Die CDU braucht neue Konzepte, um junge Wähler in den Großstädten zu erreichen

In Stuttgart ist für die CDU mehr verloren gegangen als der Posten eines Oberbürgermeisters. Mit der Wahl des grünen Realos Fritz Kuhn hat sich der Wandel der gesamten politischen Kultur in den Großstädten verfestigt. Dadurch wurden die Ergebnisse der Revolution zu einer grün-roten Landesregierung im Südwesten bestätigt - und die Union angesichts anhaltender Wahlschlappen vor dem Bundestagswahljahr vor existenzielle Fragen gestellt.

Wie die jungen Leute gewinnen und dabei die alten Wähler nicht verlieren? Wie sich positionieren, dass Konservative und Modernisierer gleichsam angesprochen werden?

Baden-Württemberg ist Stammland für die CDU, die FDP und die Grünen. Über Parteigrenzen hinweg gibt es einen bürgerschaftlichen Konsens, der Leben und Arbeiten im Südwesten prägt. In den Städten des Ländles und darüber hinaus des gesamten Landes wird die Zukunft entschieden. Hier leben mehr Jüngere. Denn Deutschland altert - aber auf dem Land zuerst.

In den Städten gibt es nicht nur mehr Jüngere und Kinder, die Geburtenrate ist auch deutlich höher als in ländlichen Regionen. Und Deutschland boomt außer in Hamburg vor allem in Bayern und Baden-Württemberg. Das zeigen alle Studien zu Wirtschaftskraft und Demografie.

Jahrelang zog Übervater Helmut Kohl an allen Strippen der CDU, hierarchisch von oben nach unten und horizontal von Flensburg bis Konstanz. Als Parteivorsitzende und Bundeskanzlerin hat Angela Merkel die Partei entkohlt, entkernt und auf Regierungshandeln reduziert. Ihr Pragmatismus in allen Ehren - aber Merkel ist eine Realpolitikerin und Regierungschefin, keine ausgewiesene Wahlkämpferin.

Man muss nur einmal durchdeklinieren, wie und wo die CDU derzeit punkten kann. Denn die Euro-Stabilität ist kein Thema in 90 Prozent aller Wahlkämpfe, höchstens bei der Bundestagswahl. Und in den Ländern, in den Städten geht es abseits der Kernkompetenzen Wirtschaft und Sicherheit um Schulen, Verkehr, Integration, Wohnungsbau und einiges mehr. Unter Merkel wurde die CDU in vielen Bereichen sozialdemokratisch oder beliebig. Der Schuss ins Grüne verfehlte bislang das Ziel.

In der Familien-, Bildungs-, Renten- und Energiepolitik gibt es derzeit mehr Kakofonie, als die Union zugeben mag. Das Konservative der Partei, das im Wortsinn Bewahrende, ist der CDU sogar im Kernland Baden-Württemberg abhandengekommen. Dort sitzt in Winfried Kretschmann ein grüner Ministerpräsident, der nach jeder Definition als Konservativer gelten kann, als nachhaltig denkender Bürgerlicher mit Hang zum Widerspruch. Er trifft das Lebensgefühl von mehr Wählern, als den Volksparteien lieb sein kann. Er bedroht die Christdemokraten in ihrem Markenkern.

Merkels CDU fehlen Köpfe und Konzepte. Das ist seit der Abwahl oder dem Rückzug von Regierungschefs wie Stefan Mappus, Peter Harry Carstensen, Jürgen Rüttgers oder Ole von Beust deutlich.

Mit dem Auflösen traditioneller Lebens- und Arbeitswirklichkeiten kam auch die Volkspartei SPD nicht zurecht. Sie verlor beispielsweise ihr Kernland Nordrhein-Westfalen, als der Umschwung in den Städten und Dörfern zugunsten der CDU und der Grünen schon eingesetzt hatte. Doch den Genossen ist zumindest an Rhein und Ruhr ein Umbruch gelungen.

Um in den Städten erfolgreicher zu werden, muss die CDU wieder die Augen öffnen für die bunt schillernde Welt des Wählers. Dabei nicht beliebig zu werden, das wird die größte Herausforderung für die Parteistrategen. Aber auch im 21. Jahrhundert ist der Homo politicus nicht ausgestorben. Er sieht nur anders aus, als sich das manche im Konrad-Adenauer-Haus vorstellen mögen.