Die Umweltverbände sind mächtiger, als sie glauben machen. Und gefallen sich zu oft im Verhindern

Naturschutzverbände haben in diesem Land fast alle gern. Seit den Zeiten sterbender Wälder, kippender Seen und vergifteter Böden halten viele Deutsche sie für die Retter der Welt. Mit Schlauchbooten gegen Staaten, mit Demonstrationen gegen Dreckschleudern, mit Kletterern gegen Konzerne - dieses Bild von David gegen Goliath hat sich in den Köpfen vieler eingebrannt. Ganz falsch war es nicht: Die enormen Verbesserungen der Wasser-, Luft- und Bodenqualität wären ohne den mutigen Einsatz von Greenpeace, Robin Wood, dem Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) oder dem Nabu niemals so schnell Wirklichkeit geworden.

Doch das Deutschland des Jahres 2012 ist nicht vergleichbar mit der Bundesrepublik der 1980er-Jahre. Einst allmächtige Lobbygruppen wie etwa die Wirtschaftsverbände sind politisch zurückgestutzt, wie die überstürzte Energiewende im Sommer 2011 beweist. Die Umweltverbände hingegen, einst nahezu ohnmächtig, sind längst zu einer einflussreichen Interessenvereinigung geworden. Zu besichtigen war dies einmal mehr am Mittwoch nach dem Urteil des Leipziger Verwaltungsgerichts zum Stopp der Elbvertiefung. Da triumphierten WWF, BUND und Nabu mit der Aussage: "Die Mit-dem-Kopf-durch-die-Wand-Strategie der Elbvertiefer ist gescheitert." Nur: Wer will eigentlich mit dem Kopf durch die Wand? Es drängt sich der Eindruck auf, es ginge weniger um den Schutz der Elbe als vielmehr gegen Wirtschaft und Senat.

Freunde werden die Umweltverbände und der SPD-Senat ohnehin nicht mehr. Schon im Wahlkampf hatte sich Scholz demonstrativ von grünen Positionen abgesetzt. Statt als ökobewegter Sozialdemokrat gefiel er sich in der Rolle des knallharten Betonsozis. Er trommelte für die Interessen der Wirtschaft und des Hafens, für mehr Wohnungsbau und gegen die Stadtbahn. Das Trommeln wurde Regierungspolitik: So wenig Gehör hatten die machtbewussten Umweltverbände seit Jahren nicht mehr gefunden. Parallel dazu drängt vor allem der BUND zurück in die Schützengräben der 1980er-Jahre. Er profiliert sich über das "Dagegen" als außerparlamentarische Opposition. Unter Getöse stieg der Verband schon unter dem alten Senat aus dem Projekt "Umwelthauptstadt" aus; bei der Volksinitiative "Unser Hamburg, unser Netz" kämpft der BUND nun Seit' an Seit' mit der Linkspartei, um 100 Prozent der Energienetze zu rekommunalisieren. Jüngst überraschte der BUND-Geschäftsführer gar damit, nach dem Kohlekraftwerk in Moorburg nun auch gegen das zuvor von ihm geforderte Gaskraftwerk in Wedel zu sein. Und mit der "Volkspetition für bessere Luft" steht die nächste Konfrontation mit dem Senat bevor.

Während viele Mitglieder des BUND sich beim Pflanzentauschmarkt in Lemsahl-Mellingstedt wohlfühlen und Ableger und Kräuter handeln, ist die Führungsspitze dabei, zum machtbewussten Spieler in der Stadtpolitik zu werden - und vielleicht zum gefährlichsten Gegenspieler für Olaf Scholz.

Um nicht missverstanden zu werden: Es ist das gute Recht, mit allen erlaubten Mitteln juristisch und politisch zu agieren, maximale Aufmerksamkeit für maximale Spenden zu suchen. Zugleich gilt aber, was mein Kollege Jörn Lauterbach über das Selbstverständnis der Umweltgruppen nach dem Elbvertiefungsurteil in der "Welt" schrieb: "Wenn sie aber glauben, den Hamburgern, denen die Zukunft der Stadt wichtig ist, damit aus dem Herzen gesprochen zu haben, dann unterliegen sie der typischen Fehlwahrnehmung einer Lobbygruppe."

Schlimmer noch ist, dass viele Umweltverbände sich nicht als Lobbygruppe verstehen, sondern als Kämpfer für das Wahre, Schöne und Gute. Diese Selbstverliebtheit erschwert Kompromisse mit der Politik - moralische Überlegenheit und sachorientierte Pragmatik finden nur selten zueinander. In Anbetracht der Herausforderungen, vor denen die Stadt steht, lässt das Schlimmes befürchten. Ob Wohnungsbau-Offensive, Energiewende, die Netzdebatte oder die Elbvertiefung - Maximalforderungen und Partikularinteressen gefährden das Allgemeinwohl. Man erinnere nur an die Vehemenz der Umweltschützer im Kampf gegen die Airbus-Erweiterung. Heute ist der Flugzeugbauer der größte Arbeitgeber der Stadt. Und die Elbe noch immer so schützenswert, dass sie unbedingt vor der Vertiefung gerettet werden muss.

Matthias Iken beleuchtet in der Kolumne "Hamburger KRITiken" jeden Montag Hamburg und die Welt