Szenekult verzichtenden Auftritt des Mannes. Zumal ein anderer Herr, der wie das perfekte Abbild der ehemaligen Kiezgröße inklusive legendärer Sonnenbrille wirkt, für Sekunden im Saal erschienen war und dann wieder ging. Auch die "anwaltliche Versicherung" von Verteidiger Klaus Hüser, es handele sich bei dem Mann auf der Anklagebank wirklich um Schwensen, wird vom Gericht nicht akzeptiert.

Es habe sich jemand gemeldet, der wie der Angeklagte aussieht, erklärt nun Anwalt Hüser. Dieser Mann habe jetzt kurz den Saal betreten, um zu demonstrieren, "wie leicht Menschen mit nur wenigen Accessoires zu täuschen" seien. In einem Verfahren vor dem Amtsgericht, in dem Schwensen zu 11.000 Euro Geldstrafe verurteilt wurde, war es genau um die sichere Wiedererkennung gegangen. Zwei Polizisten hatten angegeben, den 57-Jährigen am 2. Februar 2011 am Steuer eines Mercedes erkannt zu haben, obwohl Schwensen seinen Führerschein wegen zu vieler Punkte in Flensburg los war. "Ich kenne nur zwei Menschen, die abends mit einer Sonnenbrille unterwegs sind", hatte ein Zeuge gesagt. "Herrn Schwensen und Heino. Aber Heino war es sicher nicht." Doch Verkleidung hin, fehlende Sonnenbrille und die Geschichte vom doppelten Schwensen her - das Gericht entscheidet, die Berufung zu verwerfen. Der Mann, der sich als Schwensen ausgegeben habe, "ist nicht Herr Schwensen", begründet die Richterin die Entscheidung und verlässt den Saal. "Das ist unglaublich und eine Posse", empört sich Verteidiger Hüser. "Gegen diese katastrophale Entscheidung werden wir selbstverständlich Rechtsmittel einlegen."

Der Mann auf der Anklagebank zeigt Narben von Schussverletzungen

Auch der Mann auf der Anklagebank hatte zuvor emotional reagiert. Er sprang auf und schlug die Hände aufs Papier. "Hier sind meine Fingerabdrücke", tobte er, er sei wirklich Karl-Heinz Schwensen. Als letzten und scheinbar zwingenden Beweis verwies er auf Schusswunden, die die Kiezlegende vor Jahren erlitten hatte. Dazu riss der Mann den Pulli hoch und schob seine Jeans ein Stück weit nach unten. "Hier sind meine Narben", sagte er. Da hat jemand im wahrsten Sinne des Wortes die Hosen runtergelassen. Wozu braucht es da noch eine Brille?