Viele Pendler sehen die Überfüllung in der S3 gelassener als die Politik. Nur bei Zugausfällen, da breche das Chaos aus.

Harburg. "Alarmierend!" nannte Till Steffen, verkehrspolitischer Sprecher der Grünenfraktion, die Antwort des Senats auf seine Kleine Anfrage bezüglich der Sitzplatzsituation in der S-Bahn-Linie 3, die von Pinneberg nach Stade verkehrt. Vor allem zwischen Hauptbahnhof und Harburg habe in den Stoßzeiten höchstens jeder zweite Fahrgast einen Sitzplatz. Ähnlich bezeichneten auch der zuständige Staatsrat Andreas Rieckhof sowie HVV-Sprecherin Gisela Becker, Sprecherin des HVV, die Lage für diejenigen Berufspendler, die dieses Nadelöhr werktäglich passieren müssen, "weil es keine andere Bahnlinie gibt, die die Elbe quert, über die ausgewichen werden kann", sagt Gisela Becker.

Doch von einem "Kollaps" ist erstaunlicherweise weder etwas zu sehen oder zu spüren, als wir uns dazu entschließen, in der Rushhour zwischen Sternschanze und Neugraben hin- und herzufahren und die Fahrgäste nach ihren Erfahrungen zu befragen. Es ist natürlich nur eine Momentaufnahme ohne statistischen Wert, doch um es vorwegzunehmen: Das Ergebnis fiel eindeutig aus. Niemand regte sich explizit darüber auf, wenn er stehen musste, "denn das kennt man ja nicht anders", sagt Bankkaufmann Michael Walter aus Neugraben, 28, der täglich 40 Minuten zu seinem Arbeitsplatz in der City pendelt. "Die Fünf-Minuten-Taktung ist okay. Natürlich wäre eine zweite Strecke schön, die dann nicht über den Hauptbahnhof führen sollte."

Doch diese bereits angedachte Entlastung käme nach Auskunft des Staatsrats Rieckhof frühestens 2018 zustande, wenn eine Verbindung der S-Bahn-Strecke mit der Linie U 4 an der geplanten Haltestelle Elbbrücken verwirklicht würde. Walters Stehnachbarin zuckt lächelnd ihre Schultern. "Ich stehe sogar gerne, weil ich den ganzen Tag sitzen muss", meint die junge Frau, die immer zu den Stoßzeiten unterwegs ist. "Nur wenn die S-Bahn aus irgendwelchen Gründen ausfällt, wird es mit dem Schienenersatzverkehr lästig." Allerdings sei auch das nicht so dramatisch wie die Situation in anderen internationalen Großstädten. Und so richtig voll, sagt sie, sei die S 3 nur bei Heimspielen des HSV. "Da steht man dann in der Tat dicht gepresst. Im Berufsverkehr habe ich das jedoch noch nie erlebt, auch morgens nicht."

Das bestätigt auch eine Controllerin bei der Deutschen Shell, die in der Harburger Raffinerie arbeitet und in Hoheluft lebt. "Bei Bombenalarm in Wilhelmsburg, was ja öfter mal vorkommt, oder überhaupt im Notfall bricht die Verbindung komplett zusammen." Insgesamt sei das Busfahren sowieso weitaus stressiger als das S-Bahn-Fahren. "Ich wünsche mir allerdings klare Ansagen und Informationen, wenn es mal eine Panne gibt."

So sieht es auch Christian Bichl, 46, Hausmeister im Schichtdienst, der die S 31 zwischen Neugraben und Sternschanze nutzt. "Der Schienenverkehr ist eine Katastrophe. Ich habe einmal von Harburg nach Berliner Tor eineinhalb Stunden gebraucht!" Außerdem sei der Informationsfluss mangelhaft: "Niemals wird zum Beispiel darauf hingewiesen, dass man ab Harburg auch den Metronom benutzen kann, wenn die S-Bahn ausfällt."

Thomas Behrentz aus Buxtehude ist ebenfalls ans Stehen gewöhnt. Der 25 Jahre alte Student der Wirtschaftswissenschaften pendelt zwischen Buxtehude und Lüneburg. "Für ältere Menschen sollte es mehr Sitzplätze geben", sagt er, "andererseits erwarte ich mehr Rücksicht der jüngeren Generationen."

Schlechte Noten fürs Krisenmanagement verteilt auch Isabella Proena, 31, die früher mit der S 3 fuhr und nach ihrem Umzug vor einem Jahr mit der S 21, Richtung Aumühle. "Die S 3 ist durchschnittlich voller. Aber generell gesehen geht bei der S-Bahn ja öfter mal was kaputt oder da ist ein Personenschaden. Dann ist der Ersatzverkehr absolut mangelhaft." Corinna Rossmann, 52, die als Verlagskauffrau zwischen Stelle und Hauptbahnhof pendelt, spricht in solch einem Fall gar von "totalem Chaos". Trotzdem würde sie sich niemals ein Auto zulegen. Auch der sportlichen Frau machen die paar Minuten stehen nichts aus - und in ihrem Waggon sind um diese Zeit, um 17.50 Uhr, sogar noch einige Plätze frei.