Moralisches Pharisäertum rächt sich schnell: Wer im Glashaus der Politik sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen

Überall in deutschen Städten, die einst Residenzen waren, stehen sie herum: die Reiterstandbilder der Duodez-Fürsten, all der Könige, Herzöge, Landgrafen, Kurfürsten, die sich ihren Untertanen gern hoch zu Ross zeigten. Inzwischen sind sie saurem Regen, Autoabgasen und Taubendreck auf Gedeih und noch mehr auf Verderb ausgesetzt. Ihr Motto "Viel Feind, viel Ehr" gilt im Land von uns Friedensnobelpreisträgern und Berufseuropäern nicht mehr.

Heute sind die Hochtrabenden in die Sprache abgewandert, und da sind es vor allem Politiker, die vom hohen Ross fallen, meist dann, wenn sie sich mit geschwellter Brust auf einen besonders hohen moralischen Sockel gestellt haben. So hat es in letzter Zeit einige erwischt, zum Beispiel den Ex-Präsidenten Wulff. An sich wäre alles nicht so furchtbar gewesen, wenn er sich von Freunden Brathendl auf dem Oktoberfest, Babysitter in der upgegradeten Hotelsuite, Handy-Telefone für den heimlichen Liebesplausch und ein romantisches Liebesnest auf Sylt hätte schenken oder leihen lassen.

Hätte er nicht vorher mit ausgestrecktem Zeigefinger auf andere gezeigt, wären das lässliche Sünden eines Frischverliebten gewesen. Wulff aber trieb als Oppositionsführer den SPD-Ministerpräsidenten Gerhard Glogowski wegen einer gesponserten Hochzeitsfeier aus dem Amt, indem er meinte, es müsse jeder Anschein und Ansatz von Korrumpierbarkeit "im Zusammenhang mit Festen, Feiern und privaten Dingen" vermieden werden. Ein Satz, der den Ministerpräsidenten und Bundespräsidenten Wulff wie ein Bumerang heimsuchte. "Gestern noch auf stolzen Rossen/heute durch die Brust geschossen". Als sein Amtsvorvorgänger Rau wegen geschnorrter Flugreisen ins Visier geriet, tönte Wulff: "Ich leide physisch darunter, dass wir keinen unbefangenen Bundespräsidenten haben." Später, als auch er per Upgrade in die Flitterwochen flog, sauste ihm Bernsteins geflügeltes Wort um die Ohren: "Die schärfsten Kritiker der Elche/waren früher selber welche."

Das jüngste Opfer einer gewissen Selbstüberhebung ist offenbar die Bildungsministerin Schavan. Damals, als Guttenberg beim Plagiieren erwischt wurde, bebte auch sie vor Entrüstung: "Ich schäme mich nicht nur heimlich. Der Entzug des Doktortitels ist richtig, der Vorgang ist keine Lappalie."

Nun hat es Ministerin Schavan selber erwischt. Dumm gelaufen. Ihr Plagiieren ist zwar keineswegs mit dem Guttenbergs zu vergleichen, was die "Zeit" in folgendes Bild fasste: "Während man bei Guttenberg gewissermaßen die Beute eines Bankraubs entdeckte, hat man bei Schavan nur eine Bibel und Handtücher aus mehreren Hotels gefunden." Aber fromme Ministerinnen dürfen auch keine Bibeln klauen, weil man ihnen sonst aus Hotelhandtüchern einen Strick drehen kann, wenn sie sich vorher zu lautstark über andere entrüsten. Politiker sitzen immer im Glashaus. Sie sollten das im Auge haben, wenn sie den ersten Stein werfen.