Hamburg, Deine Berge - Letzte Folge: der Opferberg in der Neugrabener Schweiz.

Neugraben. Doch, auch in Hamburg gibt es Berge. Abendblatt-Autor Josef Nyary hat sie in den vergangenen Wochen in der Serie "Hamburg in der Höhe" vorgestellt. Die Berge wurden aufgetürmt von Eiszeitgletschern - oder auch mal nur von der Müllabfuhr. Was alle gemeinsam haben? Sie alle sind einen Spaziergang, einen Ausflug oder gar eine Wanderung wert.

Die Zeremonie hoch über der Elbe ist blutig wie die Schlacht im Teutoburger Wald ein paar Tage zuvor: Germanische Krieger führen gefesselte Römer auf den Opferberg. Laut rufen Priester ihre Götter an: Odin, Thor und den Kriegsgott Tyr. Dann stoßen sie die Gefangenen mit Messern nieder.

Ein Kessel fängt das Blut auf, ein heiliger Blutzweig besprengt den Altar, die Opfertiere und die siegreichen Krieger. Das Fleisch frisch geschlachteter Pferde, Rinder und Eber wird für das ganze Volk gesotten. Weise Frauen brauen Bier und backen Kuchen. Nach den Menschenopfern beginnt ein fröhliches Fest mit Siegestänzen und Heldenliedern.

2000 Jahre später hat sich auf dem 46 Meter hohen, dicht bewaldeten Kegel gleich hinter dem "Stadion Opferberg" keine Spur von dem Stamm erhalten, der seit der Zeit um Christi Geburt auf beiden Ufern der Elbe siedelte. Die Chauken - das "ch" wird wie in "Licht" gesprochen - und ihre barbarischen Bräuche sind verschwunden, nur die gelegentlichen Blutgrätschen der Landesliga-Kicker vom FC Süderelbe sowie ein gesteigerter Bierdurst nach den Fußballspielen erzählen die Geschichte dieses Ortes ein bisschen weiter. Wobei die Geologie des Gipfels in noch viel ältere Epochen führt: Vor 200.000 Jahren graben die gigantischen Schmelzwasserströme auftauender Eiszeitgletscher auf dem Gebiet der Harburger Berge bis zu 300 Meter tiefe Rinnen in den Boden. Später füllen Sand und Kies die Schluchten auf, und vor 130.000 Jahren formen letzte Tauwetterbäche das heutige Hügelprofil.

Vor 15.000 Jahren folgen jungsteinzeitliche Rentierjäger den zurückweichenden Eisfeldern nach Norden. Elbabwärts herrschen die Langobarden, elbaufwärts die Sueben. Beide Nachbarvölker wandern später nach Süden, die Chauken aber gehen in den Sachsen auf und bleiben den fruchtbaren Elbmarschen bis heute treu.

In den Schwarzen Bergen hausen im Mittelalter nur ein paar Sauhirten und Kohlenbrenner. Doch als die Niederelbebahn Harburg-Cuxhaven 1899 den Bahnhof Hausbruch baut, bekommt Hamburg ein neues Ausflugsziel. 1914 lädt Mathias Pieper, Inhaber des Hotels am Opferberg, Gäste zu einer Wintersportwoche ein. Auf dem Berg stehen 300 Schlitten bereit, doch leider fällt keine Flocke.

Der Gastronom rettet sein Geschäft, indem er im Harz zehn Tonnen Schnee in zwei Eisenbahnwaggons schaufeln lässt. In Hausbruch schippen Helfer die kalte Fracht in Pferdefuhrwerke und basteln daraus am Opferberg eine Piste.

Das Hotel hat elf Tage lang Hochbetrieb, Hamburg eine neue Rodelbahn und das Hügelland südlich der Elbe auf Jahre hinaus einen neuen Namen. Im Inflationsjahr 1921 etwa findet er sich auf einem Notgeldschein aus Neugraben-Hausbruch. Eine Zeichnung zeigt den Zusammenstoß zweier Schlittenfahrer. Dialog: "Hanne, kümmst du jetzt auch?" - "Ich bün all lang hier!" Über- und Unterschrift: "Rodelsport am Opferberg in der Neugrabener Schweiz".

Der Gipfelsturm auf die Elb-Alpe beginnt hart westlich des Stadions bei einem Wegweiser ins "Naturschutzgebiet Neugrabener Heide". Von der Cuxhavener Straße geht es entweder auf einem Waldweg in bequemen Serpentinen oder auf einem Steilpfad in der Direttissima hinauf. Von der sandigen, von Kiefern umringten Kuppe bieten sich Blicke auf andere Gebirge: Nach Norden 13 Kilometer weit über das Urstromtal der Elbe auf die Blankeneser Hügelkette, nach Westen auf die von 1959 bis 1977 erbauten Betongipfel der Trabantensiedlung Neuwiedenthal, im Saga-Jargon "Hochkantdorf" genannt.

Stolzes Siegeszeichen der Chauken war ein in der Varusschlacht erbeuteter Legionsadler. Ob die Standarte auch auf dem Opferberg prangte, wissen wir nicht - wohl aber, dass die Römer den vergoldeten Bronzevogel im Jahr 41 n. Chr. auf einem Feldzug in den Norden zurückerobert haben.