Firmen bevorzugen Bewerber aus Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern wegen besserer Noten und höherer Sozialkompetenz

Hamburg. Nur knapp ein Fünftel aller 5307 Schulabgänger der Klassen 9 und 10 an Stadtteil-, Förder- und Privatschulen hat einen Ausbildungsplatz im dualen System gefunden. Das Ergebnis der ersten flächendeckenden Befragung aller Neunt- und Zehntklässler dieser Schulen in einem Bundesland weist auf erhebliche Defizite der Schulabgänger hin. "Wir müssen die Grundkenntnisse der Schüler stärken", sagte Elisabeth Rüssmann, verantwortliche Schulrätin für die Stadtteilschulen. Außerdem gibt es nach Einschätzung der Bildungsexpertin auch Defizite in der Sozialkompetenz der Schüler. "Wir müssen zum Beispiel die Arbeitshaltung und das Pflichtgefühl der jungen Leute verbessern", sagte Rüssmann.

Schulsenator Ties Rabe (SPD) sprach von "einem der großen Arbeitsfelder in der Schulpolitik des Senats". Rabe sieht allerdings nicht nur Kompetenzdefizite bei den Schülern, die zu fehlender Ausbildungsreife führen, sondern auch weitere Ursachen für mangelnden Erfolg auf dem Ausbildungsmarkt. "Wir wissen aus den Gesprächen, dass es ein wenig aus der Mode gekommen ist, mit einem vernünftigen Realschulabschluss als 17-Jähriger eine Ausbildung zu beginnen", sagte Rabe. "Viele Eltern finden, dass ihre Kinder noch zu klein seien, um eine Ausbildung zu beginnen", sagte der SPD-Politiker, der an Schulen, Familien und die Wirtschaft appellierte, gegen diese Einstellung anzugehen.

Die Folge: Schulabgänger aus Schleswig-Holstein und Niedersachsen laufen ihren Hamburger Mitbewerbern den Rang ab. Rund jeder zweite Jugendliche, der im Bereich der Handelskammer eine Ausbildung beginnt, kommt nicht aus Hamburg. "Der Anteil auswärtiger Azubis ist immer noch hoch und liegt bei 50,3 Prozent", sagt Fin Mohaupt von der Handelskammer. "Sie haben die besseren Schulabschlüsse und können auch beim Sozialverhalten punkten", sagt Mohaupt. Folglich würden sie von den Firmen bevorzugt. Außerdem mache sich bemerkbar, dass die leistungsstarken Jugendlichen aus den umliegenden Bundesländern auch mobil sind. Ebenso spielt eine Rolle, dass der Anteil der Ausbildungsberufe, die meist ein Abitur erfordern, in Hamburg überdurchschnittlich groß ist.

Am Beispiel von Mecklenburg Vorpommern zeigt sich, dass die Hamburger von rückläufigen Schulabgängerzahlen in anderen Ländern nicht profitieren können. Der Anteil der Azubis aus diesem Bundesland liegt aufgrund der demografischen Entwicklung nur noch bei 2,3 Prozent. Vor einigen Jahren war der Anteil noch dreimal so groß. "Aber von dieser Entwicklung konnten nicht die Hamburger Schüler profitieren", sagt Mohaupt. "Azubis aus anderen Bundesländern haben für den Augleich gesorgt." So kommen in diesem Jahr 22,7 Prozent der Lehrlinge aus Schleswig-Holstein und 19,5 Prozent aus Niedersachsen. Der Rest verteilt sich auf weiter entfernte Länder.

Nach Mohaupts Einschätzung sind die Firmen zwar bereit, Zugeständnisse bei den Leistungen zu machen, aber bei den Tugenden wie Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit und Durchsetzungswille sei das nicht möglich - und gerade in diesen Bereichen schneiden die Hamburger Schulabgänger schlechter ab. "Das kann auch nicht durch Nachhilfekurse ausgeglichen werden", sagt Mohaupt. Selbst den Schulen macht er hier kaum Vorwürfe. "Die Voraussetzungen für diese Tugenden werden in den Elternhäusern gelegt."

Insgesamt wurden in diesem Jahr rund 13 000 Ausbildungsverhältnisse in Hamburg abgeschlossen, davon 10 000 im Bereich der Handelskammer. Der Rest entfällt auf die Handwerkskammer und die freien Berufe. Die genauen Zahlen werden erst Anfang November veröffentlicht. Um Ausbildungsreife und Berufsorientierung zu verbessern, erhalten die Schüler mit dem Versetzungszeugnis am Ende von Klasse 8 eine Abschlussprognose. "Wir hoffen auf mehr Realitätssinn", sagte Schulrätin Rüssmann. Inzwischen arbeite jede Stadtteilschule mit einer beruflichen Schule zusammen, um Schüler möglichst frühzeitig - schon in Klasse 8 - an die Berufsorientierung heranzuführen.

Wie erstmals in diesem Jahr sollen Lehrer künftig immer mit allen Schulabgängern Beratungsgespräche über deren Perspektive führen. Mithilfe der neu gegründeten Jugendberufsagenturen soll sichergestellt werden, dass kein Jugendlicher verloren geht, weil sich der Staat nicht ausreichend um seine Berufschancen kümmert.