Nach dem Mord an General Hassan wird ein Abgleiten in den Bürgerkrieg befürchtet

Der kleine Zedernstaat Libanon, der wie vieles im Nahen Osten aus der Konkursmasse des Osmanischen Reiches hervorgegangen ist, bietet ein brisantes Konzentrat sämtlicher Konfliktpunkte der Region. Er wird politisch dominiert von der Hisbollah, die außer einer politischen Kraft zugleich als wohl schlagkräftigste Terrororganisation der Welt gelten kann, er wird ferner charakterisiert von einem massiven Einfluss des Iran und erst recht des benachbarten Syrien, von dem blutigen Schisma zwischen Sunniten und Schiiten sowie der uralten Kluft zwischen Christen und Muslimen. Und zu allem Überfluss lebt es im langen militärischen Schatten Israels, das mehrfach hier eindrang.

In den 50ern und 60ern hatte der Libanon wegen des multikulturellen Reichtums noch als die Schweiz des Orients gegolten; seine Hauptstadt Beirut wurde als Paris des Nahen Ostens gerühmt. Der Bürgerkrieg 1975 bis 1990 mit fast 100 000 Toten, der ebenso ein religiöser wie machtpolitischer und sozialer Konflikt unter reger Beteiligung ausländischer Mächte war, machte der Pracht ein Ende und Beirut zum Trümmerfeld.

Spätestens seit der Ermordung des prowestlichen und antisyrischen Premierministers Rafik al-Hariri 2005, der einen erfolgreichen Wiederaufbau des Libanon betrieben hatte, der folgenden "Zedernrevolution", die die syrische Armee aus dem Lande trieb, und nun dem Bürgerkrieg in Syrien balanciert dieser Staat wieder am Abgrund. Vor diesem Hintergrund ist die Ermordung des libanesischen Geheimdienstgenerals Wissam al-Hassan extrem gefährlich. Hassan war nicht nur ein Gegner des syrischen Tyrannen Baschar al-Assad, er hatte auch ein syrisches Komplott aufgedeckt, Sprengstoff für Anschläge in den Libanon zu schmuggeln.

Mit Hassans Tod haben Assad, der Iran und die den beiden Despotien verpflichtete Hisbollah einen mächtigen Gegner im Libanon weniger. Assad, der bereits an der türkischen Grenze zündeln lässt, könnte die Ermordung Hassans auch angeordnet haben, um dem ihm immer gefährlicher werdenden Konflikt in seinem Land ein Ventil zu verschaffen. Ein Übergreifen der Krise auf den Libanon, die allein wegen der Nähe Israels die volle Aufmerksamkeit der Welt verlangen würde, könnte den Druck auf Assad vorübergehend mildern. Und der Iran, der aufgrund seiner starrsinnigen Haltung im Atomkonflikt allmählich ernsthaft unter den internationalen Sanktionen zu leiden beginnt, könnte mit einer neuen außenpolitischen Front sein murrendes Volk ebenfalls von innenpolitischen Problemen ablenken. Hinzu kommt, dass der Arabische Frühling den Sunniten, die ohnehin die überwältigende Mehrheit im Islam stellen, einen starken Auftrieb gegeben hat - was die iranischen Schiiten und die mit ihnen verbündete Minderheit der Alawiten in Syrien, der die Assad-Clique angehört, enorm nervös macht.

Wenn man sich vor Augen führt, mit welch kompliziertem Proporzsystem der Libanon politisch halbwegs handlungsfähig gehalten wird - so muss das Staatsoberhaupt ein maronitischer Christ sein, der Parlamentspräsident Schiit, der Regierungschef Sunnit und der Armeechef Christ - dann ist begreiflich, dass jedes politische Erdbeben eine Katastrophe auslösen kann. Zumal Walid Dschumblatt, der in allen Farben schillernde Führer der Drusen - einer weiteren der 18 libanesischen Religionsgemeinschaften - sich als Königsmacher in dem tief gespaltenen Land mal auf diese, mal auf jene Seite schlägt.

Tragisch für den Libanon: Weder der Iran noch die Hisbollah haben ein Interesse daran, dass der Zedernstaat ein friedvolles, prosperierendes und demokratisches Gemeinwesen wird. Denn das würde der radikalislamischen Hisbollah den politischen Nährboden entziehen und Israel an dieser Front Ruhe verschaffen.