2012 gehen deutsche Forscher leer aus. In der Wissenschaft regieren längst die USA

Am Freitag bekamen die Deutschen dann doch noch einen Nobelpreis zugesprochen, zumindest ein Siebenundzwanzigstel davon. Weil wir alle uns als Geehrte fühlen dürfen, gilt beim Friedensnobelpreis für die Europäische Union umso mehr: Geteilte Freude ist doppelte Freude.

Ein Erfolgserlebnis können wir indes gut gebrauchen. Deutsche Forscher hatten zuletzt nur selten Grund zur Freude. In der Medizin wurde letztmalig 2008 ein Deutscher mit dem Nobelpreis prämiert, in der Physik und der Chemie 2007, in den Wirtschaftswissenschaften gar 1992. Regelmäßig gehen die Ehrungen in die Vereinigten Staaten - es ist mehr als zwanzig Jahre her, dass die USA bei einer Nobelpreisrunde leer ausgingen.

Bis zum Zweiten Weltkrieg war die Verteilung ganz anders: Damals lagen die Deutschen vorn. Im ersten Jahrzehnt der Auszeichnung, zwischen 1901 und 1910, gingen gleich 16 Ehrungen nach Deutschland - im vergangenen Jahrzehnt waren es nur noch sechs. Weit mehr als die Hälfte der deutschen Nobelpreise wurden vor 1940 gewonnen.

Der Niedergang des Forschungsstandortes hat viele Gründe. Es ist eine bittere Ironie der Geschichte, ein später Sieg des Faschismus, der 1937 Reichsdeutschen sogar die Annahme des Nobelpreises verboten hatte. Die Nazis zerstörten die Fundamente des deutschen Bildungswesens, sie verfolgten jüdische Wissenschaftler, ermordeten sie und trieben die Elite ins Exil. Eine weitere Spätfolge des Nationalsozialismus ist der Bedeutungsverlust der deutschen Sprache. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war Deutsch noch die führende Sprache der Naturwissenschaftler - nun ist bei naturwissenschaftlichen Publikationen ihr Anteil auf ein Prozent zurückgegangen. Heute ist Englisch die lingua franca der Wissenschaft - was nicht in dieser Sprache publiziert wird, wird kaum wahrgenommen.

Darüber zu klagen ist aber müßig. Die Globalisierung ist ein Faktum, dem man sich nicht entgegenstellen kann. Und doch wäre es zu einfach, mit ihr den Bedeutungsverlust der deutschen Wissenschaft allein zu erklären. Denn in den zurückliegenden Jahrzehnten gelang es den heimischen Universitäten und Forschungseinrichtungen nicht, den Rückstand zu den Vereinigten Staaten wettzumachen. Viel zu lange haben die besten Wissenschaftler Deutschland verlassen, weil in den USA bessere Bedingungen, eine größere Freiheit der Forschung und mehr Geld lockten. Dabei machen Spitzenforscher neue Spitzenforscher: Der diesjährige Physik-Nobelpreisträger David Wineland etwa arbeitete lange an der Universität in Washington bei Hans Dehmelt. Der gebürtige Görlitzer Dehmelt studierte in Göttingen bei den Nobelpreisträgern Max Planck, Wolfgang Paul, Max von Laue und Werner Heisenberg. Auf Einladung der Duke University ging Dehmelt in die Staaten und blieb. 1989 bekam er, längst US-Bürger, den Physik-Nobelpreis.

Die Bundesrepublik hingegen hat wichtige Jahre verschenkt, weil Elite und Leistung als Konzept von vorgestern diskreditiert wurden. Immerhin hat sich hierzulande zuletzt einiges bewegt - wie die 2005 gestartete Exzellenzinitiative des Bundesministeriums für Bildung und Forschung und der Deutschen Forschungsgemeinschaft zeigt.

Doch es wird Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dauern, bis diese Bemühungen Früchte tragen werden. Allein werden die Deutschen den Rückstand zu den USA kaum aufholen. Eingedenk des Friedensnobelpreises für die EU sollte Europa die Zeichen der Zeit erkennen. Schon vor zwölf Jahren beschloss die Union die Lissabon-Strategie, mit dem Ziel, die Wettbewerbsfähigkeit Europas zu erhöhen. Eines der Hauptziele lautet, den Anteil der Forschungsausgaben auf drei Prozent zu erhöhen - bis heute schaffen dies mit Schweden und Finnland gerade mal zwei Länder. Nobelpreisverdächtig ist das nicht.