Partei sucht ihr Spitzenduo für die Bundestagswahl 2013. Gestern stellten sich elf Bewerber in Hamburg vor. Jetzt dürfen die Mitglieder abstimmen

Wilhelmsburg. "Bloß nicht fremdschämen." Das ist schon seltsam. Die Grünen, selbst ernannte Erfinder der Basisdemokratie, suchen so basisdemokratisch wie nie zuvor ihr Spitzenkandidaten-Duo für die Bundestagswahl 2013, und vor dem Schaulaufen der Bewerber in Hamburg ist die größte Sorge einiger Mitglieder, dass es peinlich werden könnte. Warum?

Die ersten sieben Runden der Veranstaltung wurden Opfer eines TV-Satiremagazins, und die "Süddeutsche Zeitung" hatte das "Schaulaufen zum Fremdschämen" verrissen. Kein Wunder, man müsse ja nur einfach wiedergeben, was passiert sei, meint ein Grüner. Gute Idee.

Also: Mittwochabend, Bürgerhaus Wilhelmsburg. Auf der Bühne ein riesiges Plakat, grün natürlich. Davor fünf Stehtische mit grünen Papiertischdeckchen und kleinen Sonnenblumen-Gebinden. Drum herum zwölf Barhocker. Davor im Saal knapp 200 Parteimitglieder aus Hamburg und Schleswig-Holstein. Gute Stimmung. Die Elbvertiefung wurde heute gestoppt, das lässt grüne Herzen wuppern.

Um 18.20 beginnt die Katharina (Fegebank), Landesvorsitzende in Hamburg, die Auslosung der Sitzreihenfolge. Ganz links, aus Sicht des Publikums, sitzt der Alfred (Mayer) aus München, mit 75 der Älteste der Runde, daneben der Patrick (Held) aus Essen, der dem Parteiflyer sein Foto verweigert, dann kommt der Jürgen (Trittin) aus Bremen, der als Einziger einen schicken dunklen Anzug trägt, neben ihm die allgegenwärtige Claudia (Roth) aus Ulm, dann kommt der Franz (Spitzenberger) aus Sonthofen und neben ihm der Lokalmatador, Friedrich Wilhelm (Merck) aus Harburg, den sie bei den Grünen nur Friewi nennen.

Es folgen die Renate (Künast), die wie immer etwas mitgenommen dreinschaut, dann der Peter (Zimmer) aus Tann in Bayern, die Katrin (Göring-Eckardt), die Kirchenfrau aus Thüringen, dann der Werner (Winkler) aus Stuttgart und schließlich der Roger (Kuchenreuther) aus der Schweiz, der Fränkischen. Bislang keine Gründe zum Schämen. Außer dass von 15 Bewerbern vier nicht da sind. Warum? Krankheit, die weite Anreise, keinen Bock, so genau weiß das niemand.

Dann ist Vorstellungsrunde, jeder hat drei Minuten. Fegebank und ihre Kieler Kollegin Marlene Löhr haben eine weiße Stoppuhr auf dem Tisch stehen. Ordnung muss sein.

Sie fangen einfach mal von links an, also mit dem Alfred (Mayer). "Warum stehe ich hier?", beginnt er. Ein Auftakt hamletschen Ausmaßes. "Es ist schlichte Verzweiflung: Nach mehr als 34 Jahren fehlt den Grünen immer noch die absolute Mehrheit." Das ist richtig.

Patrick (Held) ist 24 und der Meinung, dass ein Drittel seiner Lebenserwartung hinter ihm liege. Er spricht von "Post Privacy" und "Smart Grids" und erklärt, was ihn antreibt: "Die Erfahrung meines Lebens."

Der Jürgen (Trittin) ist ein Profi. Er weist gleich mal auf die gestoppte Elbvertiefung hin. Applaus! Dann beklagt er den "Fachkräftemangel" in Deutschland - er meint die Bundesregierung. Mehr Energiewende, weniger Schulden, eine Vermögenssteuer, die Altersarmut überwinden - der Jürgen (Trittin) hat sein Programm schon im Kopf.

Die Claudia (Roth) auch. Außerdem will sie den SPD-Männern in Hamburg "zeigen, was innerparteiliche Demokratie ist". Schnappatmung.

Der Franz (Spitzenberger) ist das Kontrastprogramm: Er sagt "Moin" und dass seine Heimat Sonthofen kurz vor Italien liege. Haha. Im Gedächtnis bleibt, wie die Katharina (Fegebank) ihn abwürgt: "Franz, deine Zeit ist abgelaufen. Also deine drei Minuten."

Der Friewi (Merck) bringt das Lokalkolorit ins Bürgerhaus. Mitbegründer der Grünen in Hamburg ist er, der EU, des Friedensnobelpreises und, und, und. Oder so ähnlich. Statt der Elbvertiefung fordert er einen Tiefwasserhafen bei Altenbruch. "Unser Schrat, aber ein Lieber", sagte einer.

Die Renate (Künast) hat wie die anderen Politprofis einen Spruch drauf: "Noch 365 Tage, bis wir Schratz ablösen können. Schratz ist die schlechteste Regierung aller Zeiten." Sie ist gegen neoliberale Politik, für die Energiewende, den Atomausstieg und so weiter.

Der Peter (Zimmer) ist Tierarzt, Ökolandwirt und Vegetarier und beklagt das Artensterben und das Sterben des Regenwalds. Unmengen fielen "dem Axt, äh, dem Opfer zur Axt". Nervosität. Die Katrin (Göring-Eckardt) ist nicht nervös, aber etwas farblos. Auch sie wettert gegen Schwarz-Gelb, die Grünen könnten es besser.

Der Werner (Winkler) wird mit Gejohle begrüßt, er hatte eine Hauptrolle in der TV-Satire. Er will gemeinsam mit der Renate (Künast) das Duo bilden.

Der Roger (Kuchenreuther) ist kernig. Zimmermeister, Restaurator, eigener Handwerksbetrieb. Er sagt, es sei "schade, was da verfällt, um einem gesichtslosen Neubau Platz zu machen". Passt eigentlich gut zu Hamburg.

Die Katharina (Fegebank) fasst zusammen: "Interessante Ansichten und fulminante Reden - ich glaube, euch hat das auch unterhalten." Stimmt.

Es folgt noch eine Fragerunde, die Fragen gehen alle an die vier Prominenten. Sie wiederholen sich. Um 20.20 Uhr ist Schluss. Alles kein Grund zum Schämen. Einsendeschluss für die Urwahl ist am 31. Oktober.