Immer mehr Vereine setzen auf die synthetischen Grasfasern. Marktvolumen in Deutschland rund 150 Millionen Euro jährlich.

Hamburg. Frank Fechner kniet auf dem Fußballplatz und fährt mit der flachen Hand durch den Rasen. Schwarzes Granulat spritzt aus den 42 Millimeter langen, weichen Grasfasern hoch. Die jüngste Großinvestition des Eimsbütteler Turnverbandes (ETV) rieselt dem Geschäftsführer auf die Finger. 450 000 Euro kostete der neue Kunstrasenplatz am Lokstedter Steindamm. "Wer einmal auf Kunstrasen gespielt hat, will nicht mehr auf anderen Plätzen kicken", sagt Fechner. Naturrasen und Grandplätze sind daher für viele Fußballer ein Auslaufmodell. Sportvereine und die Stadt Hamburg setzen verstärkt auf die Synthetikfaser, bauen Fußballplätze um und treiben bei den Sportstättenbauern die Umsätze in die Höhe.

"Bis vor acht Jahren hatten wir in Hamburg nur eine gute Handvoll Kunstrasenplätze", sagt Uwe Herzberg, beim Hamburger Fußballverband Vorsitzender des Ausschusses für Sportanlagen. Heute gibt es etwa 50 Fußballfelder, die mit einem synthetischen Material ausgelegt sind. Damit sind rund ein Viertel der 210 Großspielfelder in der Hansestadt mit Kunstrasen belegt. In Europa knackten die Umsätze laut Branchenverband European Synthetic Turf Organisation (Esto) bereits vor Jahren die Eine-Milliarde-Euro-Grenze. In Deutschland beziffern Experten das Marktvolumen auf rund 150 Millionen Euro pro Jahr. "Kunstrasen ist für mich das Geschäft der Zukunft", sagt Christian Eikmeyer, Projektleiter beim Sportstättenbauer Heiler. Schließlich gebe es in der gesamten Bundesrepublik noch sanierungsbedürftige Anlagen. Das Bielefelder Unternehmen baute für Bundesligaklubs wie den HSV, VfL Wolfsburg und Meister Borussia Dortmund Trainingsplätze und stieg nach eigenen Angaben hierzulande zum zweitgrößten Anbieter auf.

Vor allem in den vergangenen Jahren bekam der Markt einen Kick. "Bis 2005 plätscherte das Geschäft so dahin", sagt Eikmeyer, dessen Firma den ETV-Platz baute. Fünf bis sieben Plätze habe man pro Jahr errichtet. "Jetzt bauen wir jährlich mehr als 50 Kunstrasenplätze." Mit den Aufträgen wuchs auch das Unternehmen. Die Mitarbeiterzahl habe sich auf 70 verdoppelt, der Umsatz steige stetig, und unterm Strich schreibe man Gewinne.

Die Vorteile des Kunstrasens fasst der Deutsche Fußball-Bund (DFB) in einer Studie zusammen. Naturrasen lässt sich 400 bis 800 Stunden im Jahr nutzen, ein Grandplatz kommt auf 1000 bis 1500. Auf einem Kunstrasenplatz rollt der Ball aber sogar 2000 bis 2500 Stunden lang. Nur bei Eis ist der Platz tabu, ansonsten kann bei (fast) jedem Wetter gespielt werden. "Kunstrasenplätze bieten den Vorteil, ganzjährig ein verlässliches Sportangebot für Schulen und Vereine anzubieten", sagt Uwe Sals, beim Sportamt verantwortlich für das Sportstättenmanagement.

Die Stadt Hamburg finanziert einen Großteil der Plätze, weil die meisten in der Hand der Kommune sind. Von 2009 bis 2012 war der Sanierungstopf für staatliche Sportanlagen - davon müssen aber auch zum Beispiel die Umkleidekabinen renoviert werden - mit insgesamt 16 Millionen Euro gefüllt. Das Programm soll in den beiden nächsten Jahren fortgesetzt werden, teilte die Innenbehörde auf Abendblatt-Anfrage mit. Wie viel Geld die Hansestadt zur Verfügung stellt, wird aber erst Ende des Jahres feststehen, wenn der Senat den Doppelhaushalt 2013/14 beschließt. Zudem gab es in den Jahren 2009/10 einen zusätzlichen Wachstumseffekt durch das Konjunkturpaket II der Bundesregierung. Der deutsche Marktführer Polytan aus Burgheim profitierte davon. "Die Wachstumsraten lagen zwischen 15 und 20 Prozent", sagt Unternehmenssprecher Tobias Müller. Anschließend musste das Unternehmen aus Bayern zwar einen kleinen Einbruch hinnehmen. Mittlerweile habe sich das Geschäft aber wieder auf "ordentlichem Niveau" stabilisiert. In Hamburg sind drei Felder aus dem Fördertopf des Bundes finanziert worden.

Steuergeld spielte bei der vereinseigenen Anlage des ETV am Lokstedter Steindamm eine kleinere Rolle. Die Stadt gab über das Sportamt einen Zuschuss von 50 000 Euro, die Bezirke Eimsbüttel und Nord griffen zusammen mit der gleichen Summe unter die Arme. Spenden und das Erreichen der ersten Runde im DFB-Pokal 2011 steuerten jeweils 75 000 Euro bei. Die restlichen 200 000 Euro nahm der Verein über ein Darlehen bei der KfW zu "extrem günstigen Zinsen" auf, sagt Fechner. Der neue Platz sei auch eine Voraussetzung für künftiges Wachstum des Vereins. Bereits 2008 wurde die Anlage an der Bundesstraße auf Kunstrasen umgestellt. "Seitdem stürmen die Kinder den Verein", sagt Fechner. Rund 900 Kinder und Jugendliche kicken nun beim ETV, ein Plus von rund 25 Prozent. Die Trainingskapazitäten seien mindestens verdoppelt worden - und alle wollten auf Kunstrasenplätzen spielen. "Dort verspringt kein Ball, es ist technisch sauber und anspruchsvoller Fußball möglich. Schürfwunden wie auf Grandplätzen gibt es nicht", zählt Fechner weitere Vorteile des künstlichen Geläufs auf.

Auch Christian Eikmeyer vom Sportstättenbauer Heiler ist überzeugt: "Der Trend geht vom Grand- zum Kunstrasenplatz." Während in den nächsten fünf bis sechs Jahren noch der Neubau das Hauptgeschäft ausmache, werde anschließend der Austausch dominieren. Zwölf bis 15 Jahre halte die Decke der Kunstrasenplätze, dann muss sie für rund 200 000 Euro erneuert werden. Mindestens 30 Jahre lang sollen die Drainage und die Elastikschichten halten (siehe Beistück). "Das ist ein wiederkehrendes Geschäft", ist Eikmeyer vom langfristigen Erfolg der Firma überzeugt.

Viele Erfolgserlebnisse will auch der Eimsbütteler Turnverband auf der neuen Anlage sammeln. Vor wenigen Tagen gab die Stadt die Sportanlage für Punktspiele frei. Am 2. November soll sie eingeweiht werden. Zum Lokalderby in der Landesliga Hammonia gegen den Hamburg-Eimsbütteler Ballspiel-Club (HEBC) hat sich mit Innensenator Michael Neumann und Bezirksamtsleiter Torsten Sevecke (beide SPD) auch hanseatische Politikprominenz angesagt.